Servicekräftemangel: »Bitte seien Sie nett zu unserer Bedienung!«

von Andreas Molau




Eine Wolfenbütteler Kneipe machte mit einem Facebook-Bild zum Servicekräftemangel Furore. Kulinarisch38 schaute genauer auf die Situation.


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Wer möchte hier arbeiten?[/image] »Bitte seien Sie nett zu unserer Bedienung! Noch immer sind Kellner schwerer zu bekommen als Gäste.« Mit dieser Aufforderung, als Bild bei Facebook gepostet, machte eine Kneipe in Wolfenbüttel kürzlich auf sich aufmerksam. Das Bild wurde unzählige Male geteilt, geliket und kommentiert. Kulinarisch38 teilte es in den sozialen Netzwerken und die Redaktion war erstaunt über die große Resonanz. Das Thema bewegt. Vielleicht an kaum einen anderen Punkt kommen gesellschaftliche Diskrepanzen so offen zum Vorschein, wie beim Essen gehen. Da zahlt der Gast für ein Menü viel Geld, auch Getränke sind ja verhältnismäßig teuer und wird an der Schnittstelle mit Menschen konfrontiert, die sich womöglich einen solchen Luxus nicht leisten können.  Die Hilfskraft in der Spülküche, die die Essensreste in die Tonne kratzt, ist »wenigstens« nicht sichtbar. Emotionen entstehen da, wo soziale Schieflagen offenbar werden.

Botschaften aus Billigklamotten

Als vor einigen Monaten in Billigkleidung eingenähte Botschaften zu sehen waren, erregte das für einen kurzen Augenblick die Öffentlichkeit. Danach dürften die Umsätze bei Firmen, die Hosen für 10 € verkaufen, nicht eingebrochen sein. Nachhaltigkeit ist ein Wort, das sich großer Beliebtheit erfreut. Mit der Umsetzung ist es so eine Sache. Aber wie ist die Situation in der Gastronomie? Warum entscheiden sich immer weniger junge Menschen dazu, in diese Bereiche einzusteigen? Da ist von Sklavenlöhnen die Rede in den Kommentaren. Schlechten Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten. Wenn man sich dem Thema sachlich nähern möchte, sollte zunächst einmal der aktuelle Tarifvertrag ins Auge gefasst werden. Der sieht, sehr differenziert, acht Tarifgruppen vor: Von der einfachen Küchenhilfe, über Tätigkeiten, die eine Anleitung jedoch keine abgeschlossene Berufsausbildung erfordern, abgeschlossene Berufsausbildung bis hin zu jeweils höheren Verantwortungsbereichen.

Acht Tarifgruppen differenzieren

Und da liegen die Einkünfte bei 1.467 € in der Tarifgruppe eins, bis 2.756 € in der Tarifgruppe acht. Mit abgeschlossener Berufsausbildung liegt man als Köchin/ Koch, Restaurantfachfrau/ Restaurantfachmann etc. ab dem dritten Jahr der Berufstätigkeit bei 1.918 €. Aufstieg in der Gastronomie ist also möglich. Rainer Balke, Hauptgeschäftsführer der DEHOGA Niedersachsen, macht gegenüber Kulnarisch38 darauf aufmerksam, dass wir volkswirtschaftlich auf eine Vollbeschäftigung zuliefen: »Wir leben in einem Arbeitnehmermarkt, d.h. die potenziellen Mitarbeiter können sich mittlerweile aussuchen, wo sie arbeiten wollen. Eine Entscheidungsgrundlage ist dabei bestimmt auch die Höhe des Stundenlohnes, aber eben auch die Frage, wie läuft die Arbeit an sich. Werde ich von meinem Arbeitgeber geschätzt? Und wie reagieren die Kunden auf mich? Wenn ich Gefahr laufe, von meinen Gästen gemobbt zu werden, werde ich im Ernstfall bei einer Auswahlbreite an Tätigkeiten immer die nehmen, die am angenehmsten ist. Im Zweifel bediene ich dann lieber eine Maschine als einen Kunden aus Fleisch und Blut.«

Praktisch keine Unterschiede zu Hartz IV

Vollbeschäftigung mag zwar etwas optimistisch sein, aber offensichtlich ist die Situation doch noch so, dass unbeliebte Arbeitsbereiche gemieden werden können. Auch, weil die soziale Absicherung so gestaltet ist, dass es zwischen den unteren Einkommensgruppen und Hartz-IV-Beziehern praktisch keine finanziellen Unterschiede gibt. Ein Braunschweiger Gastronom macht gegenüber unserer Online-Zeitung auf einen anderen Aspekt aufmerksam: »Die Löhne in der Gastronomie sind sicher nicht die Besten. Wenn Sie Löhne wie in der Industrie zahlen wollen, müssen Sie auch Preise wie in der Industrie nehmen. Aber dann geht keiner mehr Essen.« Hohe Preise zahle der Kunde bei Autos oder bei Handys, nicht aber beim Essen. Also liegt die Verantwortung ebenso beim Verbraucher. Der sorgt mit seiner Kaufentscheidung überall dafür, ob es gerechte oder ungerechte Löhne gibt. Welche Wertschätzung haben Lebensmittel? Man darf sich ja genauso fragen, wie ein Landwirt bezahlt werden soll, dessen Milch beim Supermarkt für 50 Cent verkauft wird. Vom Packer, Spediteur und Verkäufer mal abgesehen.

Nicht nur die Gastronomen

Schließlich haben andere Berufsgruppen eben solche Schwierigkeiten, »Nachwuchs« zu bekommen – etwa Bäcker oder Fleischer. Solange es Möglichkeiten gibt, leichter an sein Geld heranzukommen, wird die Situation vermutlich nicht besser. Der Bürojob ist offenbar bequemer als ein solcher, bei dem es freizeittechnisch unangenehme Arbeitszeiten gibt. Ein Patentrezept gibt es für alle sozialen Fragen sowieso nicht. Gerade deshalb hat dieses Thema vielleicht so polarisiert. Auf jeden Fall ist es ein guter Anlass, dass alle Seiten, in diesem Fall Gastronomen, Beschäftigte und Gäste, ihr Verhalten überdenken. Der Gastronom muss sich fragen lassen: Wie behandele und bezahle ich meine Beschäftigten? Der Gast: Was ist mir gutes Essen und ein fachkundiges, freundliches Personal wert. Die Beschäftigten: Gibt es neben aktiver Freizeitgestaltung auch noch andere Dinge, um im Leben zufrieden zu sein? Zum Beispiel einen spannenden Job, bei dem es nicht langweilig wird. So allein wird man sich einer Lösung des Problems annähern.


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