Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann hat die präventive Terrorismusbekämpfung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe bezeichnet. Schünemann sagte heute bei einer Experten-Anhörung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes unter dem Titel „Islamistische Radikalisierung – Gefahren und Handlungsmöglichkeiten“, ein gesamtgesellschaftlich verankertes Präventionsnetzwerk der Anti-Radikalisierung sei neben der operativen Terrorismusbekämpfung für eine ganzheitliche Anti-Terror-Strategie von zentraler Bedeutung.
Schünemann verwies in seiner Rede darauf, dass die Gefahr islamistischer Gewalt nicht nur von Organisationen ausgehe, sondern auch von selbstradikalisierten Einzeltätern wie im Fall des Frankfurter Attentäters, der Kontakte zur salafistischen Szene hatte. Auch nach dem Tod von Al-Qaida-Führer Osama bin Laden, so der Minister, müsse man damit rechnen, dass Jihadisten in aller Welt motiviert seien, neue Anschläge zu planen und durchzuführen. Das Abdriften junger Muslime in den gewaltbereiten Islamismus bezeichnete Schünemann als Ergebnis eines komplexen Radikalisierungsprozesses. „Die Radikalisierunsprozesse finden immer häufiger mitten in Deutschland, mitten in unserer Gesellschaft statt“, warnte der Minister. Häufig handele es sich dabei um junge Muslime, die gut integriert und sozial eingebunden erscheinen.
Vor dem Hintergrund dieser zunehmenden Bedrohung durch den „homegrown terrorism“ habe er in Niedersachsen im Herbst 2010 die Projektgruppe „Anti-Radikalisierung“ unter Federführung des Verfassungsschutzes eingerichtet, so der Minister. Sie habe den Auftrag, ein ganzheitliches Handlungskonzept zu entwickeln, um der Radikalisierung junger Muslime entgegenzuwirken: „Besondere Bedeutung kommt hierbei einer Online-Strategie gegen Radikalisierung und Rekrutierung zu. Wir wollen junge Muslime darüber aufklären, wie es in den Terror-Camps wirklich aussieht. Aber auch über die Vielfalt des Islams und über die guten Chancen, die junge Muslime in einer freien Gesellschaft haben.“
Die Projektgruppe „Anti-Radikalisierung“, so der Minister, werde im Herbst ihre Ergebnisse vorlegen. Als Kernbausteine nannte Schünemann insbesondere verbindliche Präventionspartnerschaften mit öffentlichen Einrichtungen, d.h. ein Netzwerk fester Ansprechpartner, die Verstetigung der Zusammenarbeit mit muslimischen Einrichtungen, die Prüfung eines Aussteigerprogrammes, die Entwicklung einer medialen Gegenstrategie zu islamistischer Propaganda sowie die Erkenntnisgewinnung über die Wirkung salafistischer Ideologie. Die Experten-Anhörung sei Teil der begleitenden Arbeit und habe ihr wichtige Impulse gegeben.
Zu der Anhörung hatte der Niedersächsische Verfassungsschutz ausgewiesene Experten eingeladen, die in ihren Beiträgen die unterschiedlichen Facetten islamistischer Radikalisierung aufzeigten und über mögliche Gegenstrategien diskutierten. In dem ersten Themenblock „Islamistische Radikalisierung – Erfahrungen in Deutschland und Europa“ diskutierten die Terrorismusexperten Dr. Asiem El Difraoui von der Stiftung Wissenschaft und Politik, Brahim Ben Slama vom Bundeskriminalamt und Dr. Ivo Veenkamp vom Büro des Niederländischen Antiterror-Koordinators über die Gefahren des „homegrown Terrorismus“ sowie über soziale und kulturelle Faktoren der Radikalisierung.
Im zweiten Themenblock sprachen Jörg Lau von der ZEIT, Dr. Ekkehard Rudolph vom Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen sowie Claudia Dantschke von der Gesellschaft Demokratische Kultur über die Bedeutung der Medien bei der islamistischen Radikalisierung. Der dritte Themenblock widmete sich der Frage nach der gesamtgesellschaftlichen Herausforderung durch islamistische Radikalisierung. Es diskutierten Dr. Rita Breuer vom Bundesamt für Verfassungsschutz, Dr. Götz Nordbruch vom Verein ufuq.de sowie Prof. Rauf Ceylan von der Universität Osnabrück.
Über 200 Gäste nahmen an der Veranstaltung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes teil.
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