Albrecht: Entweder Gorleben oder gar kein Standort in Niedersachsen
U-Ausschuss Gorleben: Experte bezeichnet Bewertungen der Staatsanwaltschaft als falsch
Zeugenbericht, Quelle Europaticker – ungekürzt und unkommentiert:
Der Erste Untersuchungsausschuss des Bundestags geht der Frage nach, ob es bei der Entscheidung der Bundesregierung, sich bei der Suche nach einem atomaren Endlager auf den Standort Gorleben zu beschränken, zu politischen Einflussnahmen und Manipulationen gekommen ist. Die Bundesregierung hatte Anfang der Siebziger Jahre die Kernbrennstoff-Wiederaufarbeitungsgesellschaft mbh (KEWA) mit der Suche nach einem Nationalen Entsorgungszentrum samt Endlager für Atommüll beauftragt. Der Zeuge Dr. Adalbert Schlitt war bis Ende 1976 Geschäftsführer der KEWA. Im Auftrag des Bundesforschungsministeriums hat die KEWA in zwei Untersuchungszeiträumen im Jahre 1976 dem Bund drei mögliche Endlagerstandorte benannt: Wahn, Lichtenhorst und Lutterloh. Sämtliche Salzstöcke in den besagten Orten liegen in Niedersachsen.
Gorleben befindet sich nicht auf der Liste, der Salzstock in Lüchow-Dannenberg fand gar keine Erwähnung in der KEWA-Studie. Warnungen wurden nachträglich aus dem Sitzungsvermerk gestrichen worden sei. Am 12. Mai 1987 geschah in Gorleben ein schwerer Unfall: Ein Sicherungsring barst und fiel herab; er tötete einen Bergmann und verletzte zwei weitere schwer. „Wenn man den Schacht nicht auf Teufel komm raus runter geknüppelt hätte, hätte der Unfall nicht passieren müssen“, sagte Bauingenieur Jörg Martini als ehemaliger Beschäftigter der Thyssen Schachtbau vor dem Ausschuss.
Vor dem Gorleben-Untersuchungsausschuss hat der Zeuge Jürgen Schubert über den niedersächsischen Entscheidungsprozess für Gorleben als mögliches Atommüll-Endlager berichtet. „Von Anfang an erschien der Standort Gorleben aus geologischen Erwägungen heraus als der wohl am meisten geeignete“, sagte Schubert. Der studierte Bergbauer hatte 1975 beim Oberbergamt Clausthal die Zuständigkeit für Strahlenschutz übernommen; Gorleben fiel so in seinen Beritt.
„Die KEWA kannte ursprünglich Gorleben, ließ ihn aber heraus“, sagt Schubert. Er habe damals gehört, dies sei mit der Begründung geschehen, Gorleben befinde sich in einem Ferien- und Erholungsgebiet; auch die Nähe zur DDR-Grenze habe eine Rolle gespielt.
Schubert nahm damals als Vertreter der Bergbehörden an den Sitzungen des Interministeriellen Arbeitskreises (IMAK) der niedersächsischen Landesregierung teil. „Ende 1975 wurden uns in Bonn drei Standorte anonym vorgestellt“, sagte Schubert. Es habe sich um Wahn, Lutterloh und Lichtenhorst gehandelt. Der Salzstock Gorleben dagegen sei ihm erstmalig im Sommer 1976 bekannt geworden.
Die Suche sei erweitert worden auf 14 Standorte, sagte Schubert. Darunter habe sich Gorleben befunden. Die Untersuchungen an den Standorten Wahn, Lutterloh und Lichtenhorst seien im Sommer 1976 eingestellt worden, sagte Schubert. „Ich glaube, es waren politische Schwierigkeiten. Es gab Proteste dort.“ Er könne aber nicht bestätigen, dass die Bohrungen aus politischen Gründen eingestellt wurden.
Bei einer Sitzung habe man am 1. Dezember 1976 dann mehrere Standorte als eignungshöffig ausgemacht. Gorleben habe nach einer Punktewertung klar vorn gelegen. „Wir haben in dieser Sitzung Gorleben als besten Standort angesehen.“
Christdemokratische Phantom-Akten
Die Linken-Abgeordnete Kornelia Möller hielt dem Zeugen ein Schreiben aus dem Landeswirtschaftsministerium vom Jahr 1979 an das Oberbergamt vor, in dem es heiße, von den vier Standorten sei Gorleben gewollt – dies sei eine politische Entscheidung. Schubert sagte dazu: „Das Land ist zuständig für die Genehmigung. So ist die Rechtslage.“
Schubert gab ferner an, dass er von einer weiteren KEWA-Studie, einem so genannten Nachbewertungsbericht, keine Kenntnis habe. Dieser ist bisher nur in Zitaten überliefert. Während frühere KEWA-Berichte Gorleben nicht untersuchten, erscheint Gorleben dort als am meisten geeigneter Standort. Schubert: „Ergänzende Standortuntersuchungen der KEWA sind mir nicht bekannt.“
SPD-Obfrau Ute Vogt: Heute wurde bewiesen, dass die Gorleben-Entscheidung in Niedersachsen gefallen ist, gegen mehrfach belegter Bedenken des Bundes.
Der Zeuge Jürgen Schubert war zum Zeitpunkt der niedersächsischen Gorleben-Entscheidung Bergdirektor im Oberbergamt Clausthal-Zellerfeld. Schubert hörte erstmals im Dezember 1976 von einem möglichen Standort Gorleben. Zuvor tagte am 11. November 1976 eine hochrangig besetzte Ministerrunde in Hannover. In dieser Sitzung berieten Bundes- und niedersächsische Landesminister unter Leitung von Ministerpräsident Albrecht über einen möglichen Endlagerstandort in Niedersachsen. Der Name “Gorleben” fiel in dieser Runde zum ersten Mal zur völligen Überraschung der Bonner Minister. In einer kurz zuvor fertiggestellten Studie, die von der Bundesregierung in Auftrag gegeben wurde, war Gorleben überhaupt nicht erwähnt. Von einer sogenannten “Nachbewertung” des Bundes, wie sie mehrfach ohne Beleg von der Regierungskoaltion ins Feld geführt wurde, hat der Zeuge Schubert noch nie gehört: “Das kenne ich nicht”. Falls die Studie existieren sollte, müsste Schubert diese kennen, denn der Zeuge war immerhin Direktor einer staatlichen Genehmigungsbehörde.
Erneut wurde deutlich, dass der Standort Gorleben ein unverkennbarer Konflikt zwischen dem Bund und Niedersächsischen Landesregierung war. Letztendlich gab die Aussage von Ministerpräsident Albrecht: “Entweder Gorleben oder gar kein Standort in Niedersachsen” (April 1977), den Ausschlag. Das bestätigte auch der heutige Zeuge. Schubert wörtlich: “Nachdem Albrecht Gorleben benannt hatte, machte es überhaupt keinen Sinn mehr, andere Standorte zu untersuchen”.
Außerdem: Das zentrale Beweisdokument der schwarz-gelben Koalition ist ein Phantom. Denn es gibt in 1800 Aktenordnern keine “Nachbewertung” des Bundes zur Standortentscheidung pro Gorleben. Der Ermittlungsbeauftragte hat ebenfalls eine Existenz dieser christdemokratischen Phantasie-Akte bestritten.
KEWA-Geschäftsführer: Keine Gorleben-Untersuchungen
Über die Anfänge der Standortsuche für ein Entsorgungszentrum samt Endlager für Atommüll hat Adalbert Schlitt ausgesagt. Der damalige Geschäftsführer der Kernbrennstoffwiederaufarbeitungsgesellschaft mbH (KEWA) schilderte das Auswahlverfahren: „Von der Größe her bot sich Gorleben geradezu an, auch weil der Salzstock unverritzt ist.“ Er habe den Standort aber sofort von der Liste möglicher Orte gestrichen – wegen der Nähe zur DDR-Grenze. „Wir planten ja eine Wiederaufarbeitungsanlage. Das hätte sicherlich Probleme mit der DDR gegeben.“ Die KEWA habe andere Standorte untersucht, in die engere Auswahl seien Wahn, Lutterloh und Wahn gekommen.
Schlitt sagte aus, Anfang 1976 habe die KEWA in Lutterloh mit Tiefenbohrungen begonnen. „Das Ergebnis war Erfolg versprechend. Mit zunehmender Tiefe waren die Salzformationen wesentlich geeigneter für eine Lagerung.“ Im Sommer 1976 habe Bundesforschungsminister Hans Matthöfer (SPD) den Stopp der Bohrungen verordnet. Er erinnere sich nicht genau, sagte Schlitt, aber angeblich hätten politische Gründe und Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) eine Rolle gespielt. „Ganz überrascht waren wir vom Stopp vom 10. August 1976 nicht“, sagte Schlitt. „Es gab ja die Widerstände aus der Bevölkerung. Dann ist ja auch Ruhe eingekehrt.“
Schlitt berichtete, die Untersuchungen an den drei Standorten seien beendet worden. „Gorleben ist während meiner Zeit nie erwähnt worden“, sagte der Geschäftsführer. „Es ist in Gorleben nichts untersucht worden.“ Im Dezember 1976 schied er aus seinem Amt aus. Im kleinen Kreise habe man zwar gewusst, dass Gorleben der beste Standort sei, aber: „Wir hatten ja mit Lutterloh einen versprechenden Standort.“
Über eine Nachbewertungsstudie der KEWA aus dem Jahr 1976, die bisher nur in Zitaten überliefert ist, zeigte Schlitt Befremden. „Diese Studie kenne ich nicht. Meine Kenntnis ist, dass es seit dem 10. August 1976 keine Standort-Untersuchung mehr gab.“ Berichte zitieren eine KEWA-Studie, wonach Gorleben auf dem vorderen Platz erschien. „Das haben wir nicht gemacht, die Arbeiten waren ja auch gestoppt.“
CDU-Obmann Reinhard Grindel legte dem Zeugen einen Brief vom 9. März 1977 vor. In ihm schildere Klaus Stuhr, Leiter des Interministeriellen Arbeitskreises (IMAK) der niedersächsischen Landesregierung zur Standortsuche, an den Staatssekretär im Landeswirtschaftsministerium, Hans-Joachim Röhler, dass Gorleben bereits 1975 auf Vorschlag des Ressorts in die KEWA-Untersuchungen aufgenommen worden sei. Auch sei es in der zweiten Jahreshälfte 1976 zu ergänzenden Standortuntersuchungen gekommen. Schlitt sagte dazu: „Das kann ich nicht nachvollziehen. Jedenfalls nicht, dass ich das wüsste.“ Wenn es einen neuen Auftrag gegeben hätte, hätte er als Geschäftsführer davon wissen müssen.
Schlitt sagte, vielleicht habe es in der zweiten Jahreshälfte 1976 noch einige Papierarbeiten gegeben. Er wolle auch nicht ausschließen, dass man in der KEWA mit Stuhr über Gorleben gesprochen habe. Er könne ebenfalls nicht ausschließen, dass der Bericht noch vom KEWA-Team gefertigt worden sei. Aber: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine Untersuchung ohne meine Kenntnis gab.
Ute Vogt: Der Zeuge Schlitt stellte in seiner Vernehmung klar, dass ab August 1976 überhaupt keine Untersuchungen an möglichen Standorten mehr vorgenommen wurden. Gorleben war bereits frühzeitig ausgeschieden. Trotzdem hatten die Regierungskoalitionen bislang mehrfach eine angebliche “Nachbewertung” des Bundes durch die KEWA ins Feld geführt, in welcher Gorleben angeblich der beste Standort sein soll. Diese völlig unbewiesene These hat der Zeuge Schlitt endgültig abgeräumt. Der KEWA-Geschäftsführer sagte aus: “Es gibt keine KEWA-Nachbewertung”.
Damit ist endgültig bewiesen, dass das zentrale Beweisdokument der schwarz-gelben Koalition nicht existiert. Es ist ein christdemokratisches Phantom. Denn es gibt in 1.800 Aktenordnern keine Nachbewertung des Bundes zur Standortentscheidung pro Gorleben. Der Ermittlungsbeauftragte hat diese christdemokratische Phantasie-Akte ebenfalls nicht gefunden. Und nun bekannte der KEWA-Geschäftsführer, dass es keine sogenannte Nachbewertung seiner Firma gegeben habe. Mehr Beweis geht nicht.
Überdies hat der Zeuge Schlitt ausgesagt, dass auf Drängen der Energie-Versorgungsunternehmen (EVUs) Gorleben als mögliches Atom-Endlager ins Auge gefasst wurde. Auch der von andern Zeugen geäußerte Verdacht, dass der niedersächsische Wirtschaftsminister Walther Leisler Kiep im Zusammenspiel mit dem Energieunternehmen RWE Gorleben ins Gespräch gebracht hat, wurde von dem Zeugen bestätigt. Die Verflechtung von Atomlobby und Politik war also bereits damals ähnlich wie unter der Merkel-Regierung.
Zeuge berichtet über Schachtarbeiten in Gorleben
Der Bauingenieur Jörg Martini berichtete vor dem Gorleben-Untersuchungsausschuss über Schachtarbeiten im Salzstock Gorleben. „Ich bin anfangs naiv vorgegangen, nicht wissend, dass uns Informationen vorenthalten wurden.“ Mitte der Achtziger Jahre sei seine Aufgabe als Beschäftigter der Thyssen Schachtbau in Gorleben gewesen, die Frostwand und den Schachtausbau zu berechnen. Martini kritisierte, für die Arbeiten habe man nicht genügend relevante Bohrkerne erhalten. „Die Proben waren deutlich besser als der Rest der Strecke.“
Als die Schacht-Abteufung näher rückte, berichte Martini, habe er bemerkt, dass die hierfür nötige Frostwand nicht die Temperatur und Stärke für eine Teufung gehabt habe. „Bei einer Besprechung im Herbst 1986 gab ich die entsprechenden Hinweise.“ Daraufhin hätten seine Vorgesetzten erwidert, wann und wie geteuft werde, sei eine politische Entscheidung. Später habe er erfahren, dass seine Warnung nachträglich aus dem Sitzungsvermerk gestrichen worden sei.
Martini berichtete, im Verlauf der folgenden Monate habe es Probleme mit Steinfall gegeben. Er selbst habe am 20. März 1987 durch Brockenfall eine schwere Lungenverletzung erlitten. Am 12. Mai 1987 dann geschah in Gorleben ein schwerer Unfall: Ein Sicherungsring barst und fiel herab; er tötete einen Bergmann und verletzte zwei weitere schwer. „Wenn man den Schacht nicht auf Teufel komm raus runter geknüppelt hätte, hätte der Unfall nicht passieren müssen“, sagte Martini vor dem Ausschuss.
Zum Zeitpunkt des Unfalls noch krank geschrieben, habe er im Verlauf einer Besprechung mit seinen Vorgesetzten spontan zum 1. Juni 1987 gekündigt. Die Bewertungen der Staatsanwaltschaft, die im Zuge des Unfalls ermittelte, bezeichnete er als falsch. „Über kurz oder lang hätten die Schachtringe versagt, unabhängig davon, wie korrekt sie angebracht wurden“, sagte der 61-Jährige. Es sei schon zu erwarten gewesen, dass Probleme auftauchen würden. Aber man habe keinen Plan gehabt. „Das Problem bergmännischer Art war politisch inszeniert durch den Zeitdruck.“
Autor: Hans Stephani/ EUROPATICKER
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