Pendler haben die Nase voll: Genervt zur Arbeit, genervt nach Hause

von Thorsten Raedlein




Weddel/Braunschweig. Eigentlich sind Pendler, die mit Bus oder Bahn unterwegs sind, ein geduldiges Völkchen. Kleine Verspätungen im Fahrplan bringen sie nicht auf die Palme. Aber was sich Tag für Tag auf der Pendler-Strecke zwischen Braunschweig und Wolfsburg abspielt lässt ihnen mittlerweile die Haare zu Berge stehen…

Drei von ihnen haben am Donnerstag den Dialog mit Hennig Brandes, Direktor des Zweckverbands Großraum Braunschweig (ZGB) gesucht, um ihrem Ärger Luft zu machen. Dr. Dirk Schlingert (Braunschweig) ist seit 17 Jahren auf der Strecke unterwegs. Einsteigen am Braunschweiger Hauptbahnhof, Aussteigen in Fallersleben. Früher kein Problem – heute schon. Seine Erinnerungen an damals hören sich fast schon etwas wehmutig an. "Früher hatte jeder seinen Stammplatz, jeder wusste, wo die anderen Pendler sitzen, die Anreise war stressfrei", erinnert er sich. Seitdem hat das Pendleraufkommen stetig und deutlich zugenommen. Heute komme es jeden Morgen um 7.24 Uhr zu einem "Wettrennen" um einen Sitzplatz. Die Braunschweigerin Andrea Schuhmacher, die vom Braunschweiger Hauptbahnhof bis zum Wolfsburger Pendant pendelt, ergänzt: "Obwohl die Züge schon recht lang sind, passen nicht alle Leute rein." Eine Erfahrung, die der Weddeler Uwe Baumgarten jeden Morgen am eigenen Leib erfährt. Er steigt in Weddel zu und in Wolfsburg aus – zumindest versucht er es. Denn manchmal kommen die Fahrgäste in Wedel gar nicht mehr rein. Wollten vor zehn Jahren drei bis vier Personen in Weddel zusteigen, sind es heute 30 bis 40. "Im Zug stapeln sich die Personen", sagt er. Festhalten eigentlich unmöglich. Bei einer Vollbremsung eine fatale Situation. Gerade die Jüngeren Mitreisenden boxen sich zudem auch schon mal rein oder raus – das Verhalten im Zug ist ruppiger geworden. Ergebnis: Genervt zur Arbeit, genervt nach Hause.

Wichtige Verbindung im Fern- und Regionalverkehr


Im Fern- aber auch im Regionalverkehr ist die Strecke Braunschweig-Wolfsburg über die Weddeler Schleife von großer Bedeutung. Täglich benutzen tausende Pendler die Nahverkehrszüge zwischen Braunschweig und Wolfsburg, Ein stetig zunehmendes Fahrgastaufkommen belegten schon die Fahrgastzahlen von 2002 bis 2011, die einen Zuwachs von 165 Prozent nachwiesen. Bis heute dürften sich die Fahrgastzahlen weiter gesteigert haben. Durch die Weddeler Schleife, die bis zum heutigen Zeitpunkt nur eingleisig verlegt ist, obwohl sie zweigleisig planfestgestellt ist und folglich gebaut werden könnte, kommt es zu Engpässen, die dazu führen, dass diesen Pendlerströmen nicht mehr adäquat begegnet werden kann.

Bauarbeiten in Hessen haben nun auch noch Auswirkungen auf den Verkehr auf dieser Strecke: Vom 3. März bis 6. Juni plant die Deutsche Bahn AG Arbeiten am „Schlüchterner Tunnel“ zwischen Frankfurt und Fulda. Dadurch geraten die ICE-Züge zwischen Frankfurt und Berlin aus dem Takt. Und da die schnellen Fernzüge Vorrang haben, müssen die Regionalzüge zwischen Braunschweig und Wolfsburg warten. Folge: Die Fahrzeiten verlängern sich zum Teil um bis zu 30 Minuten. Außerdem fahren die Züge während der Bauphase unregelmäßig. Am Nachmittag steht zum Beispiel ein Regionalzug in Richtung Braunschweig 26 Minuten im Bahnhof Fallersleben, um vorrangige Züge durchfahren zu lassen. „Das sind unhaltbare Zustände ganz besonders für die vielen Pendler zwischen Braunschweig und Wolfsburg" betont ZGB-Verbandsdirektor Hennig Brandes. Seine Kritik geht hier in Richtung DB Netz AG als zuständiges Eisenbahninfrastrukturunternehmen, das den zweigleisigen Ausbau der „Weddeler Schleife“ laut Brandes seit Jahren halbherzig verfolge.

ENNO soll es richten


"Wir sind mit der Situation nicht zufrieden", sagt Brandes. Allerdings seien dem ZGB die Hände gebunden, denn Betreiber der Strecke sei die DB Regio. Und der fehlen laut eigener Aussage zum einen Personal, zum anderen Züge, um der Lage Herr zu werden. Der ZGB habe daher mit dem Regionalbahnkonzept 2014+ selbst das Ruder in die Hand genommen, um für Abhilfe zu sorgen. Ab Dezember 2015 sollen diese schicken, neuen, 160 km/h schnellen Elektrozüge die Oberzentren Hannover und Wolfsburg, sowie Hildesheim – Braunschweig – Wolfsburg verbinden. Der Kauf und die Bereitstellung neuer Züge sind einer der wichtigsten Bausteine im Regionalbahnkonzept 2014+, das der Zweckverband Großraum Braunschweig mit seiner 2012 gegründeten Tochter RGB mit Nachdruck vorantreibt. Die Fahrzeiten werden sich mit den neuen Zügen deutlich verkürzen.  Heute fahren auf der stark nachgefragten Verbindung Braunschweig-Wolfsburg Dieseltriebzüge, die in Doppeltraktion insgesamt 242 Sitzplätze (+ 180 Stehplätze) bieten. ENNO fährt künftig zur „Rushhour“ ebenfalls in Doppeltraktion, womit sich die Sitzplätze auf 480 verdoppeln (+ 420 Stehplätze).

Pendler hoffen schon jetzt auf Abhilfe


"Was bringt uns aber jetzt schon Erleichterung?", fragte Dr. Schlinkert nicht ohne Berechtigung. Da hatte Brandes wenigstens eine gute Nachricht parat: Die Bahn erlaubt den Pendlern zumindest während des Baustellenfahrplans die Nutzung bestimmter ICEs für die Fahrt zur Arbeit oder nach Hause. Weiterhin versprach der Verbandsdirektor, sich für ein Treffen der Pendler mit Verantwortlichen der DB Regio stark zu machen. "Dann können Sie Ihre Erfahrungen denen direkt berichten, vielleicht erhöht das den Druck und es ändert sich schneller etwas."


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