Wolfenbüttel/Fallersleben. Wenn Tom Krollig im Klassenraum der 10a an der Hauptschule Fallerleben seinen Aufgaben nachgeht, ist Christine Konrath meist in seiner Nähe. Der 18-Jährige wird diesen Sommer die Schule abschließen – damit hat auch Konrath ihre Aufgabe erfüllt.
Tom Krollig hat das Down Syndrom – eine Diagnose, die für die meisten jungen Menschen den Weg zur Förderschule bedeutet. Eine hauptberufliche Schulbegleiterin – wie Konrath – ermöglicht Menschen mit Behinderungen hingegen den Besuch einer regulären Schule. „Wir wollten Tom von Anfang an integrativ beschulen“, sagt dessen Mutter, Nicole Krollig. Sie habe damals vor gut zwölf Jahren im Internet nach Lösungen gesucht und sei dabei auf das relativ neue und unbekannte Thema Schulbegleitung gestoßen. Durch einen Zufall habe die Familie die Erzieherin Christine Konrath kennengelernt. Auch für sie sei das Thema damals neu gewesen. „Als die Familie den Wunsch äußerte, war ich sofort interessiert“, erinnert sich Konrath, die fortan täglich Tom in der Schule unterstützte. „Sie hat mir immer gut geholfen“, bestätigt Tom schmunzelnd.
„Als Schulbegleiterin arbeite ich eigentlich gegen mich selbst. Meine Tätigkeit soll im Laufe der Zeit nach und nach überflüssig werden“, sagt Konrath. Sie unterstützt Tom während des Schulalltags, wo es nötig ist: ob pädagogisch oder körperlich, im Klassenraum oder auf dem Pausenhof. Das Ziel ist dabei stets, die Selbstständigkeit immer weiter zu fördern. „Außerdem sensibilisiere ich die Mitschüler und Lehrer für das Thema Behinderung“, erzählt Konrath. Insbesondere Lehrer bräuchten eine Weile, um sich daran zu gewöhnen, dass stets ein zweiter Erwachsener im Raum ist. „Nach und nach wird man aber von allen als Hilfe wahrgenommen und wird auch für viele andere Schüler zum Ansprechpartner“, sagt Konrath.
„Schule hat mir immer Spaß gemacht, und ich habe hier viele Freunde gefunden“, sagt der 18-Jährige Tom, der unter anderem Sport und Kunst zu seinen Lieblingsfächern zählt. Seine Mutter ergänzt: „Vor allem an der mit Vorurteilen belasteten Hauptschule hat sich ein soziales Miteinander entwickelt. Die Mitschüler haben erkannt, dass jeder seine Defizite hat. Tom wurde schnell von allen aufgenommen.“ Sie habe sich immer gefreut, wenn Klassenlehrer und Schulleiter erzählten, dass sich in den Integrationsklassen stets ein gutes Miteinander entwickelt.
„Das ist doch das größte Kompliment für die Inklusion – und die Beschulung von Kindern mit Behinderung in ganz normalen Schulen“, meint Kristina Völker. Sie ist bereits seit 10 Jahren beim Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes in Wolfenbüttel beschäftigt und koordiniert heute mit 5 weiteren Kolleginnen im Integrations- und Therapiezentrum (ITZ) die Schulbegleitungen in Wolfenbüttel und dem näheren Umland. Völker hat Familie Krollig seinerzeit kennengelernt, nachdem Toms Eltern die Schulbegleiterin während der ersten zwei Schuljahre selbst beschäftigen mussten. Konrath wurde übers ITZ beschäftigt. „So haben wir das Arbeitsverhältnis auf professionellere Beine gestellt“, findet Nicole Krollig. Das ITZ bietet etwa regelmäßig Fortbildungen für seine Schulbegleiter an, sorgt auch für Vertretung bei Erkrankungen der hauptamtlich angestellten Mitarbeiter in der Abteilung.
„Tatsächlich ist Tom für uns eine der längsten kontinuierlichen Schulbegleitungen“, berichtet Kristina Völker vom ITZ, das diesen Service seit 2004 anbietet. „In der Zeit haben wir natürlich viel Erfahrung gesammelt und uns immer weiter professionalisiert“, so Völker. Inzwischen begleite die DRK-Einrichtung permanent rund 100 Schüler in Wolfenbüttel, Braunschweig und den umliegenden Städten und Landkreisen. Der Abschied von der Schulzeit schmerzt Tom schon ein wenig – noch emotionaler wird wohl aber der Abschied von Konrath, die nach den Sommerferien ein anderes Kind an der Hauptschule Fallersleben begleiten wird. Tom wird künftig über das Förderprogramm „Unterstützte Beschäftigung“ verschiedene Praktika absolvieren und letztlich eine Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt suchen. Die Arbeit in einer Werkstatt für Behinderte komme für ihn nicht in Frage. Er entscheidet gerne selbst, welche Tätigkeit er machen will. Auch vom DRK Wolfenbüttel wird die „Unterstützte Beschäftigung“ angeboten. „Wir haben erkannt, dass noch viel mehr Menschen mit Behinderungen ihren individuellen Weg in den Arbeitsmarkt suchen“, erklärt Völker. „Mit dem Abschluss der Schule soll es ja schließlich ganz normal weiter gehen.“
„Am liebsten würde ich mein Geld mit Musik verdienen und Musiker werden“, sagt Tom, der in seiner Freizeit gerne E-Gitarre spielt. Die besten Job-Chancen habe er wohl aber in der Gastronomie. „Rückblickend muss ich sagen, dass Toms Schulbildung an einer Förderschule nicht dieselbe Qualität erreicht hätte“, lautet Nicole Krolligs Bilanz. Das fange beim Rechnen und Schreiben an. Insbesondere aber bei seiner Selbstständigkeit und dem selbstbewussten Auftreten seien große Fortschritte erkennbar. Diese Eigenschaften werden Tom bei der nächsten großen Herausforderung nützlich sein – wenn er sich auf dem Arbeitsmarkt behaupten muss. Hier sicherlich ebenso mit ein wenig Unterstützung, aber immer so selbstständig und selbstbestimmt wie möglich.
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