10 Jahre nach rätselhaftem Tod: Familie hält Erinnerung an Tom-Finn lebendig

Vor zehn Jahren starb der damals 17-jährige Tom-Finn Knorz auf bis heute ungeklärte Weise. regionalHeute.de hat mit seiner Mutter über Trauer, Erinnerung und das Rätsel um seinen Tod gesprochen.

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Heute vor zehn Jahren starb Tom-Finn-Knorz.
Heute vor zehn Jahren starb Tom-Finn-Knorz. | Foto: Privat

Braunschweig. Heute vor zehn Jahren, am Morgen des 4. November 2014, erhielten Sybille Knorz und ihre Familie den schrecklichsten Anruf ihres Lebens. Der 17-Jährige Tom-Finn, das jüngste Familienmitglied, hatte einen schweren Unfall und wurde lebensgefährlich verletzt. Am Abend des selben Tages starb der Teenager. Im Gespräch mit regionalHeute.de erzählt Tom-Finns Mutter Sybille Knorz, wie sie seither mit Trauer, Erinnerung und dem Rätsel um seinen Tod umgeht.



Es ist der Abend des 3. Novembers 2014, als Sybille Knorz ihren jüngsten Sohn zum letzten Mal sieht. Sie ahnte nicht, dass nur wenige Stunden später nichts mehr sein wird, wie es einmal war. Denn der Teenager stirbt - nur elf Tage nach seinem 17. Geburtstag. Die Umstände jener Nacht sind bis heute nicht restlos aufgeklärt.

Wir erreichen Sybille Knorz in Dänemark, wo sie einige Tage Urlaub mit ihrem Mann und Freunden macht. So, wie vor 10 Jahren. Auch kurz vor dem Unglück verbrachte die Familie einen gemeinsamen Urlaub in Dänemark. Dass sie die Woche vor dem 10. Todestag in Dänemark verbringen, sei Zufall, sagt sie. Aber die Reise ruft Erinnerungen wach. Denn dieser letzte gemeinsame Urlaub vor zehn Jahren gehöre zu ihren schönsten Erinnerungen an Tom-Finn. "Ich erinner mich noch an Situationen und Gespräche, in denen ich meinen Sohn ansah und voller stolz dachte, was doch für ein toller Mensch aus ihm geworden ist", sagt sie.

"Das ist schon ein ganz schönes Brett"


Unter dieser Brücke kam es 4. November 2014 zu dem schrecklichen Unfall.
Unter dieser Brücke kam es 4. November 2014 zu dem schrecklichen Unfall. Foto: Privat


So kurz vor dem 10. Todestag gehe es der Familie nicht gut. "Das ist schon ein ganz schönes Brett", sagt Sybille Knorz. Man fragt sich, wo die Zeit geblieben ist und was aus Tom geworden wäre. Er habe sich sehr für Geschichte interessiert, vielleicht hätte er irgendwas in diese Richtung gemacht. "Ich kann es aber nicht genau sagen. Die ersten Jahre nach seinem Tod konnte ich mir das alles leichter vorstellen. Aber je mehr Jahre vergehen, desto schwieriger finde ich es zu sagen, in welche Richtung er sich entwickelt hätte. Uns fehlt einfach so viel Zeit", versucht Sybille Knorz ihre Gedanken in Worte zu fassen. Aber er hätte seinen Weg gemacht, ist sie sich sicher. Tom sei schon immer willensstark gewesen, habe seinen Standpunkt verteidigt und viel Energie gehabt.

Unvergessen


Tom-Finn bleibt unvergessen. Jedes Jahr am 4. November treffen sich Familie und Freunde am Unglücksort, denken gemeinsam an den Teenager und erinnern Jahr für Jahr an die Geschehnisse jener Nacht, die das Leben so vieler Menschen für immer veränderte. Für manch einen mag es befremdlich wirken, dass man jedes Jahr am 4. November unter der Brücke zusammenkommt, grillt, Glühwein trinkt und Ballons steigen lässt. Doch Sybille Knorz hat auch darin einen Weg gefunden, die Trauer zu verarbeiten. Auch im Sommer gibt es noch ein gemeinsames Grillen mit Toms Freunden. Bei diesen Treffen genießt sie die Nähe zu Toms Freunden und die Verbindung zu ihrem Sohn, die dadurch noch immer vorhanden ist. Auch wenn es schmerzt, zu sehen, wie die einstigen Teenager zu erwachsenen Menschen herangewachsen sind und all das erleben und tun, was ihrem Sohn nicht vergönnt war.

Wenig Hoffnung


Von Anfang an ist sie mit dem Tod ihres Sohnes und dem Unglück offensiv umgegangen. Es ist ihre Art mit dem Tod des geliebten Sohnes umzugehen. "Bewältigen kann man die Trauer irgendwie nie. Aber um sie zu verarbeiten, bin ich wohl in die Aktions-Schiene gegangen und habe mich da schon sehr reingekniet, weil ja auch der ganze Unfallhergang sehr ungeklärt war."

Dass sie bis heute nicht weiß, was in der schicksalhaften Nacht passierte, beschäftige sie schon noch sehr. An manchen Tagen mehr, an anderen weniger. Aber es ist immer präsent. In diesem Jahr wieder stärker. Doch sie habe gelernt, damit umzugehen und den neuen Alltag zu bewältigen. Dass es irgendwann einmal gut ist und sie damit ihren Frieden findet, glaubt Sybille Knorz nicht.

"Wenn ich anfange, darüber nachzudenken, kann es schnell sein, dass ich in eine Abwärtsspirale komme und darauf rumdenke. Doch es gibt ja keine logischen Antworten. Und dann muss man sich daran erinnern, dass man es nicht lösen kann. Und letzten Endes macht es Tom ja auch nicht wieder lebendig. Klar wäre es für uns wichtig zu wissen, was in den letzten sieben Minuten seines Lebens los gewesen ist. Es ist ja nur ein Nebel. Wir wissen nichts, es hat sich nichts geklärt und gefunden. Nichts passt zusammen. Aber Tatsache ist, es hat sich in zehn Jahren nichts wirklich aufgelöst. Da bleibt wenig Hoffnung."

Einer fehlt


Bei den jährlichen Gedenktreffen ist eine Person nicht mehr anwesend. Jener Freund, der in der Unglücksnacht mit Tom unterwegs war. Schon bald nach dem Unglück brach der Kontakt ab. Es habe nochmal Telefongespräche gegeben und er sei auch ein- oder zweimal bei dem Gedenktreffen dabei gewesen, aber seither herrscht Funkstille. Besagter Freund gab später an, sich an nichts erinnern zu können, nachdem er sich von Tom-Finn verabschiedet hatte. Auch eine Hypnose konnte keine neuen Erkenntnisse bringen. Auch Sybille Knorz gegenüber hat er in den wenigen Gesprächen nach Tom-Finns Tod gesagt, er habe keine Erinnerungen.

Es ist niemals gut


Tom-Finn Knorz starb wenige Tage nach seinem 17. Geburtstag.
Tom-Finn Knorz starb wenige Tage nach seinem 17. Geburtstag. Foto: Privat


Wenn ein Kind stirbt, reißt es den Eltern den Boden unter den Füßen weg. Sybille Knorz weiß, dass sie niemals über den Tod ihres Sohnes hinwegkommen wird. Sie wünscht sich Verständnis und Akzeptanz für ihre Art der Trauer. Schon oft habe sie gespürt, dass Menschen - auch in ihrem persönlichen Umfeld - nicht nachvollziehen können, dass Jahr für Jahr an der Unglücksstelle Gedenktreffen stattfinden und sich viele Dinge in ihrem Leben geändert haben. Dass es Zeiten gibt, in denen die Trauer auch nach zehn Jahren allgegenwärtig ist. "Ich habe ganz oft das Gefühl, dass viele Menschen glauben, nach zehn Jahren ist es besser und irgendwann muss auch mal gut sein. Es ist so einfach nicht. Es ist nicht so, wenn ein Kind stirbt, dass irgendwann, irgendwie alles gut ist und man so weiter leben kann, wie vorher. Wir möchten zum Beispiel kein Weihnachten mehr feiern. Weihnachten wurde bei uns immer hoch gehängt und das können wir so nicht mehr leben. Wir können auch keine runden Geburtstage mehr feiern. Das geht für uns einfach nicht, weil immer einer fehlt. Und da merkt man mitunter schon manchmal Unverständnis."

Das Leben nach Tom-Finn


Das große Ganze, ein vollkommen sorgloses und leichtes Leben - das ist nicht mehr möglich. "Man kann Schadensbegrenzung betreiben und versuchen, gute Momente zu erleben. Aber ich kann für mich niemals sagen, das Leben ist jetzt gut und ich habe gelernt, damit fertig zu werden und kann mein Leben gut leben. So könne ich niemals empfinden. Aber ich habe Mittel und Wege gefunden, um zu überleben." Hilfe dabei hat sie bei Therapeuten und Selbsthilfegruppen erhalten. Um verwaisten Eltern Unterstützung und Trauerbegleitung bieten zu können, hat Sybille Knorz vor sieben Jahren mit einer Freundin die Selbsthilfegruppe „Kraftsterne“ gegründet. Die Selbsthilfegruppe für verwaiste Eltern ist dem Hospizverein Braunschweig angebunden. Jeden ersten Dienstag im Monat von 20 bis 22 Uhr finden die Treffen im Gruppenraum im Erdgeschoss im Bruchtorwall 9–11 in Braunschweig statt.

Gedenken an Tom-Finn


Die Gedenkstelle am Unfallort wurde neu gestaltet.
Die Gedenkstelle am Unfallort wurde neu gestaltet. Foto: Privat


Zum 10. Todestag wurde die Gedenkstätte unter der Brücke neu gestaltet und eine Steele aufgestellt. Dafür, dass dieser Ort noch immer ein Gedenkort ist, ist Sybille Knorz sehr dankbar. Auch, weil die Stadt Braunschweig diesen Ort unangetastet ließ und nie eine Räumung angeordnet hat. Ganz im Gegenteil: Während der Bauarbeiten am Ringgleis wurde die Gedenkstelle abgesperrt, sodass sie keinen Schaden nehmen konnte. Sogar eine Kastanie, die von einer Freundin von Tom-Finn an der Unfallstelle gepflanzt wurde, hatte man nicht entfernt. Lediglich ein Stück versetzt, damit sie besser gedeihen kann, erzählt Sybille Knorz.

So lange sie kann, möchte an ihren Sohn erinnern. Ganz egal, was andere Menschen darüber denken. Und so werden auch heute Abend unter der Graffiti-Brücke Lichter entzündet, Würste gegrillt und Glühwein ausgeschenkt. Menschen aus Toms Leben werden zusammenkommen und an ihren Sohn, Bruder und Freund denken, Erinnerungen teilen und sich in manch einem Augenblick vielleicht auch fragen, was am 4. November 2014 zwischen 3.58 und 4.05 Uhr passierte.

Tom-Finn würde es gefallen, ist sich Sybille Knorz sicher.


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