Mangelware Schulbegleiter? Sozialministerium hat keine Übersicht

Das Land Niedersachsen erhebt keine Daten darüber, wie viele Kinder auf eine Schulbegleitung angewiesen sind. Das ergab eine Anfrage unserer Redaktion. regionalHeute.de hat bei den Städten, Kreisen und Trägern zur Situation recherchiert.

von Till Siebert und


Symbolbild.
Symbolbild. | Foto: Über dts Nachrichtenagentur

Region. Wenn Kinder Probleme bei der Bewältigung ihres Schulalltags haben oder generell aufgrund einer geistigen oder körperlichen Beeinträchtigung auf Unterstützung angewiesen sind, hilft hierbei der sogenannte Schulbegleiter, auch Integrationshelfer oder Schulassistenten genannt. Die Eltern können diese Hilfe beim Jugendamt oder beim Sozialamt beantragen. In einer Antwort auf die Anfrage von regionalHeute.de, wie viele Kinder an den Schulen momentan einen Schulbegleiter bewilligt bekommen haben, erklärte das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, dass die Antragsverfahren für die Schulassistenz landesseitig statistisch nicht erhoben werden. Ebenso habe das Ministerium keine Übersicht darüber, wie viele Kinder keinen Schulbegleiter bekommen, obwohl der Antrag bewilligt wurde.



Das ist bei dem momentan zu beobachtenden Bedarf an Arbeitskräften in dem Bereich mindestens verwunderlich. In einer Befragung von Trägern aus der Region wurde aus fast allen Kreisen und Städten von einem steigenden Bedarf an Mitarbeitern berichtet. Offene Stellenangebote spiegeln dies wider. Ein Sprecher des Ministeriums erläuterte zumindest, eine flächendeckende Unterversorgung bei den Leistungsangeboten der Schulassistenz sei nicht bekannt.

Nachfrage bei den Landkreisen


Auf Nachfrage bei den jeweiligen Landkreisen und kreisfreien Städten ergaben sich weitere Informationen. Darüber, wie viele Kinder eine Schulassistenz beantragt hatten, konnten nicht alle befragten Kreise antworten. Bis auf einen Landkreis zeichnete sich jedoch bei allen das Bild ab, dass die Anträge auf eine Begleitung durch einen Erwachsenen in der Schule, die bewilligt wurden, fast ohne Ausnahme dazu führten, dass die Kinder eine Schulassistenz finden konnten.

Oft wurde von Wartezeiten etwa um die drei Monate berichtet, vom Zeitpunkt der Anfrage an den Leistungsträger, bis zum Beginn der Begleitung. Obwohl sich manche Kreise dazu nicht äußern wollten, berichteten die meisten von einem klar erkennbaren Fachkräftemangel. Einen Mangel an Schulbegleitern scheint das nach Aussicht aller Kreise nicht zur Folge zu haben, da der Job in den meisten Fällen von Menschen ohne explizite pädagogische Ausbildung ausgeführt wird. Wer im Einzelfall eingesetzt wird, obliegt dem Ermessen des jeweiligen Trägers, wobei das Jugendamt in extremen Fällen, zum Beispiel bei Gefahr einer seelischen Schädigung beim Kind, empfiehlt, eine Fachkraft einzusetzen.


Die Fälle


Bis auf den Kreis Helmstedt liegen für alle Kreise zumindest Zahlen über die bewilligten Anträge auf eine Schulassistenz im Schuljahr 2021/22 vor. Die Zahlen entsprechen in allen Kreisen den Zahlen der Kinder, die eine Schulbegleitung bekommen haben, außer in Wolfenbüttel - hier konnte man dazu keine Angaben machen. Die meisten Fälle gab es dabei in Wolfsburg. Hier wurde für 331 Kinder eine Assistenz gefunden.

Wolfsburg ist zudem auch die Stadt, bei der der größte Mangel an Personal auftritt. Nachdem Arbeitskräfte aus Wolfsburg auf die Kinder verteilt wurden, blieben hier viele Kinder unbetreut, sodass der Bedarf durch Kräfte aus den umliegenden Landkreisen gedeckt werden muss. Sowohl Salzgitter als auch Braunschweig haben nur halb so viele Fälle, liegen jedoch im Vergleich direkt hinter Wolfsburg. In Salzgitter fanden 159 Kinder einen Begleiter - hier waren auch die einzig bekannten Fälle von Kindern (2), die im jetzigen Schuljahr nicht fündig geworden sind. In Braunschweig werden im laufenden Schuljahr insgesamt 134 Kinder betreut. Darauf folgt Goslar mit 118 und Gifhorn mit 62.

Wenn ein Kind auf längere Dauer keinen Schulbegleiter findet, gaben einige Kreise an, sei die einzige Alternative für die Schule, die Reduzierung von Schulstunden für das jeweilige Kind. Infolge komme es bei verhaltensauffälligen Kindern nicht selten zu einem temporären Ausschluss aus der Schule oder gar einer Schulsuspendierung. Die Dringlichkeit einer schnellen Umsetzung der Begleitung wird hier offenbart.

Die Stimmung bei den Trägern


Hierüber berichten auch viele Träger. Da einige von ihnen nicht namentlich erwähnt werden möchten, sind infolge alle Träger anonymisiert. Eine Sprecherin eines Trägers berichtete in dem Zusammenhang von der Problematik der langen Zeitspanne, die es braucht von dem Punkt der Antragsstellung beim Jugend- oder Sozialamt bis zur Antragsbewilligung. Bis zu einem dreiviertel Jahr könne das dauern. Wenn man die von vielen Trägern angegebene durchschnittliche Wartezeit anrechnet, kommt man auf eine Wartezeit von bis zu einem ganzen Schuljahr. Wenn man bedenkt, welche Folgen bei einer ausbleibenden Schulbegleitung von den Kreisen beschrieben worden sind, ergibt sich hieraus eine tiefgreifende Problematik für die Teilhabe vieler Kinder in der Region.


Die meisten Träger sind offen für Pooling


Durch die fast überall steigenden Zahlen gepaart mit einem durchgehenden Fachkräftemangel im Bereich der Schulassistenz, ergibt sich bei vielen Trägern ein Bedarf an neuen Lösungen. Ideen gibt es reichlich. Viele der befragten Träger zeigten im Gespräch ganz eigene Sichtweisen auf die momentane Lage und äußerten dementsprechend unterschiedliche Lösungsansätze. Viele zeigten sich gegenüber der Methode des sogenannten Poolings offen, bei dem möglichst eine pädagogische Fachkraft oder zumindest eine erfahrene Mitarbeiterin mehrere Fälle in einer Klasse übernimmt und zusätzlich als Ansprechperson für die ganze Klasse gilt. Dadurch solle gerade in höheren Klassen der Umstand vermieden werden, dass die zu begleitende Person aufgrund des Sonderstatus aus der Klassengemeinschaft heraussticht, was dem angestrebten Inklusionsgedanken entgegenstehen würde, erklärt die Sprecherin eines Trägers.

Dem Prinzip des Poolings steht jedoch die momentane Förderstruktur gegenüber, die von den Eltern ausgeht, die für ihre Kinder eine Schulassistenz beanspruchen und gewissermaßen eine Betreuung für ihr eigenes Kind in Anspruch nehmen. So berichtet ein anderer Träger davon, dass vom Amt aus ein Begleiter, der mehrere, etwa drei Kinder betreut, so betrachtet wird, als betreue er jedes der Kinder nur zu einem Drittel. Das bedeutet dann im Endeffekt einen größeren Aufwand für dasselbe Geld. Doppelbetreuung scheint bei den meisten befragten Trägern keine Seltenheit zu sein. Treibende Kraft dahinter seien oft die Lehrer, so eine weitere Sprecherin. Diese wollten oft so wenig Erwachsene wie möglich im Klassenraum. Nur ein einziger Verband berichtete davon, ausschließlich eins zu eins Betreuungen anzubieten.

Die rechtliche Lage


Doch was bedeutet es, wenn plötzlich ein Erwachsener mit in der Schule sitzt? Wer ist für das Kind verantwortlich? Für die Kernaufgaben der pädagogischen Arbeit ist die Schule verantwortlich, während es sich bei der Leistung zur Teilhabe an Bildung um eine Leistung der Eingliederungshilfe handelt, erklärt Manfred Böhling, Pressesprecher des Sozialministeriums. Der Schulbegleiter soll also bei der Eingliederung in die Schul- und Klassengemeinschaft helfen. Hier wird zwischen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch "Neuntes Buch" (SGB IX) für Kinder und Jugendliche mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung und Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch "Achtes Buch" (SGB VIII) für Kinder und Jugendliche mit einer seelischen Behinderung unterschieden. In der Praxis sei es häufig schwierig abzugrenzen, wo der Aufgabenbereich des Systems Schule aufhört und der Aufgabenbereich der Schulassistenz anfängt.

Die sachliche Zuständigkeit liege in jedem Fall bei den Landkreisen, kreisfreien Städten und der Region Hannover als örtlichen Trägern der Eingliederungshilfe und der Jugendhilfe. Diese nehmen die Aufgabe im eigenen Wirkungskreis wahr und entscheiden im Einzelfall vor Ort über Inhalt und Umfang der zu bewilligenden Leistungen. Dies könne zu regional sehr unterschiedlichen Handlungsweisen führen. Dem Land obliege lediglich die Wahrnehmung der Rechtsaufsicht.


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