Region. Ein Mann aus Braunschweig soll 2014 und 2015 den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan via Facebook beleidigt haben. Ende August wurde er daraufhin in der Türkei festgenommen, nun droht ihm der Prozess und eine Haftstrafe. Lokale Politiker reagierten bestürzt auf die Nachricht. Sigmar Gabriel wurde von der Ehefrau des Inhaftierten kontaktiert.
Wie Gabriels Büro gegenüber regionalHeute.de bestätigte, wird sich der ehemalige Außenminister und Ehrenbürger von Goslar um den Fall im Rahmen seiner Möglichkeiten kümmern. Weitere Stellungnahmen wollte das Wahlkreisbüro aktuell noch nicht geben, da erste Medienberichte gegen den Willen der Ehefrau erfolgt seien und das Thema ohnehin sensibel sei.
Bundestagsabgeordnete kritisieren fehlende Rechtsstaatlichkeit
Der Bundestagsabgeordnete der CDU für den Wahlkreis Goslar-Northeim-Osterode, Dr. Roy Kühne, formulierte klare Kritik an der Türkei. „Ohne den genauen Sachverhalt in diesem Fall zu kennen, bilden die Einhaltung der Menschenrechte und das Recht auf freie Rede das Fundament unserer westlichen Werteordnung. Die Türkei bewirbt sich um einen Beitritt zur EU. Innerhalb der Europäischen Union und auch für mich persönlich, sind diese Rechte von herausragender Bedeutung. Daher erwarte ich, dass sich die Türkei an diese hält. Danke an das Auswärtige Amt, die in diesem Fall verhandeln“, erklärte Kühne gegenüber regionalHeute.de.
Auch Carsten Müller, Bundestagsabgeordneter der CDU für Braunschweig, reagierte auf den Vorfall und auf die Frage, welche Möglichkeiten die lokale Politik habe, sich für den inhaftierten Mann einzusetzen.„Das Schicksal der deutschen Staatsbürger, die aus politischen Gründen in der Türkei in Haft sitzen, bewegt mich sehr – so auch das des Mannes aus unserer Region. Sein Fall zeigt einmal mehr, wie es um Meinungsfreiheit und Rechtstaatlichkeit in der Türkei bestellt ist. Wie es mit den inhaftierten Deutschen weitergeht, wird auf höchster politischer und diplomatischer Ebene besprochen und verhandelt. So war es vergangene Woche Thema beim Treffen von Kanzlerin Angela Merkel mit Präsident Erdogan und so nutzt das Auswärtige Amt bereits all seine Möglichkeiten für eine Lösung. Die Problematik befindet sich damit in richtigen und guten Händen. Als Mitglied des Deutschen Bundestages unterstütze ich die Bemühungen der Bundesregierung uneingeschränkt – so, wie auch eine sehr breite Mehrheit meiner Kolleginnen und Kollegen. Direkte Einflussmöglichkeiten auf Ankara und die dortigen schwierigen Verhältnisse haben wir jedoch leider nicht. Ich habe das Auswärtige Amt um einen aktuellen Sachstand gebeten, der mir Mitte nächster Woche vorliegen soll“, so Müller gegenüber regionalHeute.de.
"Wir erleben seit Längerem eine rapide Verschlechterung der Menschrechtslage in der Türkei. Die Linksfraktion thematisiert die Inhaftierungen von politischen Gefangenen im Bundestag und übt Druck auf die Türkei-Politik der Großen Koalition aus. Erst in der vergangenen Woche hatten wir aus Protest gegen den Staatsempfang für den türkischen Präsidenten Erdogan die ehemaligen InhaftiertenMesale Tolu und Peter Steudtner zu Gast in unserer Fraktion. Ich bin über den Fall des inhaftierten Braunschweigers seit einigen Wochen informiert undim regelmäßigen Austausch mit Bekannten. DIE LINKE nutzt in Fällen wie diesen alle uns als Oppositionsfraktion zur Verfügung stehenden diplomatischen und politischen Möglichkeiten, um den maximalen Druck für eineFreilassung zu erreichen. Die politische Verantwortung liegt bei der Bundesregierung und hier insbesondere beim Auswärtigen Amt“, antwortete der Bundestagsabgeordnete der Linken für Salzgitter und Wolfenbüttel, Victor Perli, auf die Anfrage von regionalHeute.de.
Falko Mohrs, Bundestagsabgeordneter der SPD für Helmstedt-Wolfsburg, will die Familie des Angeklagten in der Diskussion nicht außen vor lassen. "Ich werde mich diesbezüglich mit den anderen Abgeordneten abstimmen und brauche natürlich zunächst noch mehr Informationen, bevor ich etwas zu möglichen Schritten und Zusammenhängen sagen kann. Vor allem müssen wir uns mit der Familie abstimmen. Unabhängig davon gilt, dass Presse- und Meinungsfreiheit grundlegende Rechte sind, die nicht in Frage gestellt werden dürfen. Wir sehen nicht nur in der Türkei, dass diese Rechte nicht selbstverständlich sind", so Mohrs gegenüber regionalHeute.de.
Auch Hubertus Heil,Bundesminister für Arbeit und Soziales aus Peine, ließ über seinen Sprecher mitteilen: "Bundesminister Heil bedauert den Fall und er hofft auf positiven Ausgang. Die Bundesregierung betreut Herrn M. konsularisch und prüft gegenwärtig die Hintergründe der gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Momentan hat das deutsche Generalkonsulat Izmir einen Haftbesuch beantragt, der voraussichtlich am 09.10. stattfinden soll. Das Auswärtige Amt steht auch in Kontakt mit dem Rechtsanwalt von Herrn M."
Jens Kestner, Bundestagsabgeordneter von der AfD fürGoslar-Northeim-Osterode, konnte sich auf Nachfrage nicht äußern, da er gerade im Kurzurlaub verweilt. Pia Zimmermann (Linke) wurde ebenfalls um ein Statement gebeten. Ihre Antwort ging bis zum Erscheinen des Artikels nicht ein, wird aber nachgepflegt, sobald dies der Fall sein sollte.
Stadt verweist auf Auswärtiges Amt
Auch die Fraktionen aus dem Rad der Stadt äußerten sich zum möglichen Prozess in der Türkei. "Wir verurteilen das entschieden. Mit Rechtsstaatlichkeit hat das überhaupt nichts zu tun. Das Auswärtige Amt soll sich massiv dafür einsetzen, dass er freigelassen wird. In der Türkei sollte mal wieder eine Kehrtwende stattfinden. Die inhaftierten Deutschen müssen sofort in Freiheit", fordert Udo Sommerfeld, der Fraktionsvorsitzende der Linken. Auch aus den Reihen der Grünen wurde Bedauern über die Inhaftierung deutlich gemacht.
Die AfD-Fraktion betont die Unabhängigkeit der Justiz und möchte ein Gerichtsverfahren abwarten. "Die Festnahme und spätere Überweisung in türkische Untersuchungshaft des in Braunschweig lebenden Hüseyin M. liegtbereits über fünf Wochen zurück. Gegen ihn erhobene Vorwürfe scheinen dieses Vorgehen der türkischen Justiz dort zu rechtfertigen. Bisher hatte das deutsche Konsulat keinen Zugang zu M., dem 2012 die deutsche Staatsbürgerschaft verliehen wurde. Offenbar liegt aber zur Zeit der beurkundete Verzicht auf die türkische Staatsangehörigkeit nicht vor, weshalb M. für die örtliche Justiz als Türke gilt und entsprechend behandelt wird. Ob diese Annahme zutreffend ist, wird sich hoffentlich im Umfeld des Gerichtsverfahrens herausstellen. Beleidigende Inhalte sind auf der Facebook-Seite des Inhaftierten angeblich nicht aufzufinden, sie sollen aber noch aus den Jahren 2014 und 2015 stammen. Solche Einträge wären aber auch für ausländische Ermittlungsbehörden im Internet leicht aufzufinden gewesen. Manche erwähnen ein mutmaßliches Spitzelnetzwerk in Deutschland, welches hier lebende Türkischstämmige überwacht. Solche Aktivitäten wären zu verurteilen und von den Behörden zu unterbinden. In diesem Fall scheint es aber auch möglich, daß die angeblich beleidigenden Internetbeiträge an anderen Stellen wahrgenommen wurden. Einemögliche Einflußnahme der Politik auf die Justizgilt zu Recht als kritisch; wir als AfD-Fraktion haben das zuletzt beim ursprünglichvorwiegend mit Ratspolitikern besetzten Auswahlgremium für die Braunschweiger Gerichtsschöffen bemängelt, für die unter anderem ebenfalls eingroßer Anteilvonpolitischen Akteurenkandidiert. Obdie Braunschweiger Stadtpolitikim Fall des Hüseyin M.tatsächlich etwas bewirken kann oder sollte, bleibt fraglich. Bei allen innertürkischen Problemen muß man bis zum Beweis des Gegenteilsimmer noch eine Unabhängigkeit der dortigen Justiz unterstellen und auf einen ordentlichen Ablauf des Verfahrens hoffen", teilte der Fraktionsvorsitzende Stefan Wirtz regionalHeute.de mit.
Peter Rosenbaum, Ratsherr für die BIBS-Fraktion, äußert im Namen seiner Partei bedauern über den Vorfall. "Natürlich sollten wir uns in Braunschweig betroffen fühlen, gerade, wenn es sich um einen Braunschweiger Bürger handelt, der in der Türkei inhaftiert wird, weil er seine Meinung äußert. So ein Vorgehen verletzt alle demokratischen, zivilen und menschlichen Regeln. Die zuständige Bundesregierung scheint zu machen, was möglich ist. Die Stadt Braunschweig kann nur einen Appell zur Unterstützung dieser Bemühungen leisten. Wir fordern von der türkischen Regierung die sofortige Freilassung des inhaftierten Braunschweigers."
Maximilian P. Hahn von DIE PARTEI merkt an, dass eine Beleidigung des türkischen Sultans überhaupt nicht gehe, Solidarität aber trotzdem angebracht ist. "Recep Tayyip Erdoğan zu beleidigen, wie ihn beispielsweise einen Ziegenficker zu nennen, geht überhaupt nicht. Dennoch sollten wir bei allem nötigen Respekt vor dem Amt des türkischen Sultan unsere volle lokalpatriotische Solidarität zum Ausdruck bringen. Es kann keine andere Forderung geben, als die Person sofort frei zu lassen. Und zwar schleunigst, Habibi", stellt Hahn klar.
Die Stadt Braunschweig wollte sich zu dem Thema nicht äußern und verwies auf das zuständige Auswärtige Amt.
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https://regionalheute.de/braunschweig/braunschweiger-urlauber-in-der-tuerkei-verhaftet/
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