Landes-GRÜNE: Der Staatsanwalt im Kultusministerium – Wer übernimmt die Verantwortung?


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Wir veröffentlichen die Rede von Ina Korter (Grüne): Der Staatsanwalt im Kultusministerium – Wer übernimmt die Verantwortung?
- es gilt das gesprochene Wort –

die Große Anfrage mit Antwort finden Sie unter

http://www.landtag-niedersachsen.de/Drucksachen/Drucksachen_16_5000/3501-4000/16-3885.pdf

Landtagssitzung am 16.09.2011 – Rede ungekürzt und unkommentiert:

Anrede,

es war ein Paukenschlag, als am 27. Januar Staatsanwälte im Kultusministerium auftauchten, um Akten im Zusammenhang mit Honorarverträgen in Ganztagsschulen mitzunehmen.

Die Reaktion des Kultusministers: Herunterspielen, Verschleiern der Hintergründe, Abschieben der Verantwortung.

Es habe ein “Gespräch” im Ministerium mit Vertretern der Staatsanwaltschaft, dem Hauptzollamt und der Deutschen Rentenversicherung stattgefunden, sagte Herr Althusmann.

Heute wissen wir, dass um die 20 Beamte seit mehreren Monaten mit umfangreichen Ermittlungen beschäftigt sind und noch bis ins nächste Jahr hinein beschäftigt sein werden.

Anlass für das “Gespräch”, so Minister Althusmann, sei ein Ermittlungsverfahren gegen einen einzelnen Schulleiter gewesen, das inzwischen aber eingestellt sei.

Nun gehe es noch um Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt im Zusammenhang mit der Frage, ob eine Formulierung in einem Vertragsmuster den aktuellen rechtlichen Anforderungen entspreche.

Heute wissen wir, dass die Staatsanwaltschaft in mittlerweile über 10.000 Fällen ermittelt, ob ausgerechnet das Land Steuer- und Sozialversicherungsabgaben vorenthalten hat.

Es könnten Nachzahlungen in Millionenhöhe drohen.

Herr Althusmann wurde nicht müde darauf hinzuweisen, dass die Anfänge der problematischen Honorarverträge bereits in der Zeit der Vorgängerregierung, im Jahre 2002 lägen.

Die Antwort auf unsere Anfrage macht jedoch deutlich, dass erst ab 2004, also seit der Zeit des CDU-Kultusministers Busemann, die Honorarverträge eine derartige Dimension angenommen haben:

In den Jahren 2002 bis 2003 wurden 723 Zahlvorgänge im Rahmen von Honorarverträgen an 193 Personen an 109 Schulen vorgenommen, von 2004 bis Anfang diesen Jahres gab es 221.538 Zahlvorgänge an 21.796 Personen an 1.247 Schulen.

Während vor 2004 der Einsatz von Honorarkräften die eher Ausnahme war, wurde sie ab 2004 zur Regel.

Die Landesregierung betont immer wieder, dass es ihr bei den Erlassen zum Einsatz von Honorarkräften nur darauf angekommen sei, Haushaltsmittel einzusparen und dass kein Hinweis auf vorsätzlichen Sozialversicherungsbetrug gefunden wurde.

Das wäre ja auch wohl noch schöner, denn wenn man das Gegenteil nachweisen könnte, dann wäre § 266 a STGB erfüllt.

Danach wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe, oder – in besonders schweren Fällen – mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft, wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung vorenthält.

Das, meine Damen und Herren, ist genau der Paragraph, nach dem die Staatsanwaltschaft im Kultusministerium ermittelt.

Die Frage ist, warum eigentlich hat das Kultusministerium ab 2004 für die außerschulischen Fachkräfte in den Ganztagsschulen keine regulären Arbeitsverhältnisse, sondern nur Dienstleistungsverträge vorgesehen und den damals geltenden Erlass derart ausweitet?

In ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage liefert die Landesregierung dafür keine überzeugende Begründung.

Honorarverträge können sinnvoll sein, wenn Fachleute von außen in die Schule kommen und dort kurzzeitig und selbstständig Projekte durchführen.

Seit 2004 konnten Honorarverträge aber für die Dauer ganzer Schuljahre abgeschlossen werden, also für den regulären Betrieb.

Vor den Arbeitsgerichten mussten diese Honorarverträge inzwischen in einer ganzen Reihe von Fällen in unbefristete Arbeitsverträge umgewandelt werden.

Worum es der Landesregierung tatsächlich ging, wird aus dem Bericht der AG Honorarverträge der Landesregierung deutlich.

Auf Seite 8 steht dort:

“In einer Besprechung zwischen dem damaligen Staatssekretär und dem Abteilungsleiter 2 wurden im August 2003 bereits die Schwierigkeiten erörtert, die die Einrichtung zusätzlicher Ganztagsschulen und die dafür benötigten zusätzlichen personellen Ressourcen in finanzieller Hinsicht bereiten könnten.”

Es ist doch ganz klar: Die Landesregierung wollte die Investitionsmittel des Bundes für Ganztagsschulen mitnehmen, sich als Wohltäter aufspielen ohne selbst etwas dazuzubezahlen.

Die Lösung: die insgesamt für die bestehenden Ganztagsschulen bereitgestellten Mittel werden auf alle Ganztagsschulen – alte und neue – verteilt.

Im Bericht heißt es:

“Aus den Vorgängen zur Entstehung des Ganztags-Erlasses kann somit geschlossen werden, dass die möglicherweise über die Beschäftigung von außerschulischen Fachkräften mit Honorarverträgen bzw. über die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern zu erzielenden Kostenvorteile gesehen und in die Überlegungen einbezogen wurden. – Die Sozialversicherungsbeiträge spielten”, so heißt es in dem Bericht, “soweit aus den vorliegenden Akten ersichtlich – insoweit jedoch keine Rolle.”

Anrede,

aus den Akten wird auch deutlich, dass das Kultusministerium an dieser Praxis noch festhielt, als sich schon längst abgezeichnet hat, dass sie sich nicht nur am Rande, sondern offenkundig jenseits des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts bewegte.

Seit 2007 hat die Landesschulbehörde in einer Reihe von Schreiben das Kultusministerium darauf hingewiesen, dass es mit den Honorarverträgen der Ganztagsschulen Probleme gibt.

Aber erst zwei Jahre später, im Jahr 2009 sah sich das Kultusministerium veranlasst, grundsätzlich die Frage zu klären, wann ein Dienstleistungsvertrag und wann ein sozialversicherungspflichtiger Arbeitsvertrag abzuschließen ist.

Immer wieder wurde auch unter dem Kultusminister Althusmann die endgültige Klärung offener Fragen verschoben, zuletzt die bereits seit Juni 2010 vorgesehen Prüfung sämtlicher neuen Verträge durch die Landesschulbehörde auf Februar 2011, weil die Landesschulbehörde überlastet war. Vermutlich mit der Vorbereitung der Erlasse für die Oberschule.

Da stellt sich doch die Frage:

Wer ist denn nun eigentlich für die jahrelange Praxis rechtswidriger Dienstleistungsverträge verantwortlich, wer für diesen laxen Umgang mit Recht und Gesetz?

In der Antwort der Landesregierung heißt es:

“Aufgrund von leider bestehenden Lücken in den Akten in den Jahren 2002 bis 2004 konnte der Prozess der Entstehung der Grundsatzerlasse über die Arbeit in der Ganztagsschule (…) sowie der Regelungen zum Einsatz von außerschulischen Fachkräften im Zusammenhang mit ganztagsspezifischen Angeboten (…) nur unzureichend nachvollzogen werden.”

Wie praktisch, Herr Busemann und Herr Althusmann, wenn es in den Ermittlungen zu einer möglichen Straftat nicht nur Erinnerungslücken, sondern auch Lücken in den Akten gibt!

Sie werden uns doch nicht im Ernst erzählen wollen, dass die Entscheidung, die Ganztagsangebote vor allem auf der Basis von freien Dienstleistungsverträgen zu betreiben, ohne das Wissen, die Billigung oder Veranlassung des zuständigen Kultusministers getroffen worden ist, eines Kultusministers, der als Jurist und ehemaliger Rechtsanwalt in Rechtsfragen ja nicht ganz unbeleckt gewesen sein dürfte.

Herr Althusmann, Herr Busemann,

Sie werden sich doch nicht im Ernst hinter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in ihrem Hause vor dem Staatsanwalt verstecken wollen?

Anrede,

ich fasse zusammen:

- Die rechtlich fragwürdigen Verträge nehmen seit 2004 unter Kultusminister Busemann drastisch zu.
- Trotz rechtlicher Bedenken wird jahrelang weiter gemacht.
- Auch unter dem angeblichen Aufklärer Althusmann wird das Problem heruntergespielt und verschoben, bis die Staatsanwaltschaft kommt.
- Die Ganztagsschulen müssen gemeinsam mit den prekär bezahlten außerschulischen Fachkräften das Ganze ausbaden.
- Niemand in der Landesregierung hat den Mut, die Verantwortung für diesen skandalösen Umgang mit Recht und Gesetz zu übernehmen.


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