Wolfenbüttel. Jetzt kracht es zwischen der CDU und den Grünen im Rat der Stadt Wolfenbüttel. Es geht um Wahrheit, Lüge, Entgleisung und das Recht der freien Rede.
Der CDU-Stadtratsabgeordnete Andreas Meißler hinterfragte im städtischen Bauausschuss am Dienstag den Wahrheitsgehalt einer Aussage des Grünen Ratsherrn Leonhard Pröttel. Dessen Fraktionskollege Stefan Brix fand das im Nachgang der Sitzung "nicht hinnehmbar" und wandte sich Rat suchend in einer vertraulichen E-Mail an die Verwaltungsspitze der Stadt sowie den Ausschussvorsitzenden Gerhard Kanter (CDU). Davon erfuhr jedoch der CDU-Fraktionsvorsitzende Marc Angerstein, der sich jetzt vor seinen Parteifreund Meißler stellt und das Thema sowohl vor dem gesamten Stadtrat als auch öffentlich an die Wolfenbütteler Medien eskaliert. Er sieht in Brix' E-Mail nichts weniger als einen Versuch, die freie Rede eines Politikers einzuschränken und fühlt sich an "längst vergangene und überwunden gewähnte Zeiten" erinnert.
Was die Polizei mit dem Streit zu tun hat
Ursprünglich ging es ja eigentlich nur um den Antrag der Grünen, im Innenstadtgebiet explizit Parkplätze für Streifenwagen der Polizei auszuweisen, damit diese - lapidar gesagt - nicht irgendwo wild parken. Der Grüne Ratsherr Leonhard Pröttel hatte sich nämlich daran gestört, seinem Ärger beim Kurznachrichtendienst X Luft verschafft und einen entsprechenden Antrag zur politischen Beratung verfasst. In dessen Begründung heißt es ganz zum Schluss: "Die Idee für solche Parkplätze wurde im Gespräch mit Hrn. Twardowski vom Polizeikommissariat Wolfenbüttel entwickelt." Die Rede ist hier vom Leiter des Polizeikommissariats.
Ohne jegliche Begründung hinterfragte CDU-Mann Meißler im Ausschuss dann genau diese Behauptung: "Das entspricht der Wahrheit?" Und nachdem Pröttel dies bejaht hatte, hakte Meißler nach und fragte: "100-prozentig?" Auf die Gegenfrage Pröttels, ob Meißler etwas anderes behaupten wolle, entgegnete dieser, nur nachfragen zu wollen. Im Sitzungssaal herrschte zwischenzeitlich eine angespannte Stille. Pröttel erklärte sich und blieb entschlossen bei seiner Version. Es folgte ein starrer Blick Meißlers auf Pröttel, gefolgt von einer theatralischen Pause und einem abschließenden "Vielen Dank!", bevor dann Dr. Manfred Wolfrum von der AfD das Wort ergriff, um "SUV-fahrende Zugewanderte" von der Polizei kontrollieren lassen zu wollen.
Der CDU-Ratsherr und -Stadtverbandsvorsitzende Andreas Meißler war auf der Suche nach der Wahrheit. Foto: Werner Heise
Die Beschwerde kam erst hinterher
Weder Pröttel noch Brix beschwerten sich über Meißlers Fragen. Dies folgte dann einen Tag später per E-Mail als "Causa Andreas Meißler" an den Ausschussvorsitzenden Kanter sowie die Verwaltungsspitze mit Bürgermeister Lukanic, Erstem Stadtrat Foraita und Stadtrat Drahn. Eine E-Mail, die Brix "nach der Regel für Beschwerden 'nicht vor Ablauf einer Nacht und nicht nach Ablauf von 14 Tagen'" versandt haben will. Zudem schreibt er "Sie geht nur an euch vier, es steht niemand im BCC, weil es mir ein persönliches Anliegen ist." Dass der Empfängerkreis nun ungewollt größer geworden ist, dafür hat CDU-Fraktionschef Marc Angerstein gesorgt.
Sein Schweigen im Ausschuss begründet Brix in seiner E-Mail mit seiner Irritation auf die Frage Meißlers und dass er deswegen, ebenso wie die Empfänger der E-Mail, nicht eingegriffen hätten. Er beklagt: "Ich halte das Verhalten von Andreas Meißler für nicht hinnehmbar. Man muss Leo Pröttel und seinen Stil nicht mögen, aber am Wahrheitsgehalt einer (im Übrigen leicht nachprüfbaren) Aussage eines Ratsmitgliedes, die noch dazu in einem Antrag der Fraktion steht, öffentlich und ohne jede Belege zu zweifeln ist einfach unangemessen und kein Umgang, der im Rat der Stadt Wolfenbüttel geduldet werden sollte." Brix hält die Einlassungen Meißlers für eine Entgleisung. Er stelle keinen Antrag auf eine Rüge oder dergleichen, sondern "bitte euch lediglich, aber herzlich um eine Einschätzung der Situation."
Die E-Mail, die inhaltlich ansonsten noch auf den Antrag selbst eingeht und Verständnis für eine andere Formulierung der Frage Meißlers aufgebracht hätte, ist unterzeichnet mit "Liebe Grüße Stefan". Bevor es darum geht zu verstehen, warum dies Erwähnung findet, klären wir zunächst eine andere Frage: Wollte Meißler eine Lüge aufdecken?
Am heutigen Freitag von regionalHeute.de mit der Frage konfrontiert, streitet Andreas Meißler das ab. Er erklärt seine Fragen nach dem Wahrheitsgehalt mit seinem Bedürfnis, alle wichtigen Aspekte eines Antrages kennen zu wollen. Nur dann könne man über einen Antrag beraten. "Für mich ist das keine Besonderheit, wenn man nachfragt", sagt Meißler und verweist auf die Freiheit der Interpretation, falls jemand etwas anderes herausgehört haben will. Und obwohl Angerstein in seinem eskalierenden Schreiben erklärt, dass die CDU-Fraktion bereits vor Eintritt in die Tagesordnung über "die Falschbehauptungen der Grünen-Fraktion in ihrem Antrag informiert gewesen" sei, bestreitet Meißler nun genau diesen Punkt für sich.
Angerstein sieht das freie Wort in Gefahr?
Ob es im Übrigen eine Falschaussage war, dass die Idee der Polizeiparkplätze im Gespräch mit dem Kommissariatsleiter entwickelt wurde, oder nicht, scheint gänzlich in den Hintergrund gerückt zu sein. Denn jetzt geht es auf einmal um Demokratieverständnis und die Befürchtung, dass das Recht der freien Rede eines Stadtratsmitgliedes eingeschränkt werden soll. Diesen Vorwurf erhebt jedenfalls der CDU-Fraktionsvorsitzende Marc Angerstein. "[...], ist doch die Rede von 'einem nicht hinnehmbaren Verhalten' des Herrn Meißler, weil er im direkten Kontext zum zu beratenen Antrag eine inhaltliche Frage stellte, was natürlich sein gutes Recht als frei gewähltes Mitglied des Stadtrates ist. Herr Brix versucht nun aber dies zu skandalisieren und meint, dass dies (Zitat:) unangemessen sei und im Rat der Stadt Wolfenbüttel nicht geduldet werden sollte", schreibt Angerstein.
Der CDU-Fraktionsvorsitzende Marc Angerstein machte Brix' E-Mail öffentlich und befürchtet eine Gefahr für die Freie Rede. Foto: Axel Otto
Der CDU-Fraktionsvorsitzende zeigt sich "entsetzt, über das Demokratie- und Politikverständnis" des Grünen Abgeordneten Brix. Er fragt: "Wie kann ein frei gewählter Bürgervertreter einem anderen frei gewählten Bürgervertreter das freie Wort entziehen wollen? Da werden Erinnerungen an längst vergangene und überwunden gewähnte Zeiten wach." Und geht dann auf den Text der E-Mail Brix' ein, der wie oben beschrieben mit "Liebe Grüße Stefan" unterzeichnet wurde. "Auch die Art und Weise, einer konspirativ verfasst wirkenden, aber freundschaftlich auf Vertrauen bauend wirkende E-Mail in der 'Du'-Ansprache der Empfänger, mit der verschwörerischen Anmutung eines 'das ist aber unser Geheimnis und wir sagen das auch keinem' ist ein fragwürdiger Stil im Umgang mit dem Bürgermeister (dem Hauptverwaltungsbeamten) und seiner Verwaltungsspitze." Angerstein vermutet dahinter die Aufforderung nach einer Stellungnahme, mit der unausgesprochenen Erwartungshaltung eines "Ihr seht das doch auch so, dass der CDU-Politiker Meißler nicht grüner Meinung ist und deshalb am besten keine Fragen im Ausschuss stellen darf."
Die geforderte Stellungnahme der Empfänger ist für Angerstein ein Indiz dafür, dass Stefan Brix hoffe, die Verwaltungsspitze würde sich mit ihm solidarisieren und künftig wahrheitsfindende oder kritische Nachfragen unterbinden. "Welchen anderen Zweck soll eine solche Mail mit der Bitte um Stellungnahme sonst haben?", meint Angerstein. Er erwartet jetzt vom Bürgermeister und von der Verwaltungsspitze in den von Brix eingeforderten Stellungnahmen "ein klares Bekenntnis zur Demokratie und ein klares Votum zur Beibehaltung der freien Rede gemäß Geschäftsordnung im Rat der Stadt Wolfenbüttel - für alle Fraktionen und Gruppen - egal welche auch unangenehmen Fragen gestellt werden."
Stefan Brix selbst zeigt sich im Gespräch mit regionalHeute.de verärgert über das Vorgehen Angersteins. Er habe von den Empfängern seiner E-Mail lediglich die dort angefragte Einschätzung für sich haben wollen. Angersteins Anschuldigungen weist er zurück.
Wahrheit, Lüge oder Missverständnis?
Bleibt noch die Frage offen, ob Leonhard Pröttel nun die Unwahrheit gesagt hat, dass die Idee für Polizeiparkplätze in der Innenstadt im Gespräch mit dem Leiter des Polizeikommissariat Wolfenbüttel Andreas Twardowski entwickelt wurde. Der hatte bereits zuvor gegenüber regionalHeute.de erklärt, dass es sich um eine alleinige Idee Pröttels gehandelt habe, also keine gemeinsam entwickelte und die geforderten Parkplätze in 95 Prozent der polizeilichen Einsätze aufgrund taktischer Maßnahmen nicht genutzt werden würden. Gegenüber der Stadtverwaltung hatte Twardowski mit Datum vom 18. September die folgende Stellungnahme abgegeben, die wir im folgenden ungekürzt veröffentlichen, die dem Ausschuss so in Gänze von der Stadtverwaltung nicht vorgelegt wurde und die je nach Interpretation klären könnte, wie Pröttels Aussage zu verstehen ist.
Zum vorliegendem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Rat der Stadt Wolfenbüttel nehme ich wie folgt Stellung:
In einem Gespräch in anderer Sache mit dem Ratsherrn Leonhard Pröttel wurde u.a. auch das Abstellen von Funkstreifenwagen im Bereich der Fußgängerzone Wolfenbüttel thematisiert. Dabei erklärte ich Herrn Pröttel, dass u.a. auch bei einer Fußstreife eines Kontaktbeamten der zeitnahe Zugriff auf das Dienstfahrzeug gewährleistet sein muss, um z.B. Personen, die sich einer Kontrolle durch Flucht entziehen wollen, verfolgen oder bei Fahndungsmaßnahmen möglichst schnell den vorgesehenen Kontrollpunkt einnehmen zu können. Deshalb sei die Polizei auch in diesen Fällen berechtigt, Sonderrechte im Sinne des § 35 StVO in Anspruch zu nehmen.
In diesem Zusammenhang machte Herr Pröttel den Vorschlag spezielle Parkplätze für polizeiliche Einsatzfahrzeuge einzurichten, damit beim Bürger nicht der Eindruck entstehe, dass die Polizei beim Abstellen der Streifenfahrzeuge diese Sonderrechte unnötigerweise in Anspruch nimmt oder ggf. Rettungswege versperrt werden.
Grundsätzlich ist dieser Antrag aus hiesiger Sicht zu befürworten.
Ich weise jedoch darauf hin, dass auch bei der Einrichtung derartiger Parkplätze es nicht gewährleistet ist, dass in jedem Fall ausschließlich diese Parkplätze zum Abstellen der Streifenfahrzeuge genutzt werden. So wird es bei entsprechenden polizeilich relevanten Vorkommnissen, insbesondere bei allen Sofortlagen, auch in Zukunft der Fall sein, dass Streifenfahrzeuge unter Inanspruchnahme von Sonderrechten gem. § 35 StVO im Bereich der Fußgängerzone auch außerhalb der markierten Parkflächen direkt am Einsatzort abgestellt werden müssen.
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