ASF-Bezirk Braunschweig im Gespräch mit Sozialministerin Reimann


Die ASF-Bezirksvorsitzende Simone Wilimzig-Wilke interviewte die Sozialministerin Dr. Carola Reimann. Foto: ASF
Die ASF-Bezirksvorsitzende Simone Wilimzig-Wilke interviewte die Sozialministerin Dr. Carola Reimann. Foto: ASF | Foto: ASF

Braunschweig. "Das moderne Niedersachsen stärkt den sozialen Zusammenhalt“, so steht es im Koalitionsvertrag. Die ASF-Bezirksvorsitzende Simone Wilimzig-Wilke und ihre Stellvertreterin Simone Pifan konnten mit der "neuen" Sozialministerin Dr. Carola Reimann darüber ein Gespräch führen, heißt es in einer Pressemitteilung des ASF.


ASF: Sehr geehrte Frau Dr. Reimann, liebe Carola, zunächst noch einmal herzlichen Glückwunsch zum neuen Amt. Das Ministerium für "Soziales, Gesundheit und Gleichstellung" umfasst u.a. die Bereiche "Familie, Kinder und Senioren", "Armut", "Inklusion" und auch "Gleichstellung und Antidiskriminierung". Worin siehst Du die größte Herausforderung und Aufgabe bei der Frage der Gleichstellung und des sozialen Zusammenhalts?

Bei uns muss jede und jeder frei und sicher leben können, egal welches Geschlecht, egal welche Hautfarbe, egal woher oder welche Religion er oder sie hat. Den Hetzern von rechts, die jetzt auch im Deutschen Bundestag sitzen, müssen wir sagen: Wir sind eure entschiedensten Gegner! Der Rechtsruck, der durch unsere Gesellschaft geht, transportiert leider auch ein völlig veraltetes Frauen- und Familienbild. Ich habe das Gefühl, das viele der Pöbler von rechts sich wieder in eine Gesellschaft der 50er Jahre zurückwünschen. Hier müssen wir gegenhalten und ein Zeichen setzen: Nicht mit uns! Wir sind stolz auf das, was wir in der Gleichstellungspolitik erreicht haben. Und wir werden nicht nachlassen. Gleichstellung ist kein Selbstläufer. Die in den USA ausgelöste #metoo-Debatte zeigt wieder einmal, wie präsent Sexismus in unserer Gesellschaft noch immer ist. Vor ein paar Jahren hatten wir genau die gleiche Debatte unter einem anderen Hashtag. Damals war es der #Aufschrei ausgelöst durch Herrn Brüderle. Die jetzige Debatte zieht größere Kreise.

Aber der Kern ist der gleiche: Kommentare über das Aussehen, die flüchtige Hand auf dem Knie oder, im schlimmsten Falle, erzwungene sexuelle Handlungen. Das sind keine Ausrutscher. Das ist nichts, was im Eifer des Gefechts gesagt oder getan wird. Das sind systematische Belästigungen und Erniedrigungen. Sexismus hat nichts mit Flirten zu tun. In den meisten Fällen geht es dabei um Macht. Macht durch Kleinmachen. Wir müssen das Machtverhältnis der Geschlechter innerhalbder Gesellschaft ändern. Fehlende Lohngerechtigkeit, der geringe Frauenanteil in den Parlamenten und in den Führungspositionen in Unternehmen. Wenn sich der Status Quo nicht ändert, wird sich auch das Verhalten der Männer nicht ändern. Und diesen Status Quo können wir nur zusammen verändern.

Chancengleicheit vorantreiben


ASF: Ein gleichberechtigtes und partnerschaftliches Miteinander von Frauen und Männern ist noch längst nicht erreicht und bleibt weiterhin eine große Aufgabe. Welche konkreten Maßnahmen möchtest Du als Ministerin anpacken?

Wir haben in Niedersachsen einen guten Koalitionsvertrag verhandelt, der eindeutig sozialdemokratische Handschrift trägt. Im Bereich der Gleichstellung haben wir uns große Ziele gesetzt. Die Leitlinie unserer Landesregierung für ein zukunftsorientiertes Niedersachsen ist ein gleichberechtigtes und partnerschaftliches Miteinander von Frauen und Männern. Ziel der Landesregierung ist deshalb auch, die Chancengleichheit von Frauen und Männern im Berufsleben voranzutreiben. Wir wollen ein Niedersächsisches Gleichberechtigungsgesetz erarbeiten, analog zum Bundesgleichstellungsgesetz. Die Frauenhäuser werden wir mit einem Investitionsprogramm zum barrierearmen Umbau weiterentwickeln.

Und wir werden die Beratungs- und Interventionsstellen gegen Gewalt weiter fördern. Der Erfolg des niedersächsischen Mentoring-Programms für Frauen in der Politik zeigt, wie wichtig solche Programme sind. Wir werden es weiterführen und uns drauf konzentrieren, Frauen auch in allen anderen Gesellschaftlichen Bereichen stärker zu fördern. Ich möchte, dass gerade auch Migrantinnen gleichberechtigt am öffentlichen Leben teilnehmen. Programme und Projekte wie das Landesprogramm „Migrantinnen in Niedersachsen – Integration gestalten“, die „Bildungs- und Beratungsstelle G mit Niedersachsen“ oder das Programm zur „Förderung der Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt" (FIFA) helfen dabei. Leider sind immer noch deutlich weniger geflüchtete Frauen erwerbstätig als geflüchtete Männer. Erwerbstätigkeit bedeutet Integration. Und der Zugang zu Arbeit ist für geflüchtete Frauen und deren Familien die Basis für eine gelingende Teilhabe. Ich kann es nur immer wieder betonen: Frauen und Kinder sind der Schlüssel zur Integration.

Armut kann nur durch chancengleiche Teilhabe verhindert werden


ASF: Uns als ASF liegen besonders Mädchen, Frauen und Seniorinnen am Herzen, die auch unseres besonderen Schutzes bedürfen. Was kann ein Sozialministerium zur Stärkung der Mädchen und Frauen tun?

Mein Ziel ist es, Frauen die gleichen Chancen an allen gesellschaftlichen Bereichen des Lebens zu eröffnen. Armut – insbesondere von Frauen – kann nur durch chancengleiche Teilhabe am Erwerbsleben verhindert werden. Deshalb müssen wir vor allem Frauen mit Kindern den Zugang zum Beruf erleichtern. Niedersachsen hat am 8. März 2017 den regionalisierten „3. Atlas zur Gleichstellung von Frauen und Männern in Niedersachsen" vorgelegt. Dieser Atlas ist eine Übersicht über die Gleichstellungspolitik in Niedersachsen. Damit können wir im Sozialministerium in den vier Bereichen Partizipation, Bildung und Ausbildung, Arbeit und Einkommen und Lebenswelt sehen, wie die gleichstellungspolitische Lage in den Kommunen und Städten aussieht. Und natürlich auch, welchen Weg die gleichstellungspolitische Entwicklung nimmt. Damit haben wir die Chance, von den Kommunen zu lernen, die mit gutem Vorbild voran gehen und wir sehen, wo weitere Schritte von Nöten sind.

Wenn nicht wir, dann keiner


ASF: Politik braucht Frauen, dazu haben wir ja bereits in den zurückliegenden Jahren immer wieder gemeinsam gearbeitet. Was sagst Du dazu, dass nach einer Phase des Zuwachses an weiblichen Abgeordneten in den Parlamenten nun ein deutlicher "Rückschritt " zu beobachten ist? Worin liegen Deiner Meinung nach die Ursachen?

Ich denke, die Ursachen für den geringen Frauenanteil sind vielschichtig. Wichtig ist, dass sich Frauen Gehör verschaffen und damit auch anderen Frauen zeigen, dass sie eine Stimme haben. Wir brauchen die frauenspezifische Sicht bei Gesetzgebungsvorhaben. Wenn wir uns nicht für unsere Ziele einsetzen, tut es keiner! Umso erschreckender waren die Ergebnisse der Bundestags- und Landtagswahlen. Der geringe Frauenanteil in den Parlamenten ist alarmierend. Frauen machen mit mehr als 50 Prozent den überwiegenden Anteil der Bevölkerung aus. Das sollte sich auch in den Parlamenten als den Orten der politischen Willensbildung widerspiegeln. In der Gleichstellungspolitik ging es immer langsam voran, aber jetzt haben wir zum ersten Mal die Situation, dass es rückwärtsgeht. Das liegt natürlich auch daran, dass Parteien wie die AfD und die FDP sich nicht an den Grundsatz von paritätisch besetzten Listen für Wahlen halten. Das Stichwort der Stunde lautet Parité. Keine Frage! Wir Frauen haben große Erfolge erzielt. Anfang Januar ist das Gesetz zur Entgeltransparenz in Kraft getreten. Endlich haben Frauen – und Männer – den Anspruch darauf, zu erfahren, was sie im Vergleich zu ihren Kolleginnen und Kollegen verdienen.

Damit bekämpfen wir auch eines der größten Tabus in Deutschland – die Frage des Gehalts. Das nenne ich einen Meilenstein. Aber wir müssen natürlich beobachten, wie das Gesetz wirkt. Ändert sich nichts an der ungleichen Bezahlung von Frauen und Männern, dann müssen wir verschärfen. Einen weiteren Meilenstein, den wir dieses Jahr feiern, sind 100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland. Was hier und heute eine Selbstverständlichkeit ist, war lange Zeit ein Ding der Unmöglichkeit. Und wir dürfen nicht vergessen, dass es immer noch Länder gibt, in denen Frauen ein so wichtiges Grundrecht nicht gewährt wird. Deshalb heißt es auch hier: Weiterkämpfen!


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