Wolfenbüttel. Es hat schon eine gewisse Tradition, dass vor einer Bundestagswahl die Direktkandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien zu einer Diskussionsrunde in das Theodor-Heuss-Gymnasium (THG) eingeladen werden. Am heutigen Dienstag war es wieder soweit.
Sigmar Gabriel (SPD), Uwe Lagosky (CDU), Ghalia El Boustami (Die Grünen) und Victor Perli (Die Linke) hatten sich in der Aula des THG eingefunden, um miteinander aber auch mit den Schülerinnen und Schülern der Jahrgänge zehn, elf und 12 zu diskutieren.
Die Veranstaltungwurde von den Schülern Lisa Rau und Vincent Schwarz moderiert, die gleich zu Beginn eine friedliche Streitkultur "im Sinne Theodor Heuss´" anmahnten. In der Auftaktrunde konnten sich die Kandidaten vorstellen und einige Punkte nennen, die ihnen besonders am Herzen liegen. Für Uwe Lagosky steht dabei neben sozialer Fürsorge und innerer Sicherheit vor allem die Familie im Zentrum. In diese müsse man mehr Zeit und Geld investieren.
"Man kann was bewegen"
"Man kann was bewegen, auch als Jugendlicher", ist sich Ghalia El Boustami sicher, für die die politische Teilhabe ein zentrales Thema darstellt. Verteidigung der Menschenwürde, Klimaschutz, Gleichstellung sowie Integrität gegen Heuchelei sind weitere ihrer Schwerpunkte.
"Deutschland müsse Friedensmacht bleiben", betonte der amtierende Bundesaußenminister Sigmar Gabriel. Der Rüstungsetat solle nicht erhöht werden, man dürfe Donald Trump nicht blind folgen. Der Zusammenhalt Europas sei ihm ebenso wichtig. Man dürfe aber nicht vergessen, dass wirtschaftlicher Erfolg, die Basis für alles sei.
Für Victor Perli stehen soziale Aspekte im Vordergrund. Jeder Dritte sei von Altersarmut bedroht. Und nur noch jeder Achte glaube heute daran, dass es ihm einmal besser gehe als seinen Eltern. Weitere Ziele sind die Wahrung des Friedens und die Verteidigung der offenen Gesellschaft.
Fluchtursachen bekämpfen
Das erste Thema, das die Moderatoren vorgaben, lautete Flüchtlingspolitik. Hier waren sich alle einig, dass vor allem die Ursachen der Flucht bekämpft werden müssten. Dabei betonte Victor Perli, dass auch Deutschland mit seinen Waffenexporten für Fluchtgründe sorge. Sigmar Gabriel stimmte zwar zu, dass Deutschland einen hohen Rüstungsexport habe, die Summe sage aber nichts über die Gefährlichkeit aus. So habe Deutschland den Export von Kleinwaffen stark reduziert.
Angesichts der derzeitigen Situation in Italien prognostizierte Gabriel die nächste große Flüchtlingskrise. Es sei ein Versagen der EU, dass man das Problem nicht gemeinsam angehe. Während er undGhalia El Boustami befürworteten, dass Länder, die sich weigerten, Flüchtlinge aufzunehmen, finanzielle Ausgleichsleistungen zahlen müssten, sprach sich Uwe Lagosky dagegen aus, dass sich Länder von ihrer Verantwortung frei kaufen könnten.
Wieviel Integration verträgt Deutschland
Ghalia El Boustami und Uwe Lagosky lobten beide Deutschland und was hier vor zwei Jahren während des großen Zuzugs von Flüchtlingen geleistet wurde - von den Behörden aber vor allem auch von den vielen ehrenamtlichen Helfern. WährendEl Boustami jedoch forderte, die Aussetzung der Familienzusammenführung zu beenden, mahnte Lagosky zu schauen, wieviel Integration Deutschland vertragen könne. Eine Obergrenze lehnte er zwar ab, aber einen Richtwert von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr solle man im Auge behalten. Dass man bei humanitären Sondersituationen mehr tun müsse, sei klar.
Elektromobilität verschlafen?
Weitere Themen bestimmten die Schülerinnen und Schüler des THG. Natürlich spielte hier auch der VW-Abgasskandal eine Rolle. Deutschland habe den Umstieg auf Elektromobilität verschlafen, betonteEl Boustami. Sigmar Gabriel warnte dagegen, dass man nicht alle Verbrennungsmotoren klein reden dürfe. "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zigtausend Leute vor unlösbare Probleme stellen", so Gabriel. "Wir können auch bessere Diesel bauen." Ein Problem sei auch, dass die Herstellung von Elektroautos wesentlich weniger Arbeitskräfte benötige. Darüber müsse man sich bei der Umstellung auch Gedanken machen.
Ein wenig hitziger wurde die Diskussion - insbesondere zwischen Sigmar Gabriel und Victor Perli - als es um Hartz IV und die Agenda 2010 ging. Gabriel wehrte sich gegen seiner Meinung nach überzogener Forderungen der Linken. Der Wirtschafts LK des THG solle doch mal ausrechnen, ob es wirklich so sinnvoll sei, wenn der Mindestlohn auf zehn, elf Euro angehoben würde. Ein massiver Anstieg der Schwarzarbeit sei dann zu befürchten. Allerdings schloss sich Gabriel der Ansicht an, dass Leih- und Zeitarbeit begrenzt werden müsse. "Die Leute kriegen keinen anständigen Lohn mehr, die Tarifbindung nimmt immer weiter ab", so Gabriel.
Lisa Rau und Vincent Schwarz moderierten. Foto: Dontscheff
Uwe Lagosky betonte die Erfolge der Vergangenheit. Man habe fünf Millionen neue Jobs geschaffen, die Zahl der Langzeitarbeitslosen von eine Million auf 900.000 reduziert. Dennoch müsseman mehrChancengleichheit schaffen. Ghalia El Boustami warnte vor Augenwischerei. Mancher würde nur von einer Maßnahme in die andere geschoben. Das bedingungslose Grundeinkommen sei durchaus eine Option, derzeit aber wohl eher eine Utopie.
In der Abschlussrunde durften die Kandidaten noch einmal kurz für sich werben. Während Viktor Perli dezidiert um die Zweitstimme buhlte, damit er sich für soziale Gerechtigkeit und Frieden einsetzen könne, betonte Sigmar Gabriel, dass er Außenminister bleiben wolle, um für den Frieden in Europa und die Zukunft des Landes zu kämpfen.Ghalia El Boustami will durch ihre besondere, persönliche Perspektive den Bundestag bunter und weiblicher machen, und Uwe Lagosky möchtesich für den Forschungs- und Industriestandort der Region einsetzen und sich um die Themen Asse und Schacht Konrad kümmern.
Nach dem Ende der Diskussion hatte Sigmar Gabriel noch ein wenig Zeit für Gespräche mit den Schülern. Foto: Dontscheff
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