Umfassende GEW-Stellungnahme zum Schulstart 2011


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„Noch nie haben wir so viel Geld in Bildung und Wissenschaft investiert!“, jubelte Ministerpräsident David McAllister nach der Haushaltsklausur der Niedersächsischen Landesregierung 5. Juli 2011 in Hannover, bei der ein Doppelhaushalt für 2012 und 2013 beschlossen worden war. Für den Bereich des Kultusministeriums sind für die Haushaltsjahre 2012 insgesamt 4,964 Milliarden € und für 2013 insgesamt 5,044 Milliarden € festgelegt worden. Alle Stellen in den Schulen bleiben erhalten. 700 zusätzliche Stellen (11,6 Millionen €) sind im allgemeinbildenden Bereich, im berufsbildenden Bereich zusätzliche 150 Stellen (2,5 Millionen €) vorgesehen. Dieser Mehrbedarf soll die Rückgabe der Arbeitszeitkonten in den Gymnasien ab 2012 und in den Berufsbildenden Schulen ab 2013 ausgleichen.

Die GEW sieht sich bestätigt, in einer Pressererklärung heißt es (ungekürzt und unkommentiert):

„Diese Beschlüsse sind ein Erfolg für die GEW Niedersachsen, denn die Landesregierung hatte zu Beginn der Legislaturperiode beschlossen, dass in erheblichem Umfang Stellen gestrichen werden sollen. Bis zu der großen Demonstration gegen den geplanten Betrug beim Lehrerarbeitszeitkonto am 8. Mai 2008 hatte die Regierung gar keinen Ausgleich für die Rückgabe der zwangsweisen Mehrarbeit vorgesehen. Sie wollte die fehlenden Stellen durch eine stärke Belastung der Lehrkräfte kompensieren. Die GEW hatte seit Beginn der Legislaturperiode gefordert alle Stellen zu erhalten und die notwendigen Ausgleichsstellen zu schaffen. Diese Forderung wurde alljährlich öffentlich präsentiert.

Nur wenn alle Stellen erhalten bleiben, nur wenn der Mehrbedarf für das Lehrerarbeitszeitkonto ausgeglichen wird und wenn gleichzeitig die zusätzlichen Aufgaben wie Ganztagsschulen und Inklusion personell abgesichert werden, können die Arbeitsbedingungen bei sinkenden Schülerzahlen verbessert werden“, betonte der Landesvorsitzende Eberhard Brandt auf der Pressekonferenz zum Schuljahresanfang am 15. August 2011.

Mittel für Abbau der Mehrbelastung, für Ganztag und Inklusion fehlen
Massive Kritik äußerte der GEW-Landesvorsitzende daran, dass das Volumen der zusätzlichen Stellen zu gering ist, um die in den letzten Jahren angewachsene zusätzliche Belastung der Lehrkräfte wieder abzubauen. Außerdem seien weiterhin keine Mittel für die personelle Grundausstattung der seit 2004 genehmigten Ganztagsschulen vorgesehen. „Das ist nach dem Scheitern des schwarz-gelben Billigmodells und der erwiesenen Rechtswidrigkeit der Honorarverträge völlig unverständlich.“ Auch die Einführung der inklusiven Bildung wird nicht durch zusätzliche Stellen abgesichert. „Zum Nulltarif ist Inklusion nicht verantwortungsvoll umzusetzen.“ kritisiert der Eberhard Brandt. Immerhin würde eine Million für ein Inklusions-Fortbildungsprogramm bereitgestellt, doch auch da knirsche es, weil die Konditionen für die Multiplikatoren nicht stimmen. Die personelle Ausstattung der Schulbehörde solle nach den Regierungsplänen so schlecht bleiben wie sie ist. Die ordentliche Arbeitsfähigkeit der Behörde sei unter den derzeitigen Bedingungen nicht gegeben.

Brandt fordert den Minister auf, zu seiner Aussage zu stehen, die Anzahl der Schulpsychologen anzuheben. Die Versorgung mit dieser wichtigen Berufsgruppe ist in Niedersachsen extrem niedrig. Die vom Minister versprochenen sieben zusätzlichen Stellen fänden sich nicht im Stellenplan. „Das müssen Sie korrigieren, Herr Dr. Althusmann!“

Korrektur der Personalzuweisung von 2004 notwendig
Haushaltsentwurf und Stellenplan basieren auf der Verschlechterung der Personalzuweisung an die Schulen, die 2004 von der schwarz-gelben Landesregierung durchgeführt wurde. Daher bleibt die Unterrichtsversorgung angespannt, insbesondere an Gymnasien und Gesamtschulen. Daher ist von einer Entlastung der Lehrerinnen und Lehrer, die Ministerpräsident Wulff versprochen hatte, immer noch keine Rede. Insbesondere die angekündigte Reduzierung der Klassenobergrenzen, die an Gymnasien, Gesamtschulen und an einem Teil der Schulen der übrigen Schulformen dringend notwendig ist, ist immer noch nicht vorgesehen. Lediglich die zusätzliche Anhebung aus dem Jahre 2008 wurde wieder zurückgenommen.

Der GEW-Landesvorsitzende erinnert daran, dass die schwarz-gelbe Regierung 2004 die Personalversorgung der Schulen drastisch verschlechtert hatte. „Damals wurden die Regeln für die Klassen- und Kursbildung verschärft, Stunden für Vertretungs- und Förderkonzepte sowie für das Schulleben gestrichen und der Ganztagszuschlag halbiert, für die neuen Ganztagsschulen gar gestrichen. Auch die Doppelbesetzung bzw. Klassenteilung im Schwimm- und Technikunterricht wurde gestrichen.“ Um das Maß voll zu machen, wurde die Statistik solange geändert, bis die Unterrichtsversorgung auf 100 Prozent geschönt war. „Viele Kolleginnen und Kollegen berichten, dass sie in den 80er und 90er Jahren nicht so erschöpft von der Schule nach Hause kamen. Viele jüngere Lehrkräfte sagen, die Arbeit sei auf einer vollen Stelle nicht zu schaffen. Eine wesentliche Ursache dafür sind die Verschlechterungen von 2004“, urteilt Eberhard Brandt.

„Bis das Ziel der Entlastung erreicht wird, muss jede Stelle in den Schulen wieder besetzt werden“, fordert der GEW-Vorsitzende und wendet sich an Ministerpräsident Mc Allister: „Legen Sie mit Kultusminister Althusmann einen Stufenplan vor, wie die Entlastung, wie die in den 90er Jahren normalen Klassengrößen in den nächsten Jahren erreicht werden sollen.“

Regierung verhindert demografische Rendite
Die GEW wirft der Landesregierung vor, durch ihre verfehlte Schulpolitik regionale Schulstrukturen zu erhalten, die dem drastischen Rückgang der Schülerzahlen nicht Rechnung tragen. Dass mit der Oberschule der demografische Wandel gestaltet würde, sei eine hohle Phrase. Die Umetikettierung der Haupt- und Realschulen führe zu einem unsinnigen und außerordentlich personalintensiven Erhalt von Kleinststandorten. Die rückläufigen Schülerzahlen, die sogenannte demografische Rendite, führe deshalb nicht zu einer Entlastung in den Bereichen, in denen die Überlastung besonders hoch ist. „Wer eine Schulreform, die dem demografischen Wandel hätte gerecht werden müssen, aus ideologischen Gründen so versemmelt, hat kein Recht das den Lehrkräften und den übrigen Beschäftigten in den Schulen anzulasten.“ Notwendig sei eine öffentliche Debatte über Schulgrößen, die für eine qualitativ gute pädagogische Arbeit sinnvoll sind. Diese Debatte habe die Regierung aus Angst vor den Kommunalwahlen verweigert, kommentiert der GEW-Vorsitzende.

Unsolider Wahlkampfhaushalt – ohne Perspektive
Der Doppelhaushalt ist ein typischer Wahlkampfhaushalt, der mit verfassungsrechtlich bedenklichen Mitteln Wahlgeschenke auf Pump vorbereitet und von der Angst der schwarz-gelben Regierung vor den Wählern zeugt. Dazu soll die Nettoneuverschuldung eine halbe Milliarde über den Investitionen liegen – ein Verstoß gegen Art. 71 der Landesverfassung, so der SPD- Fraktionsvorsitzende Stefan Schostok. Der finanzpolitische Sprecher der Linken, Manfred Sohn, wie auch der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Stefan Wenzel, warfen der Landesregierung vor, die Nettoneuverschuldung auch mit Buchungstricks senken zu wollen: mit Geld aus der sogenannten Allgemeinen Rücklage, die derzeit 995 Mio. Euro beträgt. Bei dieser Rücklage handelt es sich um nicht in Anspruch genommene Kreditermächtigungen der Landesregierung aus den vergangenen Jahren.

Den Vorwurf auf diesem Wege eine „Kriegskasse für den Wahlkampf“ zu bilden, erhebt auch die haushaltspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Renate Geuter. Den Zugriff auf die allgemeinen Rücklagen und den geplanten Verkauf von Landesvermögen im Umfang von 300 Mio. Euro sieht der DGB kritisch. Hartmut Tölle sagt: “Das Tafelsilber zu verscherbeln, bringt nur kurzfristig und einmalig Geld, eine dauerhafte Stärkung der Einnahmeseite ist damit nicht verbunden. Eine seriöse und konsequente Konsolidierung sieht anders aus.” Der Landeshaushalt sei nach wie vor strukturell unterfinanziert. Hartmut Tölle fordert den Ministerpräsidenten David McAllister deshalb auf, sich über den Bundesrat für eine gerechtere Steuerpolitik einzusetzen: „Hohe Einkommen, Vermögen und Unternehmensgewinne müssen endlich angemessen besteuert werden, nur so kann die Sanierung der öffentlichen Haushalte langfristig gelingen.“

Der GEW-Landesvorsitzende wirft der Regierung vor, perspektivlos und unseriös zu agieren. „Sie tut nichts für die Verbesserung der Einnahmeseite des Haushalts, nimmt verfassungswidrig direkt und mit Tricks Kredite auf und schwört zugleich auf die Verankerung der Schuldenbremse in der Landesverfassung. So ein Kurs kann nicht gut gehen und wird nach 2013 massive Einschnitte im Öffentlichen Dienst und in der Bildung zur Folge haben.“

Rechtswidrige Honorarverträge im Ganztag – Staatsanwaltschaft ermittelt weiter
Der zuständige Staatsanwalt hat laut Presseberichten erklärt, die Ermittlungen wären vor Weihnachten nicht beendet. 24.000 Honorarverträge müssen überprüft werden. Pro Jahr geht es um 7.000 bis 8.000 Verträge. Die Anweisungen an die Schulleiterinnen und Schulleiter für die Vertragsabschlüsse, die das Kultusministerium und die Landesschulbehörde in Erlassen und Handreichungen herausgegeben haben, sehen seit 2004 die weitgehend rechtswidrige Umgehung von tariflichen Beschäftigungsverhältnissen durch Honorarverträge vor. Damit ist die Unterschlagung von Lohnbestandteilen verbunden.

Mit dem Vorgehen der Staatsanwalt gegen das Kultusministerium wird die Rechtsauffassung bestätigt, die die GEW immer wieder vorgetragen hat. Auch in den jüngsten Handreichungen, die wenigstens den Abschluss von Beschäftigungsverhältnissen erlauben, sind immer noch Honorarverträge für pädagogische Aufgaben im Ganztagsbetrieb vorgesehen. Arbeitsgerichte haben bei Klagen von Honorarkräften den Anträgen des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes stattgegeben und die Honorarverträge rückwirkend in Arbeitsverträge umgewandelt. Der Arbeitgeber muss dann ebenfalls rückwirkend die Sozialversicherungsbeiträge bezahlen, auch den Arbeitnehmeranteil. An einigen Schulen hat dies zu Problemen geführt, weil die zugewiesenen Minibudgets nicht für die Bezahlung von Tarifbeschäftigten ausgestattet sind.

Minister und Staatssekretäre müssen zu ihrer Verantwortung stehen
Bisher wird gegen Unbekannt ermittelt. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministerium werden vernommen. Es stellt sich die Frage: Wer trägt im Ministerium die Verantwortung? „Die Verantwortung für den tausendfachen Rechtsbruch trägt die politische Spitze, also die Minister und Staatssekretäre, seit 2004 das Ganztagsbillig-Modell mit den Honorarkräften erfunden wurde. Diese Minister und Staatssekretäre dürfen weisungsgebundene Ministerialbeamte nicht zu Bauernopfern machen. Der Anstand gebietet, dass sie sich gegenüber der Staatsanwaltschaft zu ihrer rechtlichen Verantwortung bekennen.“, erklärte der GEW-Landesvorsitzende Eberhard Brandt. Dies gelte für den ehemaligen Kultusminister Busemann und seinen Staatssekretär Saager, die ehemalige Kultusministerin Heister-Neumann und ihren Staatssekretär Uhlig.


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