Region. Ab dem heutigen Montag (2. November) treten in Deutschland neue Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie in Kraft. Mit dem "Lockdown-light" müssen Gastronomie und Freizeiteinrichtungen wieder schließen, Messen und Veranstaltungen werden größtenteils untersagt. Schulen und Kitas sollen hingegen geöffnet bleiben. Ebenso der Einzelhandel und die Produktion. Im privaten Bereich gilt wieder eine Kontaktbeschränkung auf zehn Personen aus maximal zwei Haushalten. Diese Maßnahmen sind zunächst bis Ende November befristet, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel am vergangenen Mittwoch in einer Pressekonferenz bekannt gab.
"Wenn wir jetzt zugucken, werden wir vielen Menschen nicht helfen können", fasst Michael Müller, der regierende Bürgermeister von Berlin zusammen. Merkel spricht von einer "nationalen Kraftanstrengung", die jetzt nötig sei. "Drei Viertel der Kontakte müssen runter", so Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Am vergangenen Samstag meldete das Robert-Koch-Institut über 19.000 Neuinfektionen in Deutschland.
• Sport, Handel und Gastronomie
Die Einschnitte sind tief: Neben Fitnesscentern, Schwimmbädern, Saunen und anderen Sport- und Freizeiteinrichtungen wird auch der Gastronomiebereich massiv eingeschränkt. Bars, Clubs, Diskotheken, Cafés und Restaurants müssen schließen, außer für den Verkauf von Gerichten und Lebensmitteln außer Haus. Der Profisport darf keine Besucher mehr empfangen, Amateursport ist aufgrund der geltenden Kontaktbeschränkungen quasi unmöglich. Der Groß- und Einzelhandel soll nach den Beschlüssen der Konferenz weitestgehend unangetastet bleiben. Es gelte jedoch die Maßgabe von einem Kunden auf zehn Quadratmetern.
• Kultur, Dienstleistungen und Schulen
Theater, Opernhäuser, Kinos, Spielhallen, Bordelle und Freizeitparks müssen ab Montag ebenfalls wieder vollständig schließen. Auch körpernahe Dienstleistungsbetriebe wie Tattoostudios, Kosmetikstudios und Massagepraxen werden in den Lockdown geschickt. Frisöre dürfen ihre Dienstleistung weiter anbieten, ebenso medizinische Dientleistungsbetriebe wie Ergo- und Physiotherapiepraxen. Schulen und Kindertagesstätten bleiben ebenfalls weiterhin geöffnet, hier gelten die Einschränkungen und Regeln der einzelnen Bundesländer. Für den Bereich der Universitäten bestätigte der Niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil, dass es eine Verlängerung der Regelstudienzeit geben werde. Hierüber herrsche ein Konsens innerhalb der Landesregierung.
• Alten- und Pflegeheime und Gottesdienste
Ein weiterer Punkt sei Merkel wichtig: "Wir werden uns insbesondere auch um vulnerable Gruppen in unserer Gesellschaft kümmern. Menschen in Senioren- und Altenheimen sollen weiter Besuch empfangen können." Unterstützt werden soll dies auch über die Kostenübernahme für regelmäßige Antigen-Schnelltests, die das Coronavirus in hochinfektiöser Konzentration bereits nach wenigen Minuten nachweisen können.
Während der Pressekonferenz fragte ein Journalist nach möglichen Maßgaben für Gottesdienste, da diese sich bereits mehrfach als Infektionsherd herausgestellt hätten. Hierzu erklärte die Kanzlerin, dass zu Gottesdiensten keine Vorgaben beschlossen wurden, die über die Abstands- und Hygieneregeln hinausgehen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ergänzt, dass es im Bereich von Gottesdiensten und Demonstrationen hohe verfassungsrechtliche Hürden aufgrund der Demonstrations- und Religionsfreiheit gebe.
Ein nationales Beherbergungsverbot
"Wir fordern Bürgerinnen und Bürger auf, auf private Reisen und Besuche zu verzichten. Das gilt auch für touristische Ausflüge und Reisen, Übernachtungsangebote werden nur noch für notwendige und ausschließlich nicht touristische Zwecke zur Verfügung gestellt", erläutert Merkel weiter. Damit hoffe man insgesamt auch auf den nach wie vor vollen öffentlichen Personennah- und Fernverkehr einwirken zu können. "Wir haben vor allem appelliert an die Länder auch im Schulbusverkehr noch eine Verbesserung zu erzeugen. Wir glauben, dass sich die Dichte der Benutzung des ÖPNV verändert, wenn ich keine touristischen reisen erlaube und wenn ich Heimarbeit mache, wo immer das möglich ist."
Kontakte im privaten Raum eingeschränkt
Weiterhin beschränkt werden auch die Kontakte im privaten Raum. Nach wie vor gilt die Maßgabe, die persönlichen Kontakte auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren. Die neu beschlossenen Maßnahmen fassen das nun wieder in Zahlen: Der Aufenthalt in der Öffentlichkeit ist ab Montag nur noch mit Angehörigen des eigenen oder eines weiteren Haushaltes erlaubt. Die Höchstgrenze sind zehn Personen, allerdings aus maximal zwei Haushalten. "Auch in Wohnungen und privaten Einrichtungen sind private Feiern genauso inakzeptabel wie auf öffentlichen Plätzen. Wir werden die Kontrollen hier auch verstärken", kündigt Merkel an.
Die Beschlüsse gelten bundesweit. Darauf haben sich die Ministerpräsidentinnen und Präsidenten aus Bund und Ländern geeinigt. Das Land Niedersachsen trägt die vom Bund beschlossenen Maßnahmen unverändert mit, wie aus der Finalfassung der Verordnung hervorgeht, die am vergangenen Freitag veröffentlicht wurde.
Das Dunkelfeld der Spekulation
Die Bundeskanzlerin sprach im Vorfeld der Verkündung der neuen Regeln von einem "exponentiellen Anstieg der Infektionszahlen mit Verdopplungszeiten, die sich weiter verkürzt haben." Am heutigen Mittwoch seien deutschlandweit doppelt so viele Neuinfektionen zu verzeichnen gewesen wie vor einer Woche. "So ist es auch mit anderen Indikatoren wie Patienten auf den Intensivstationen. Da haben sich die Zahlen in den letzten Zehn tagen verdoppelt. Die Zahl der Patienten, die beatmet werden müssen hat sich in den letzten neun Tagen verdoppelt." Bei einem weiteren Verlauf dieser Größenordnung sei "binnen Wochen" die Leistungsgrenze des Gesundheitssystems erreicht.
"Wir müssen handeln - und zwar jetzt, um eine akute nationale Gesundheitsnotlage zu vermeiden!"
Als Argument für die Härte und Auswahl der Einschnitte führt Merkel an, dass die Nachverfolgung der Kontakte noch immer das wichtigste Instrument zur Eindämmung der Pandemie sei. Dieses Instrument gehe jedoch langsam verloren. "Wir sind an einem Punkt angelangt, wo bei 75 Prozent der Infektionen nicht mehr wissen, woher sie kommen. Man kann nicht mehr sagen, dass ein bestimmter Bereich zur Infektionslage überhaupt nicht beiträgt", verteidigt die Bundeskanzlerin die getroffenen Entscheidungen im Hinblick auf die Aussage, dass keinerlei größere Ausbruchsgeschehen aus Kinos, Fitnessstudios oder anderen Freizeiteinrichtungen bekannt seien. "Man kann nicht nachweisen, dass beispielsweise die Gaststätten die Treiber sind. Wir können aber bei 75 Prozent der Fälle auch nicht nachweisen, was die Treiber sind", verdeutlicht die Kanzlerin. Über alledem habe die Maßgabe gestanden, rund 75 Prozent der Kontakte eines jeden einzelnen Menschen zu reduzieren, ohne die Wirtschaft zu stark in Mitleidenschaft zu ziehen wie im Frühjahr.
Hat der erste Lockdown gewirkt?
Blickt man auf die Archivzahlen des Robert-Koch-Institutes zur Entwicklung der Corona-Fallzahlen in Deutschland, zeigt sich, dass nach dem Lockdown zunächst keine signifikante Abflachung der Kurve zu erkennen war. Durch Meldeverzug und Inkubationszeit trat erst stark verzögert eine Wirkung ein. Ministerpräsident Stephan Weil äußerte sich auf eine Nachfrage von regionalHeute.de in der Landespressekonferenz aus Berlin deshalb zuversichtlich, dass hier die richtige Entscheidung getroffen worden sei. Erst im Sommer habe sich das Infektionsgeschehen wieder drastisch verändert: "Beginnend Mitte August haben wir erlebt wie sich das langsam weiterentwickelt hat. Wir sind jetzt in einer exponentiellen Kurve. Wenn wir diese Kurve jetzt weiterführen dann sind wir bei Verhältnissen, die wünschen wir niemandem in unserem Land", kommentiert Weil.
Wirtschaftshilfen für betroffene Unternehmen
Die Bundeskanzlerin kündigte während der Pressekonferenz "außerordentliche Wirtschaftshilfen" für betroffene Unternehmen an. 75 Prozent der ausgefallenen Erträge sollen erstattet werden, gemessen an den Einkünften aus dem November des Vorjahres bei Unternehmen bis 50 Mitarbeiter. Der Erstattungsbetrag bei größeren Unternehmen befinde sich aufgrund europäischer Richtlinien noch in der Diskussion. Die Finanzhilfe wird ein Finanzvolumen von bis zu zehn Milliarden Euro haben. Diese Hilfe gelte, so Ministerpräsident Stephan Weil, ausdrücklich auch für Solo-Selbstständige: "Weil die sich selbst als Betriebsmittel haben, aber keine betrieblichen Kosten. Das ist ein großer Fortschritt, der heute erzielt wurde." Wie der Niedersächsische Wirtschaftsminister Bernd Althusmann am vergangenen Freitag in einer Sondersitzung des Landesparlementes erklärte, werde es eine Auszahlung jedoch nicht vor Dezember geben.
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