KolumneHeute: Tag am See

von Sina Rühland


| Foto: Sina Rühland



An kaum einem Ort liegen Entspannung und Wahnsinn so nah beieinander wie an einem sonnigen Wochenendtag am See. Verbringt man einige Stunden am Wasser, offenbart sich dem Besucher das gesamte Spektrum menschlicher Vielfalt – am Seeufer liegt Geburtsstätte der Toleranz.

Früh am Morgen, die ersten diffusen Sonnenstrahlen fallen durch das Schlafzimmerfenster. Ein Blick hinaus zeigt: es verspricht ein warmer Tag zu werden. Wer noch einen Platz auf den ersten Rängen ergattern möchte, der sollte tunlichst zeitig am See sein.

Etwa eine halbe Stunde später ist die Decke auf der Wiese ausgebreitet, die Getränke sind noch kühl und bis auf ein paar Hundebesitzer ist der Platz am See fast menschenleer. Nur zwei besonders robust wirkende ältere Herrschaften strecken gerade ihre Fingerspitzen gen Boden, auf ihren Köpfen sitzen schon die Badehauben. Zeitgleich treten sie ans Wasser und gehen langsam hinein. „Herrlich, Manfred.“ „Herrlich, Klaus.“ Mit gemächlichen Zügen machen sie sich auf den Weg quer durch den See. Die letzten ans Ufer schallenden Sätze drehen sich um „diese unsägliche Ausländerfamilie aus dem dritten Stock.“

Gegen Vormittag kommt die erste Familie an. Während die Herren Frühschwimmer mit nur einem Handtuch an den See gekommen sind, hat die Familie einen Großteil ihres Haushaltes eingepackt. Die Mutter hat ein Kind auf dem Arm, ein zweites an der einen Hand und die Badetasche in der anderen. Der Vater scheint das gesamte Sandspielzeug-Kontingent mitzuschleppen, inklusive Luftmatratze und Kühltasche. Bis die Kinder umgezogen sind, haben Mutter und Vater bereits bedenklich rote Köpfe und eine nicht unerheblich große Anzahl von Schweißperlen auf der Stirn. Als die Schwimmflügel an der Reihe sind und die Kleinen allmählich beginnen wie in Sonnenmilch eingetunkte Michelin-Männchen auszusehen, fängt schon die erste Lippe an zu zittern. Als auch die Nasenflügel langsam beben, schnappt sich Mama schnell Kind Nummer eins und läuft zum Wasser. Wasser ist gut, Wasser beruhigt. Fortan schreien Mama und Papa abwechselt alle zehn Minuten von ihrer Decke zum Wasser hinüber: „Paul, igitt bäh, nicht essen, nicht essen“, „Emma, du gibst jetzt bitte Paul auch mal die Schaufel“, „Emma, nicht mit Sand schmeißen“, „Paul, wenn du mal pinkelt musst, sag Mama Bescheid“, "Ihr lasst sofort den Hund in Ruhe".

Irgendwann nachmittags füllt sich der Platz um den See. Der Lärmpegel steigt, die Entspannung nimmt ab. Zwischen unzähligen ganz geschmeidig wirkenden Familienhunden tut sich einer besonders hervor. Er heißt offenbar Max, ist ein Jack Russel und hat wahrscheinlich das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Anders ist sein Verhalten nicht zu erklären. Er rast über die Decken der Badegäste, bellt unentwegt im Sopran und scheint irgendeinen seltsamen Disput mit sich und seinem Hinterteil auszutragen. Seine Besitzerin scheint das nicht zu stören, zumindest bis sich der erste Familienvater meldet. „Können Sie nicht auf Ihre Töle aufpassen?“ „Ich komme hier schon seit über zehn Jahren her. Passen Sie lieber auf Ihre Bälger auf.“ Als würden die Querelen zwischen Eltern und Hundebesitzern nicht schon genug Stoff für eine Satiresendung bieten, beginnt das Paar nebenan, sich lautstark zu streiten. „Du hast gesagt, du hast den Grillanzünder eingepackt. Ich habe dich zweimal gefragt, Martin.“ "Ich hab den scheiß Grillanzünder eingepackt. Du musst ihn wieder aus der Tasche genommen haben.“ „Unterstellst du mir, dass ich lüge?“ Als ich kurz davor bin loszufahren und Anzünder zu holen, findet Martin das Päckchen doch noch. Es lag unter der Decke. Das fröhliche Gut-und-Günstig-Grillen kann losgehen. Es gibt Würstchen im Speckmantel.

<a href= Die Autorin: RegionalHeute.de-Redakteurin Sina Rühland.">
Die Autorin: RegionalHeute.de-Redakteurin Sina Rühland. Foto:



Während Mütter und Väter ihre tränenüberströmten Kinder dazu bewegen wollen, langsam zum Auto zu gehen, beginnt die Zeit der Schüler und Studenten. Kistenweise Bier wird heran gekarrt; was sie mit den Boxen vorhaben, wird sich gleich zeigen. Minuten später schallt mieser Elektro über das ganze Gelände. Das ist die Zeit des Oberaufsehers vom See. Er ist der Prototyp eines Blockwarts: seine Haut erinnert ein wenig an poröses Leder, seine Badehose an die Tapete eines 6oer Jahre Wohnzimmers. Den Wohlstandsbauch kratzend steht er am Wasser, hebt die Hand an die Stirn und überblickt sein Revier – so ein Tag am See ist doch immer wieder etwas besonderes...


mehr News aus der Region