Deutschland Bordell Europas: Brauchen wir ein Prostitutionsverbot?

Da für eine Änderung ein entsprechendes Gesetz vom Bundestag verabschiedet werden müsste, fragte regionalHeute.de bei den Abgeordneten aus unserer Region nach, wie sie zu der Thematik stehen.

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Symbolfoto.
Symbolfoto. | Foto: pixabay

Region. Die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag Dorothee Bär hat kürzlich in einem Medien-Interview gefordert, in Deutschland müsse es in Sachen Prostitution einen Paradigmenwechsel geben. Ähnlich wie in Ländern wie Schweden solle die Nutzung von Prostitutionsangeboten unter Strafe gestellt werden. Da für eine Änderung ein entsprechendes Gesetz vom Bundestag verabschiedet werden müsste, fragte regionalHeute.de bei den Abgeordneten aus unserer Region nach, wie sie zu der Thematik stehen.



Mit dem 2002 eingeführten Prostitutionsgesetz habe man nicht wie erhofft die Lage der Prostituierten verbessert, sondern nur die derjenigen, die diese ausbeuteten, so die Ansicht von Dorothee Bär. Deutschland habe sich zum Bordell Europas entwickelt. Wir wollten nun von den Bundestagsabgeordneten unserer Region wissen, welche Argumente aus ihrer Sicht für und welche gegen ein Verbot der Prostitution sprechen. Welche anderen Maßnahmen seien für sie denkbar, um die Situation der Prostituierten und das Problem der Zwangsprostitution in den Griff zu bekommen.

"Frauen als Ware ausgebeutet"


Der Braunschweiger CDU-Abgeordnete Carsten Müller teilt die Ansicht seiner Fraktionskollegin. Er schreibt:
„Wir brauchen dringend einen Paradigmenwechsel. Als Obmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Rechtsausschuss werbe ich intensiv für das Nordische Modell. Ich begrüße hier auch das starke Engagement der Frauen Union Braunschweig. Tatsache ist: Entgegen der Intention des Gesetzgebers bietet unsere jetzige Gesetzeslage den Nährboden dafür, dass Frauen als Ware ausgebeutet und misshandelt werden können. Es gibt zwar in geringen Teilen die selbstbestimmte und legale Prostitution, aber 90 bis 95 Prozent - und damit der überwältigende Mehrheitsanteil - machen die unfreiwillige Armuts- und Elendsprostitution aus. Dieser Bereich ist geprägt von Täuschung, Drohung und völliger Abhängigkeit. Zigtausende Frauen und Mädchen - in deutlich geringerem Umfang auch Männer und Jungen - sind viel zu oft schutzlos der Gewalt und dem Missbrauch von Zuhältern und Freiern ausgeliefert. Viel zu viele Betroffene werden jedes Jahr neu Opfer von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung. Es handelt sich um eklatante Menschenrechtsverletzungen, die nicht mit der im Grundgesetz verankerten Unantastbarkeit der Menschenwürde und der Gleichberechtigung von Mann und Frau vereinbar sind.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Müller.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Müller. Foto: Thomas Stödter


Gleichzeitig lässt sich nachweisen, dass viele Freier in Kenntnis dieser Missstände handeln oder diese billigend in Kauf nehmen. Deshalb unterstütze ich den grundlegenden Paradigmenwechsel und setze mich für das Nordische Modell ein. Auf diese Weise wird der Sexkaufmarkt in Deutschland, der größte in Europa, nachhaltig verkleinert. Die Erfahrungen in anderen Ländern wie Schweden, Frankreich, Israel, Spanien, Norwegen, Island, Irland und Kanada belegen die Wirkung. Die Nachfrage lässt spürbar nach. In der CDU/CSU-Bundestagsfraktion beschäftigen wir uns intensiv mit dem Thema. Wir setzen uns für ein Dreisäulenmodell ein. Bei diesem Modell werden nicht die Prostituierten kriminalisiert, sondern die Freier müssen mit Strafen rechnen. Hinzu kommt eine deutliche Förderung der Präventions- und Ausstiegsangebote sowie eine Stärkung der Durchsetzungsautorität von Verwaltungs- und Vollzugsorganen. Ziel muss es bleiben, endlich die Ausbeutung der Prostituierten, Zwangsprostitution und den Menschenhandel zu unterbinden und diesen Kriminalitätsbereich auszutrocknen. Aktuell werden hier jährlich mehr finanzielle Geschäfte gemacht als mit dem Waffen- oder Drogenhandel.“



"Problem wird nur verschoben"


Karoline Otte (Bündnis 90/Die Grünen), Abgeordnete für den Wahlkreis Goslar-Northeim-Osterode, hält dagegen nichts von einem Verbot, sondern sieht das Problem woanders:

"Zwangsprostitution ist in den meisten Fällen eine Folge von Armut. In dem wir Prostitution nach dem nordischen Modell verbieten, bekämpfen wir das Problem nicht an der Wurzel, sondern verschieben Zwangsprostitution und Sexarbeit lediglich noch weiter an einen dunklen Rand unserer Gesellschaft, mit dessen Elend wir uns nicht konfrontieren wollen. Die beste Prävention von unfreiwilliger Prostitution ist die konsequente Verfolgung von Zuhältern, die Frauen zwingen, sich zu prostituieren, gut ausfinanzierte soziale Arbeit und vor allem die Verringerung der Armutsgefahr. Für diese Maßnahmen sollte sich Dorothee Bär mindestens genauso vehement einsetzen wie für ein Sexkaufverbot, wenn es ihr wirklich um das Wohl von Frauen geht."


Karoline Otte (Bündnis90/Die Grünen)
Karoline Otte (Bündnis90/Die Grünen) Foto: Thomas Stödter


Ihr Fraktionskollege aus dem Wahlkreis Helmstedt-Wolfsburg, Frank Bsirske, sieht die Sache ähnlich: "Wir Grüne im Bundestag sehen ein Sexkauf-Verbot kritisch, wie es von Frau Bär ins Gespräch gebracht wurde. Denn ein Verbot könnte auch zur Folge haben, dass Prostituierte in die Illegalität gedrängt werden und sich deren Lage verschlechtert."

Frank Bsirske (Bündnis90/Die Grünen)
Frank Bsirske (Bündnis90/Die Grünen) Foto: Thomas Stödter



"Verbot treibt die Prostitution in die Illegalität"


Die SPD-Abgeordnete Frauke Heiligenstadt (Wahlkreis Goslar-Northeim-Osterode) sieht die Sache differenziert. Während sie ein totales Verbot der Prostitution ablehnt, steht sie dem Nordischen Modell aufgeschlossen gegenüber:

"Für mich bedeutet Prostitution in den meisten Fällen, dass Menschen – meistens Frauen – ausgebeutet werden und häufig auch zur Prostitution gezwungen werden. In Bezug auf ein Verbot gibt es einige Argumente für, aber auch gegen eine solche Maßnahme. Zum einen könnte ein Verbot der Prostitution auf dem ersten Blick die Ausbeutung von Menschen stoppen und infolgedessen auch die sozialen Folgen der Prostitution abmildern. Das ist aber nur auf dem ersten Blick der Fall. Denn die verbotene Prostitution würde dann lediglich im Illegalen weiterbetrieben werden. Prostitution wird erst dann aufhören, wenn es deutlich weniger Freier gibt, die sich diese Arbeit einkaufen. Daher halte ich ein vollständiges Verbot der Prostitution für falsch, da ein solches Verbot die Situation der Prostituierten möglicherweise sogar noch verschlimmern kann. Ein Verbot treibt die Prostitution in die Illegalität, was zu noch unsicheren Arbeitsbedingungen, einer höheren Gefährdung und einer geringeren Kontrolle über die Branche führen könnte. Außerdem könnten Prostituierte unter einem Verbot Schwierigkeiten haben, Zugang zu Gesundheitsversorgung und sozialen Dienstleistungen zu erhalten.

Frauke Heiligenstadt
Frauke Heiligenstadt Foto: Thomas Stödter


Es gibt alternative Ansätze, die verfolgt werden können, um die Situation der Prostituierten zu verbessern und Zwangsprostitution zu bekämpfen, ohne ein generelles Verbot der Prostitution einzuführen. Zum Beispiel könnte man das Nordische Modell anwenden, bei dem der Kauf sexueller Dienstleistungen unter Strafe gestellt wird, während die Prostituierten selbst nicht strafrechtlich verfolgt werden. Dies sorgt dafür, dass nicht die Prostituierten, sondern die Freier bestraft werden können. Auch sollten Frauen in der Prostitution ermutigt werden, Unterstützung anzunehmen, um aus der Prostitution auszusteigen.

Außerdem spielen Bildung und Prävention eine wichtige Rolle. Sensibilisierungskampagnen können auf die Risiken und Konsequenzen der Prostitution hinweisen und dazu beitragen, dass Menschen sich bewusst sind, worauf sie achten sollten. Zudem sollte die Unterstützung von Prostituierten ausgebaut werden, um ihnen alternative Beschäftigungsmöglichkeiten und soziale Dienstleistungen anzubieten."



"Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung"


Für die Braunschweiger FDP-Abgeordnete Anikó Glogowski-Merten ist dagegen auch das Nordische Modell keine Option. Sie schreibt:

„Als liberale Politikerin ist das Nordische Modell für mich kein Lösungsmodell. Eine Abschaffung der Prostitution wäre gleichbedeutend mit einem Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung von SexarbeiterInnen, die sich ohne Zwang für die Prostitution entscheiden. Diese Sexarbeit würde in eine Grauzone verschoben werden. Auch wenn Prostituierte nicht kriminalisiert werden, führt dieses de-facto Verbot von Prostitution doch nur dazu, dass Prostituierte in ihrer Tätigkeit eher stigmatisiert würden.

Anikó Glogowski-Merten.
Anikó Glogowski-Merten. Foto: FDP


Man muss leider auch sehen, dass die Dunkelziffer im Bereich der Zwangsprostitution und Menschenhandel in den Nordischen Ländern nach Einführung stark angestiegen ist, was zu einem schlechteren Schutz und schlechteren Zugang für Beratungsstellen gesorgt hat. Daher ganz klar: Wir lehnen das Nordische Modell ab, denn ein Verbot verbessert die Situation der Sexarbeitenden leider überhaupt nicht.“



Victor Perli, Abgeordneter für Die Linke im Wahlkreis Wolfenbüttel-Salzgitter, teilte unserer Redaktion mit, dass es ihm aufgrund der aktuell stattfindenden Beratungen des "unsozialen Kürzungshaushalts der Bundesregierung" und der damit verbundenen Termin- und Arbeitsdichte als Mitglied des Haushaltsausschusses die kurzfristige Beantwortung derzeit leider nicht möglich sei.

Auch die SPD-Abgeordneten Hubertus Heil (Peine-Gifhorn), Dr. Christos Pantazis (Braunschweig) und Dunja Kreiser (Salzgitter-Wolfenbüttel) wurden angefragt. Vin Ihnen kamen innerhalb der gesetzten Frist keine Antworten.


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