Armutsrisiko Krankheit – Eine Abwärtsspirale




Braunschweig. Krankheit ist heute eine der größten Armutsrisiken, weiß auch Julia U. (Name geändert) aus der Region Braunschweig zu berichten.

"Ich hatte als Beraterin einen stressigen Beruf – nach mehreren Jahren und auch privatem Stress, der dazu kam, hat der Körper und die Psyche nicht mehr mitgespielt – und das über einen langen Zeitraum", berichtet sie. "Dann kommen die Standardmechanismen der sozialen Sicherungssysteme zum Greifen", erklärt Kai Bursie, Sozialberater und Regionalleiter des Sozialverbandes Deutschland (SoVD) in Braunschweig. Der Verband berät seine Mitglieder in allen Fragen des Sozialrechts. Mit solchen Fällen haben wir nahezu täglich zu tun. Es gibt ca. eineinhalb Jahre Krankengeld, wird man in der Zeit nicht gesund, fällt man je nach medizinischer Prognose sofort in Hartz IV oder man erhält Arbeitslosengeld, das die Zeit bis zur Erwerbsminderungsrente überbrücken soll“, führt Bursie aus.

Kleines Einkommen


Im Jahr 2013 haben 1.597.804 Betroffene in Deutschland Rente wegen voller Erwerbsminderung bezogen. Die durchschnittliche Netto-Rente nach Abzug der Krankenversicherungs- und Pflegebeiträge lag bei 694 Euro (Frauen) und 738 Euro (Männer). "Die Krankenkasse und die Arbeitsagentur wollten mich zur Rentenversicherung abschieben und von der Rentenversicherung wusste ich, dass sehr viele Anträge abgelehnt werden. Denn die Erwerbsminderungsrente erhält man im Gegensatz zur Berufsunfähigkeitsrente nur, wenn man gar keinen Beruf mehr ausüben kann" teilt Julia U. mit. "Das ist richtig" fügt Bursie hinzu. „Auch ein Gehirnchirurg, sofern er Erwerbsminderungsrente beantragt, wird darauf begutachtet, ob er zum Beispiel noch als Pförtner oder Museumswächter arbeiten kann“ überspitzt Bursie vom SoVD. So waren auch die Therapeuten bei der Reha-Klinik und der Gutachter der Rentenversicherung für Frau U. eine große Enttäuschung. "Ich hatte das Gefühl, sie stellen Gutachten aus, die der Rentenversicherung, die ja diese Gutachter bezahlt, Kosten sparen soll. Letztendlich beziehe ich auch dank der Beratung des SoVD momentan befristet volle Erwerbsminderungsrente. Wenn ich aber nicht zusätzlich eine private Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen hätte, würde ich gar nicht über die Runden kommen", erklärt Julia U. "Das, was eigentlich hart an der Zeit war und mich neben den medizinischen Gründen nicht richtig gesund werden ließ, waren die massiven Existenzängste, ich wusste ja nicht, ob ich mir meine kleine Wohnung überhaupt noch leisten kann", führt Frau U. verbittert aus.

Keine Hilfe


Denn in Ihrer Leidenszeit musste sie auch mehrere Monate ohne jegliche staatliche Unterstützung vom eigenen Geld leben. "Ich musste mir mit großen Verlusten eine private Lebensversicherung auszahlen lassen – denn ich konnte weder Grundsicherung/Sozialhilfe noch Hartz IV beantragen, da die Behörden sowieso an die Lebensversicherung verwiesen hätten", sagt Julia U. „Das ist richtig“, springt Kai Bursie ein. „Bei Hartz IV gibt es ein nach Alter gestaffeltes Schonvermögen von 150 Euro pro Lebensjahr. Bei Frau U. waren das bei einem Alter von 40 Jahren 6.000 Euro. Hat man mehr Geld, z. B. durch eine Lebens- oder Rentenversicherung, die ja eigentlich für das Alter gedacht sind, muss man erst einmal dieses Geld aufbrauchen, bevor man staatliche Leistungen beziehen kann – bei der Grundsicherung oder Sozialhilfe ist das Schonvermögen noch viel geringer – es gibt zwar Ausnahmen, aber diese sind sehr konkret definiert", erklärt Bursie.

Besser vorsorgen


Darum empfiehlt auch der Sozialverband Deutschland (SoVD) seinen Mitgliedern eine Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen. Denn die häufig lange Krankenzeit vor dem Eintritt in die Erwerbsminderungsrente hat bei der Berechnung der Rente zur Folge, dass der Zahlbetrag noch kleiner wird als ohnehin schon. Auch die Leistungsverbesserungen des Rentenpaketes der Bundesregierung bei der Erwerbsminderungsrente reichen laut dem Verband nicht. Der SoVD fordert darüber hinaus die Abschaffung der Abschläge und zwar für Neu- und Bestandsrentner. Denn die Bestandrentner sind bei dem Rentenpaket völlig leer ausgegangen. Der SoVD berät und vertritt seine mehr als 5.000 Braunschweiger Mitglieder rund um die Themen Rente, Pflege, Gesundheit, Hartz IV und Behinderung. Neben der durch den TÜV und unabhängige Gutachter zertifizierten sozialen Rechtsberatung setzt sich der SoVD bundesweit für soziale Gerechtigkeit gegenüber Politik und Gesellschaft ein. Außerdem bietet der Verein den Mitgliedern und Braunschweiger Bürgern eine Gemeinschaft. Denn neben zwei öffentlichen Begegnungszentren in Braunschweig organisieren die 12 Ortsverbände in der Stadt regelmäßig Treffen, Fahrten und Veranstaltungen. Informationen zum SoVD in Braunschweig gibt es im Internet unter www.sovd-braunschweig.de. Das Beratungszentrum, Bäckerklint 8 (Innenstadt), bietet Montag bis Donnerstag von 9 bis 16 Uhr und Freitag von 9-12 Uhr die Rechtsberatung an. (Tel.: 05 31/480 760, E-Mail: info@sovd-braunschweig.de). Der Mitgliedsbeitrag beträgt höchstens 5 Euro pro Person im Monat.


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