GiS-Gespräche: „Was soll nur aus unseren Gehirnen werden?“


| Foto: Ado



Der international renommierte Gehirnforscher Prof. Dr. Martin Korte von der TU Braunschweig hielt einen Vortrag über die Internetnutzung und Gehirnentwicklung im Rahmen der Reihe „GiS-Gespräche“ im Gymnasium im Schloss Wolfenbüttel

Prof. Korte stellte sich in der Aula des Gymnasiums im Schloss vor Eltern, Schülern und Lehrern die Frage, wie man das Gedächtnis richtig trainiert, um den wichtigsten Tätigkeiten des Menschen nachkommen zu können: kritisch zu denken und gleichzeitig zu ergründen, was andere Menschen denken und fühlen. Fazit seiner wissenschaftlichen Studien: digitale Medien, insbesondere das Internet, seien als Trainer für diese Kompetenzen eine glatte Fehlbesetzung.

Wie gelangte die internationale Hirnforschung zu dieser Einschätzung? Zunächst einmal sei es laut Prof. Korte nicht besonders erstaunlich, dass die intensive Nutzung des Internets messbare Auswirkungen auf die Entwicklung unseres Gehirns habe. Viel interessanter sei die Beobachtung, dass sich diese Veränderungen in erstaunlich kurzer Zeit und insbesondere in Bereichen vollziehen würden, die wichtig seien für Problemlösungsstrategien, für die Empathie, für die Konzentration und für die Fähigkeit, kurzfristige Belohnungen aufzuschieben und langfristige Ziele zu verfolgen. Und gerade hier, in der Kommandozentrale des Gehirns, versage nun das Internet, denn dessen übermäßiger Konsum bringe laut Prof. Korte einen Menschen hervor, den man allgemeinhin so nicht wolle: Einen Menschen nämlich, der zwar wisse, wo Wissen zu finden sei, aber selbst kein Wissen habe. Demzufolge einen Menschen, der nicht kritisch mit Wissen umgehen könne, weil sich in seinem Gehirn nicht die entsprechenden assoziativ neuronalen Netzwerke entwickelt haben. Einen Menschen, der soziale Signale nicht ausreichend genug interpretieren könne, weil ihm zu oft der soziale Kontext gefehlt habe, um seine Sozialkompetenz zu trainieren. Einen Menschen, dessen Konzentrationsspannen sehr kurz seien und der demzufolge eine höhere Fehlernfälligkeit besitze, weil er auf Multitasking konditioniert worden sei. Das bedeutet einen Menschen, der es gewohnt sei, ständig mehrere Aufgaben gleichzeitig zu verrichten, mit der unausweichlichen Folge, dass er sein begrenztes Potential an Aufmerksamkeit verteilen müsse, sodass er keine Aufgabe vollkommen konzentriert und damit effektiv erledigen könne. Einen Menschen, der auf schnelle Belohnungen, d.h. auf kurzfristig erreichbare Erfolgserlebnisse, abziele und demnach nicht mehr bereit sei, sich langfristige Ziele zu stecken. Einen Menschen, dessen Arbeitsspeicher im Gehirn zu großen Teilen allein damit beschäftigt sei, digital inszenierte Informationen zu verdrängen. Einen Menschen, der nur eine bestimmte Zeit am Tag zur Verfügung habe, um sein Gehirn zu trainieren, und der sich täglich viel zu lange mit einem Medium beschäftige, das mit körperlicher und geistiger Aktivität nicht viel zu tun habe und kaum eine Chance biete, soziale Signale zu senden und zu empfangen. Kurzum: einen Menschen, der sein Gehirn zu lange ausbremse, statt es zu fördern.

Prof. Korte räumte ein, dass sich dieser Befund auf eine ausgewählte und sehr kleine Probandenzahl von Schülern und Studenten stütze. Damit er sich zukünftig allerdings nicht zu einem flächendeckenden ausweite, müssten Eltern, Erzieher und Lehrer ein gemeinsames Auge darauf haben, wie viel Zeit die jungen Menschen vor dem Computer oder anderen digitalen Medien verbringen und vor allem, unter welcher Zielstellung sie dies tun. Gleichzeitig könne man dem sehr hohen Suchtpotential digitaler Medien nur dann erfolgreich die Stirn bieten, wenn man den Spaß an anderen Tätigkeiten, wie beispielsweise Lesen, Schreiben, Malen, Experimentieren, Sport treiben und Wandern, fördere und deren Bedeutsamkeit für die Entwicklung unserer Gehirne bewusst mache.

Von einer generellen Verbannung digitaler Medien aus unserem Alltag rückte Prof. Korte demzufolge unmissverständlich ab. In seinen Ausführungen verwies er explizit darauf, dass der bewusste Umgang mit digitalen Medien unter professioneller Anleitung erlernt werden müsse, um als Mensch den komplexen Anforderungen der heutigen Zeit standhalten zu können. Für alle bleibe dabei eine zentrale Aufgabe, sich selbst und andere im Blick zu haben, damit die digitalen Medien und insbesondere das Internet nicht den Cheftrainerposten übernehmen würden, sondern lediglich eine Assistenztrainerstelle mit einer wohl dosierten Trainingszeit.


mehr News aus Wolfenbüttel


Themen zu diesem Artikel


Schule Schule Wolfenbüttel