Muss das Wort "Rasse" aus dem Grundgesetz verschwinden?

Der Begriff an sich sei nicht nur veraltet und falsch, sondern schon per se diskriminierend, sagen Kritiker. Da eine Streichung vom Bundestag beschlossen werden müsste, fragten wir bei den Bundestagsabgeordneten unserer Region an, wie sie persönlich zu diesem Thema stehen.

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Symbolfoto.
Symbolfoto. | Foto: pixabay

Region. Es gibt Stimmen die fordern, den Begriff "Rasse" aus dem Grundgesetz zu streichen, da es aus wissenschaftlicher Sicht keine unterschiedlichen Menschenrassen gebe. Daher sei bereits die Verwendung des Begriffs diskriminierend. Da eine Streichung vom Bundestag beschlossen werden müsste (mit Zweidrittelmehrheit), fragten wir bei den Bundestagsabgeordneten unserer Region an, wie sie persönlich zu diesem Thema stehen.



Wir fragten die Abgeordneten, ob es ihrer Ansicht nach Menschen unterschiedlicher Rassen gibt und falls nein, warum der Begriff noch nicht aus dem Grundgesetz gestrichen wurde. Zudem wollten wir wissen, ob es, wenn der Begriff gestrichen würde, dann noch Rassismus gebe beziehungsweise welchen Sinn dieser Begriff dann noch mache. Wir veröffentlichen die Antworten in der Reihenfolge ihres Eingangs.

"Ergebnis von Rassismus, nicht Voraussetzung"


Die Wolfenbütteler SPD-Abgeordnete Dunja Kreiser ist klar für die Abschaffung:
"Der Begriff `Rasse´ sollte aus dem Grundgesetz gestrichen werden. Der Begriff und das inbegriffene Konzept sind das Ergebnis von Rassismus, nicht dessen Voraussetzung. Denn eine biologische Begründung für eine Einteilung in Rassen gibt es eindeutig nicht, spätestens seitdem wir unser Erbgut entschlüsseln können, sollte darüber völlige Einigkeit bestehen.

Die Ampelkoalition hat deshalb im Koalitionsvertrag festgehalten, den Begriff aus unserem Grundgesetz zu streichen. Unsere Verfassung ist vor wenigen Tagen 74 Jahre alt geworden. Sie wurde von den Vätern und Müttern des Grundgesetzes wunderbar präzise und schlank verfasst. Der Begriff ist dabei nicht rassistisch genutzt worden, sondern bewirkt das Gegenteil und schuf und schafft eine ganz klare Distanz von der Nazi-Diktatur.

Dunja Kreiser (SPD)
Dunja Kreiser (SPD) Foto: Thomas Stödter


Heute wird der Begriff `Rasse´ allerdings genutzt, um Hass und Hetze zu schüren. Das Grundgesetz muss vor Rassismus schützen, ohne dabei von `Rasse´ zu sprechen. Dabei ist wichtig, dass das Schutzniveau des Artikels 3 Absatz 3 Grundgesetz voll erhalten bleibt. Momentan laufen Gespräche zu dieser Änderung des Grundgesetzes. Ich bin für eine zügige Überarbeitung an dieser Stelle."



Linke unterstützt Änderung


Der Wolfenbütteler Abgeordnete Victor Perli (Die Linke) signalisiert ebenfalls Unterstützung für eine Grundgesetzänderung. "Die Fraktion Die Linke befürwortet eine Aktualisierung des Grundgesetzes, die den Begriff ersetzt und eine staatliche Verpflichtung zum Schutz vor rassistischer Diskriminierung verankert. Dies würde den rechtlichen Rahmen für den Schutz vor Diskriminierung stärken", so Perli. Für eine Änderung sei eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich. Daher sei es wichtig, dass die demokratischen Parteien bei der genauen Formulierung kompromissbereit sind.

Victor Perli (Die Linke)
Victor Perli (Die Linke) Foto: Thomas Stödter


"Auftrag an die Politik mehr gegen Rassismus zu tun"


Die Braunschweiger FDP-Abgeordnete Anikó Glogowski-Merten, die gleichzeitig kulturpolitische Sprecherin ihrer Fraktion ist, sieht ebenfalls Handlungsbedarf. "Die Debatte ist wichtig und ein klarer, richtiger Auftrag an die Politik mehr gegen Rassismus zu tun. Rassismus setzt die Vorstellung vermeintlich existierender Rassen voraus. Das Grundgesetz verbietet zwar rassistische Diskriminierungen, indem es den Begriff ,Rasse' als Antidiskriminierungsmerkmal nennt. Damit setzt es allerdings voraus, was es gerade vermeiden will: Die Fehlvorstellung, dass sich Menschen in ,Rassen' einteilen ließen", stellt die Abgeordnete klar.

Anikó Glogowski-Merten.
Anikó Glogowski-Merten. Foto: FDP


Die Ampel-Fraktion habe das Vorhaben, diesen Begriff aus dem Grundgesetz zu streichen, im Koalitionsvertrag festgehalten und arbeite in intensiven Gesprächen und Beratungen daran, diese Gesetzesänderung schnell auf den Weg zu bringen. "Natürlich möchten wir diese Änderung lieber gestern als heute beschließen, dazu benötigen wir jedoch eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, was bedeutet, dass hier auch die CDU-Fraktion gefragt sein wird, unser Anliegen zu unterstützen", so Glogowski-Merten. Das Gebot der Stunde sei daher einmal mehr: "Eile mit Weile, denn eine gute Vorbereitung ist alles."

Falsch aber alternativlos


Anders sieht es der Braunschweiger Abgeordnete Carsten Müller, der den Begriff "Rasse" zwar für falsch, im Grundgesetz aber für alternativlos hält:
"Zu Beginn und vorab: Es gibt keine menschlichen Rassen. Die biologisch-naturwissenschaftliche Forschung ist in diesem Bereich eindeutig und klar. Genauso klar muss sein, dass unsere Kommunikation zum Ausdruck bringt, dass jede Einteilung der Menschen nach Rassen falsch ist. Wer dennoch über Rassen diskutiert, bereitet einer rassistischen Ideologie den Boden.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Müller.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Müller. Foto: Thomas Stödter


Die Erkenntnis, dass es keine menschlichen Rassen gibt, hatten auch die Väter und Mütter des Grundgesetzes bereits verinnerlicht. Als sie vor 74 Jahren entschieden haben, diesen Begriff ins Grundgesetz zu übernehmen, war es ihre bewusste, direkte Antwort auf die Nürnberger Rassegesetz und auf den Rassenwahn der Nazis. Dieser historische Kontext ist in Debatten stets zu berücksichtigen. Ebenso klar ist, dass eine Streichung des Begriffs ‚Rasse‘ nicht automatisch den Rassismus und die damit verbundenen Gefahren beseitigt. Nach wie vor hängen Menschen auf der ganzen Welt dem Rassenwahn an und propagieren diesen. Es reicht daher nicht, dass wir auf diesen Begriff verzichten und ihn durch andere Begriffe ersetzen.

UN und EU verwenden Begriff ebenfalls


Ich bin aus mehreren Gründen gegen die Streichung des `Rasse´-Begriffs aus dem Grundgesetz. Der ‚Rasse‘-Begriff findet sich im Kontext des Schutzes der allgemeinen Menschenrechte in der Charta der Vereinten Nationen. Die Erklärung der Menschenrechte der UNO proklamiert die ‚Gleichheit aller Menschen ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse‘. In weiteren Erklärungen der Vereinten Nationen wird der Begriff ebenfalls verwendet, beispielsweise in der Verurteilung des Kolonialismus und die damit verbundene Rassentrennung oder in der Erklärung zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung. Der ‚Rasse‘-Begriff wird ebenso in den europäischen Verträgen genutzt, um sich ausdrücklich 'gegen jegliche Diskriminierung aus Gründen der Rasse‘ zu wenden und auch die Charta der Grundrechte wendet sich ‚gegen Diskriminierung wegen der Rasse‘.

All diesen Verträgen liegt die Überzeugung zu Grunde, dass jede Lehre von einer auf Rassenunterschiede gegründeten Überlegenheit wissenschaftlich falsch und moralisch verwerflich ist. Sie ist außerdem sozial ungerecht und insgesamt gefährlich. Dennoch wird der Begriff bewusst verwendet, um damit gezielt die unterschiedlichen und diskriminierenden Behandlungen von Menschen zu verurteilen, die mit der Angehörigkeit verschiedener ‚Rassen‘ begründet werden.

Absoluter Diskriminierungsschutz gefährdet


Genau wie es der versierte rechtspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Jerzy Montag in seiner klugen Plenarrede im März 2012 betont hat, sehe ich mit einer Streichung des Wortes ‚Rasse‘ aus dem Grundgesetz relevante Gefahren einhergehen. Die Streichung geht für mich mit der Gefahr einer Verkürzung des absoluten Diskriminierungsschutzes einher. Das hohe Schutzniveau muss zwingend erhalten bleiben. Der Grundrechtebereich des Grundgesetzes ist die Herzkammer unserer Verfassung. Der Begriff ‚Rasse‘ ist aus der historischen und völkerrechtlichen Dimension eine klare, deutliche und sehr präzise Ansage gegen Rassismus, gegen Antisemitismus und gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.

Bereits in früheren Diskussionen haben Expertinnen und Experten wiederholt bekräftigt, dass mögliche ersetzende Formulierungen, wie etwa ‚rassistisch‘, ‚ethnische Herkunft‘ oder ‚soziale Zugehörigkeit‘ zu kurz greifen. Diese Formulierungen würden das Ziel der Regelung gefährlich verengen und nachteilig wirken. So gut gemeint der Ansatz zur Streichung des Begriffs auch ist, so falsch und kontraproduktiv scheint es mir, Begriffe und Formulierungen zu verwenden, die die Thematik insgesamt abschwächen. Wir nähmen diejenigen, die von Rassen reden und rassisch diskriminieren, aus dem Fokus und ermuntern Rassisten, ihr Unwesen weiter zu treiben.

Wir müssen stets wachsam sein und uns als Gesellschaft jeder Form von Rassismus, von Ausgrenzung und Antisemitismus entschlossen entgegenstellen. Dieses Übel muss in diesem Kontext klar und eindeutig benannt werden. Deshalb muss dafür auch das Wort ‚Rasse‘ weiter Verwendung finden.“


Streichung im Koalitionsvertrag festgehalten


Hubertus Heil (SPD) aus Peine ist nicht nur Bundestagsabgeordneter, sondern als Minister für Arbeit und Soziales auch Teil der Bundesregierung. Er bestätigt die Bestrebungen der Ampel, das Wort zu entfernen. "Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben den Begriff der `Rasse´ aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus unter den Schutz vor Ungleichbehandlung durch Artikel 3 des Grundgesetzes gestellt. Aus heutiger Sicht ist der Begriff der `Rasse´ wissenschaftlich nicht haltbar. Wir wollen uns deshalb davon lösen", betont Heil. Die Ampel-Regierung habe im Koalitionsvertrag die Streichung des Rassebegriffs festgehalten. "Wir stellen uns deshalb der Aufgabe, den Begriff `Rasse´ aus dem Grundgesetz zu streichen beziehungsweise zu ersetzen."

Hubertus Heil
Hubertus Heil Foto: Über dts Nachrichtenagentur


Für die Änderung des Grundgesetzes ist dennoch eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag erforderlich, über die die Ampel-Regierung alleine nicht verfügt. Wir setzen uns deshalb im parlamentarischen Prozess nachdrücklich dafür ein, die anderen Fraktionen von dem Vorhaben zu überzeugen. Natürlich beendet die Streichung des Begriffs aus dem Grundgesetz nicht jeden Rassismus, allerdings gehen wir damit bei der Bekämpfung von Rassismus einen großen Schritt nach vorne."

"Änderung hätte deutliche Signalwirkung"


Auch die SPD-Abgeordnete für den Landkreis Goslar, Frauke Heiligenstadt, betont, dass SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und die FDP sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf geeinigt haben, den Begriff „Rasse“ aus dem Grundgesetz zu streichen: „Wir wollen den Gleichbehandlungsartikel des Grundgesetzes (Artikel 3 Absatz 3 GG) um ein Verbot der Diskriminierung wegen sexueller Identität ergänzen und den Begriff ‚Rasse‘ im Grundgesetz ersetzen“, zitiert sie den Koalitionsvertrag.

Frauke Heiligenstadt
Frauke Heiligenstadt Foto: Thomas Stödter


"Natürlich beendet diese Grundgesetzänderung nicht automatisch jede gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit – einen Begriff, den ich im Übrigen wesentlich treffender finde und der sich auch schon länger in der wissenschaftlichen Literatur wiederfindet", so Heiligenstadt weiter. Aber die Änderung des Gesetzestextes habe eine deutliche Signalwirkung: "Wir nehmen den Kampf gegen gruppenbezogene Gewalt und Diskriminierung ernst." Allerdings müsse auch gesagt werden, dass eine Grundgesetzänderung eine Zweidrittelmehrheit erfordere, die momentan in dieser Sache nicht gegeben sei.

"Zeichen gegen gruppenbezogene Gewalt"


Ähnlich sieht dies der Braunschweiger SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Christos Pantazis:
"Es gibt keine Menschenrassen. Vor diesem Hintergrund hat sich die Fortschrittskoalition in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, den wissenschaftlich falschen und veralteten Begriff `Rasse´ im Grundgesetz zu ersetzen. Damit bekräftigen wir unsere Verpflichtung zur Gleichheit und Nichtdiskriminierung und setzen ein Zeichen gegen gruppenbezogene Gewalt. Indem das Wort `Rasse´ im Grundgesetz ersetzt wird, signalisieren wir, dass alle Menschen unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft, Hautfarbe oder kulturellen Zugehörigkeit gleichberechtigt sind. Bei der Ersetzung des Begriffs `Rasse´ im Grundgesetz wären als neue Formulierungen `rassistisch´ oder `aus rassistischen Gründen´ denkbar.

Dr. Christos Pantazis (SPD)
Dr. Christos Pantazis (SPD) Foto: Thomas Stödter


Wir machen uns für die Umsetzung dieses Vorhabens aus dem Koalitionsvertrag stark. Für die Änderung des Grundgesetzes braucht es im Bundestag jedoch eine Zweidrittelmehrheit. Deshalb hoffen wir, dass die Opposition im Bundestag unsere Ansicht teilt und sich somit ebenfalls gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung positioniert.

Natürlich beendet diese Grundgesetzänderung nicht automatisch jede gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Sie wäre aber ein wichtiger Schritt, um die rechtliche und gesellschaftliche Grundlage unseres Landes den heutigen Erkenntnissen und Werten anzupassen, und misst dem Thema im höchsten aller unserer Gesetze einen angemessenen Stellenwert zu."



Auch die regionalen Bundestagsabgeordneten von Bündnis 90 / Die Grünen, Frank Bsirske und Karoline Otte, wurden zum Thema angefragt. Antworten gingen bislang nicht ein.


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