Vom Mut des Neuanfangs: Alles auf Null

von Sina Rühland


| Foto: Sina Rühland



Wolfenbüttel. Gut gelaunt und stets für ein Pläuschchen bereit steht Simone Reich fast täglich hinter der Theke und achtet auf das Wohlergehen ihrer Gäste. Was man ihr nicht ansieht, sie hat sich ihren Erfolg nicht nur hart erarbeitet, sie musste ihr Leben mit Mitte vierzig praktisch bei Null wieder neu beginnen.

Doch beginnen wir im Jetzt. Die 49-jährige Wolfenbüttelerin leitet einen gastronomischen Betrieb – eine 7-Tage-Woche sei da nicht selten, sagt sie, schließlich gehöre auch Heimarbeit wie Buchführung, Rechnungen und Angebote schreiben, Marketing sowie der Einkauf und Bestelllisten schreiben dazu. Der Umgang mit Menschen wolle gelernt sein, das Zuhören gehöre praktisch zum Alltag einer Gastwirtin. Im Laufe der Jahre hat sich Simone Reich einen treuen Kundenstamm in der Stadt aufgebaut, gute Laune und ein fröhlicher Umgang mit den Gästen seien nur zwei der Attribute, die man in der Gastronomie mitbringen sollte. Ein gewisses Organisationstalent und buchhalterische Fähigkeiten kämen noch hinzu. "Entweder trägt man das in sich, oder nicht.“

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Mit Freude am Beruf steht Simone Reich fast täglich hinter der Theke. Foto: Sina Rühland



Wer seinen Beruf authentisch ausüben möchte, der sollte Freude daran ausstrahlen. Wenn Simone Reich ihre Gäste bewirtet, dann schwingt doch immer auch eine gewisse Leichtigkeit mit – ein Lächeln hier, ein freundliches Erkundigen nach der Gesundheit da. Fernab der durchdesignten In-Restaurants gibt es bei ihr gutbürgerliche deutsche Küche und zum Mittagstisch auch mal ganz urige Hausmannskost. Bei ihr wird das Bier auch noch von der Chefin persönlich serviert. Doch wie jeder ihrer Gäste, hat auch Simone Reich eine Geschichte. Ein Leben abseits des Restaurants, abseits des höflichen Geplänkels und des Chefinnen-Daseins.

Abschiede und Anfänge


Als vor sechs Jahren Polizeibeamte an der Tür von Simone Reich klingeln, ändert sich ihr Leben schlagartig. Einen Tag vor dem 18. Geburtstag ihres Sohnes erfährt sie, dass ihr Kind bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Kein Abschied, keine Vorahnung. Einfach so. "Mein Sohn ist mit 17 Jahren gestorben, so etwas verarbeitet man nie“, erzählt Reich. Freunde und Partner gingen von der Seite, wenn es so weit sei, ein Kind ginge aus dem Herzen, sagt sie.

Während sie von ihrem Sohn erzählt, fragt man sich als wenig gebeutelter Zuhörer, wie sie damals die Kraft gefunden hat, morgens wieder aufzustehen. Arbeit und Haushalt zu bewerkstelligen und ihrem damalig 11-jährigen zweiten Sohn die Aufmerksamkeit zu schenken, die er benötigt. Zeitweilig hätte sie nach dem Tod ihres Sohnes ihren Lebensmut verloren, sagt sie. Doch sie hält am Leben fest und ermutigt sich, weiterzumachen. "Mein Mann und mein Sohn haben mich gebraucht.“ Eine neue Aufgabe findet sie in ihrem ihrem Restaurant. Im selben Jahr pachtet Simone Reich eine Gaststätte, wächst an den Herausforderungen des Alltags und an der Selbstständigkeit. Zwei Jahre nach Inbetriebnahme verstirbt ihr Mann ebenso plötzlich wie einst ihr Sohn. Nun steht sie mit Kind, Restaurant, Haus und Trauer von heute auf morgen alleine da. Alles auf Null.

Nun, da ihr Mann nicht mehr da ist, bringt Simone Reich erneut die Kraft auf, ihr Leben wieder in geeignete Bahnen zu lenken. "Nachdem mein Mann 2011 so unvorbereitet gestorben war, musste ich alles neu organisieren. Ich regelte die Finanzen und die bürokratischen Angelegenheiten neu, ich verkaufte mein Haus und musste mich erstmal in die Welt der Buchführung und Technik einarbeiten. Eigentlich habe ich mit Mitte vierzig noch mal komplett von vorne anfangen müssen.“

Das Leben selbst in die Hand nehmen


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Simone Reich und ihre beste Freundin und Mitarbeiterin Anja Hase (l.). Foto: Sina Rühland



Als Simone Reich Ende 2012 ihr erstes Restaurant aufgibt, stellt sie sich erneut die Frage „Wie geht unserer Leben weiter?“ Sie weiß, dass sie zu viele Jahre aus ihren Ausbildungsberufen der Justizfachangestellten und der Bürokauffrau draußen ist, um wieder Anschluss zu finden. Die Gastronomie, der Kunden-Service und das Führen eines eigenen Ladens, das sind Dinge, die ihr liegen. Im Juli 2013 fügt es sich so, dass sie das MTV Clubcenter übernehmen kann. Auch wenn das Leben als Gastwirtin ein 7-Tage-Job sei, sie mache ihn gerne, sagt sie. "Jeder Gastronom muss kämpfen, ich also auch. Aber ich habe treue Gäste, die gerne zum Essen oder auf ein paar Bier hier her kommen – man kennt sich und man schätzt sich. Meine Angestellten und ich sind wie eine kleine Familie zusammengewachsen – wir lachen, tanzen und arbeiten gemeinsam.“

Ihrer Verantwortung ihrem Sohn, ihren Mitarbeitern und ihren Gästen gegenüber sei sie sich immer bewusst, sagt sie. Eine Auszeit hätte sie nur selten, gleichwohl sie sich manchmal auch die Zeit nehme, auch etwas für sich zu tun. Simone Reich ist ein gutes Beispiel dafür, dass nach der Null die Eins kommt – und jede Menge Mut und Antrieb nötig sind, um weiter zu machen.


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