Sie überwand die Berliner Mauer

von Sina Rühland


| Foto: Sina Rühland



Wolfenbüttel. Im 13. August 1961 wurde der Bau der Mauer beendet, die mehr als 28 Jahre Deutschland teilen sollte. Im selben Jahr, am 8. September, entschloss sich die Ost-Berlinerin Hiltrud Bayer eben diese zu überwinden – einen Tag später kam ihr Sohn zur Welt. Heute, 53 Jahre danach, übersteigt sie als Mensch und Ortsbürgermeisterin Fümmelses manchmal immer noch Mauern – sie will wissen, was sich dahinter verbirgt.

Ihre Wohnung ist voller Erlebnisse. Unzählige Andenken sämtlicher Kontinente zieren Wände und Anrichten, Stapel von Büchern warten darauf noch gelesen zu werden, Regale biegen sich unter der schweren Last der Ordner, die mit den detailgetreuen Erinnerungen ihrer Reisen gefüllt sind. Hiltrud Bayer ist seit 30 Jahren viel gereist. Sie wollte schon immer die Welt sehen – fremde Kulturen, Veränderungen und sich wandelnde Geschichten erkunden. Ihre eigene hat 1942 im Osten Berlins begonnen, genauer gesagt in Berlin-Heinersdorf, zugehörig zum Ortsteil Pankow.



„Ich bin ein geprägtes Kind der deutschen Teilung“, sagt Bayer. Sie hat den Aufstand am 17. Juni 1953 miterlebt, den Bau der Mauer am 13. August 1961, hat für Brot angestanden und Grenzsoldaten mit Wasserwerfern erlebt. Erst elf Jahre nach ihrem Mauersprung sollte sie einen ihrer vier Brüder das erste Mal wieder in Ost-Berlin wiedersehen. „Die Angst saß tief, ich habe mich gefragt: kommst du da wieder raus?'“ Sie kam wieder raus.

Nachdem sie bereits mit 16 Jahren ihr Abitur in Ost-Berlin gemacht hat, teilte man ihr mit, dass sie nicht zum Studium zugelassen wird, da ihr Vater Arzt gewesen ist. Ein Akademiker reiche. „Die DDR war eben ein Arbeiterstaat und ich kein Arbeiterkind“, sagt sie. Sie machte in West-Berlin als Grenzgängerin in einer sogenannten „Ost-Klasse“ ihr Abitur noch einmal und studierte dann an der FU zwei Semester Medizin. Durch den Mauerbau siedelte sie in die Bundesrepublik Deutschland über und begann an der Kant-Hochschule Pädagogik mit den Fächern Geschichte, Mathematik und politische Bildung zu studieren – Hiltrud Bayer wurde Lehrerin.

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Ortsbürgermeisterin Hiltrud Bayer und Schulleiterin Roswita Reimann. Foto: Romy Marschall)



Ihre erste Stelle nimmt sie 1970 in Fümmelse an. Was sie damals noch nicht wissen konnte: sie wird sich dort bis zu ihrer Pensionierung an einer Schule engagieren. „Ich wollte eigentlich nur zwei Jahre hier bleiben“, erzählt sie, lacht und zieht an ihrem Zigarillo. So entschied sie sich mit ihrem Sohn in Fümmelse zu bleiben und wird 1976 schließlich Schulleiterin der Grundschule. Schon in Berlin war sie politisch interessiert; sie ist 1964 in die SPD eingetreten und hat mit ihrer politischen Arbeit begonnen. Im April 2014 ist Bayer mittlerweile 50 Jahre Mitglied bei den Sozialdemokraten. Seit 1986 ist sie im Rat der Stadt Wolfenbüttel und seit 2011 Ratsvorsitzende.

Erste Bürgermeisterin im Landkreis


Hiltrud Bayer ist im Jahr 1976 die erste Frau, die im Landkreis Wolfenbüttel zur Ortsbürgermeisterin gewählt wurde. Sie ist es noch heute. Seit 1972, damals im Gemeinderat, engagiert sie sich für das Wohl ihrer Mitmenschen. „Man kann nur zur Anerkennung kommen, wenn man etwas tut – und irgendwie bin ich dann immer wieder gewählt worden“, sagt sie. „Wir haben in diesen Jahren aber auch wirklich viel in Fümmelse geschafft – die Turnhalle, ein neues Feuerwehrgerätehaus, die Friedhofskapelle, das Dorfgemeinschaftshaus.“ Man merkt, sie ist durch und durch Fümmelser Bürgerin. „Ich bin ein Lokalpatriotin“, sagt sie über sich.

Eine Lokalpatriotin, die gerne reist. Sie war unter anderem in Peru, China, Tibet und Indien. „Reisen erweitern den Horizont“, sagt sie. Auf ihren vielen Reisen hat Hiltrud Bayer auch viel Armut gesehen. Eindrücke gewonnen, die sie nicht so einfach am Flughafen ablegen konnte und auch nicht wollte. Sie setzt sich von ihrer Wirkungsstätte aus, zum Beispiel für die Menschen der Partnerstadt in Satu Mare, Rumänien, ein. „Wir haben die Menschen in Fümmelse auf die dort herrschende Armut aufmerksam gemacht und so gibt es immer wieder Spenden“, erzählt sie.

Ihre Wünsche für die Zukunft laufen immer wieder in Fümmelse zusammen: „Ich möchte, dass die Fümmelser Straße saniert wird, die Fußwege Im Burgkamp gemacht und neue Baugebiete für junge Familien ausgewiesen werden – das ist das Wichtigste.“ Hiltrud Bayer hat Pläne. Pläne, für die sie auch weiterhin Mauern überwinden wird.


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