Region. Morde ohne Täter, Menschen, die spurlos verschwinden – und Angehörige, die über Jahrzehnte auf Antworten warten. In der Polizeidirektion Braunschweig sind etliche Fälle als sogenannte Cold Cases registriert. Eigenes dafür wurde eine Ermittlungsgruppe eingerichtet, die alten Fällen nachgeht.
Wenn Ermittler von Cold Cases sprechen, sind damit ungeklärte Tötungsdelikte oder Vermisstenfälle gemeint, bei denen ein Verbrechen vermutet wird, die aber trotz intensiver Ermittlungen nicht aufgeklärt werden konnten. Beim Zentralen Kriminaldienst der Polizeiinspektion Braunschweig befasst sich seit 2019 eine spezielle Ermittlungsgruppe mit diesen Fällen. Ziel ist es, durch neue forensische Methoden oder Hinweise aus der Öffentlichkeit doch noch eine Aufklärung zu ermöglichen. Und in einigen Fällen gab es bereits Erfolge – andere hingegen geben sowohl den Ermittlern als auch den Angehörigen weiterhin Rätsel auf.
Neue Hoffnung, alte Fragen
Wie die Polizei jetzt auf Anfrage von regionalHeute.de mitteilte, sind im Zuständigkeitsgebiet der Polizeidirektion Braunschweig aktuell 55 Cold Cases registriert. Zu einzelnen Verfahren, die aktuell in der Bearbeitung sind, könne man grundsätzlich keine dezidierten Angaben machen. Dies sei vor allem dadurch begründet, dass zukünftige Ermittlungsansätze nicht durch eine öffentliche Berichterstattung, mit der Information, dass Fälle wieder bearbeitet oder bald aufgenommen werden, gefährdet werden sollten. Besonders schützenswert seien außerdem die Gefühle der Hinterbliebenen.
Totes Baby Gabriel: Wer ist die Mutter?
Und doch geht die Polizei auf einen Fall etwas genauer ein. Man möchte auf einen sehr emotionalen "Altfall" aufmerksam machen, heißt es. Es geht um ein Neugeborenes, das im September 2016 in einem Altkleidercontainer in Wendhausen im Landkreis Helmstedt gefunden wurde. Die leibliche Mutter konnte bis heute nicht ermittelt werden. Bis jetzt ist auch nicht klar, ob es sich um ein Tötungsdelikt oder eine Tragödie handelte, die sich im September 2016 ereignet hat. Das unbekannte Kind wurde mit dem Namen Gabriel in Wendhausen beerdigt.
Damals wie heute lauten die Fragen der Ermittler: Wer hat Personen oder Fahrzeuge beobachtet, die zwischen dem 5. und dem 13. September 2016, den Altkleidercontainer in der Hauptstraße in Wendhausen benutzt haben und vielleicht auch durch ein ungewöhnliches Verhalten auffällig geworden sind? Wer kann Hinweise auf eine Frau geben, die in diesem Zeitraum ein Baby zur Welt gebracht hat, welches nach Geburt verschwunden war? Hat sich die Mutter vielleicht über die Jahre hinweg einer Mitwisserin oder einem Mitwisser gegenüber offenbart, weil sie mit dem Erlebten nicht alleine sein wollte?
Hinweise nimmt der Kriminaldauerdienst der Polizei in Braunschweig 0531 476 2516 entgegen oder per Email unter coldcases@pi-bs.polizei.niedersachsen.de.
Weitere ungelöste Fälle
Ob die spezielle Ermittlungsgruppe "Cold Cases" an den nachfolgende Fälle arbeitet, ist aus den bereits genannten Gründen nicht bekannt. Doch gibt es in der Region weitere Fälle, die bis heute nicht aufgeklärt werden konnten und zu denen es immer mal wieder Zeugenaufrufe oder sogar neue Ermittlungen gibt.
Angelika Gaubatz
Holger Kunkel, Oberkommissar bei der Polizei Braunschweig, zum Fall Angelika Gaubatz.
1972 verschwand die damals 16-Jährige auf dem Heimweg von ihrer Arbeitsstelle. Vier Wochen später fand man ihre Leiche gefesselt in einem Feld bei Timmerlah. Als Fesselmittel diente ihre eigene Strumpfhose. Vermutlich wurde sie sexuell missbraucht. DNA-Spuren wurden damals allerdings vernichtet.
Artur L.
Der damals 52-jährige Braunschweiger Handwerker wurde 1994 auf einem Parkplatz an der B214 bei Edemissen erschossen. Warum er sterben musste, ist bis heute nicht bekannt.
Tom-Finn Knorz
Holger Kunkel, Oberkommissar bei der Polizei Braunschweig, zum Fall Tom-Finn Knorz (Archivmaterial aus 2018)
Der 17-jährige Tom-Finn Knorz wurde im November 2014 schwer verletzt und halb entkleidet unter einer Brücke in der Broitzemer Straße gefunden. Er starb kurz darauf. Die Geschehnisse jener Nacht sind bis heute nicht genau geklärt. Auch zehn Jahre später quält Tom-Finns Familie die Frage, was in der Winternacht 2014 passierte.
Der Fall Ingrid B.
1992 verschwand die 42-jährige Frau aus Salzgitter. Auch hier führten erneute Durchsuchungen in Gebhardshagen 2021 zu keinen abschließenden Erkenntnissen.
Der Fall Roswitha Hedt: Wie vom Erdboden verschluckt
Die damals 53-jährige Roswitha Hedt verschwand an einem Januartag 1999 spurlos. Bis heute ist nicht geklärt, was mit der Friseurmeisterin geschah. Ihre letzten Spuren führen durch die halbe Region. In der Sendung "Aktenzeichen XY... Vermisst" wird der Fall Roswitha Hedt nun noch einmal aufgerollt.
Der Fall Heike Wiatrowski: Spurensuche endet ohne Ergebnis
Ebenfalls tragisch und wohl unaufgeklärt bleibt der Mordfall an der 12-jährigen Heike Wiatrowski, die am 18. Februar 1977 mit zahlreichen Stich- und Schnittverletzungen in der Wohnung ihrer Eltern in Sickte gefunden wurde. Das Verfahren wurde 2022 noch einmal aufgenommen – unter anderem mit erweiterten DNA-Analysen. Auch eine privat ausgelobte Belohnung brachte nicht den entscheidenden Hinweis. Die polizeilichen Maßnahmen sind nunmehr abgeschlossen.
Es gab auch Erfolge
Nicht jeder Fall endet mit Fragezeichen. Es konnten bereits vereinzelt in Cold Cases Ermittlungserfolge generiert werden, so Polizeisprecher Nico Delling und berichtet, dass die Überreste einer vermissten Person im Jahr 2022 im Gebiet Reindagerothweg in Braunschweig aufgefunden werden konnten. Im Gesamtkontext dieser Langzeitvermisstensache sei man zu dem Ermittlungsergebnis gekommen, dass es sich nicht um ein Tötungsdelikt, sondern um ein Versterben durch einen Unglücksfall (mutmaßlich Sturzgeschehen) gehandelt haben dürfte.
Außerdem konnte durch eine festgestellte DNA- Spur in einem Tötungsdelikt aus dem Jahr 1997 zum Nachteil eines Rentners in Braunschweig ein dringender Tatverdacht gegen eine bereits verstorbene Person manifestiert werden.
Zwei Morde, ein Täter
Holger Kunkel, Oberkommissar bei der Polizei Braunschweig, zu den Fällen Andrea Fechner und Doris Mundt.
Bereits in der Vergangenheit konnten einige Fälle gelöst werden, wie der inzwischen pensionierte, Oberkommissar Holger Kunkel in einem früheren Interview mit regionalHeute.de berichtete. Da sind beispielsweise die Fälle Andrea Fechner aus Braunschweig und Doris Mundt aus Goslar. Lange Zeit galten die Morde an den beiden Frauen aus dem Jahr 1981 als nicht geklärt. Sie landeten in dem Ordner der ungeklärten Fälle bei der Polizei Braunschweig. Bis zum Jahr 2005. Dann konnten Manfred M. aus Vienenburg dank der heutigen Wissenschaft beide Morde zugeordnet werden.
Petra P. - nach 30 Jahren wieder aufgetaucht
Ein weiterer besonderer Fall ist der von Petra P., die 1984 als 24-Jährige verschwand. Ermittler gingen jahrzehntelang von einem Verbrechen aus – doch 2015 wurde sie lebend gefunden. Sie hatte über 30 Jahre unter falscher Identität gelebt. In einem späteren Interview schilderte sie, wie sie sich verstecken konnte – und warum.
Mord ohne Leiche
Zwar kein ungelöster Fall, aber dennoch einer, bei dem bis heute viele Fragen offen sind, ist der Mord an Karsten Manczak. Am 13. April 2021 verschwand der damals 51-Jährige spurlos aus seinem Haus im Liebenburger Ortsteil Groß Döhren. Heute ist man sich sicher, dass der Familienvater einem Verbrechen zum Opfer fiel. Im Mai 2022 wurde ein damals 51-jähriger Bundespolizist und enger Freund Manczaks in einem Indizienprozess zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
Lesen Sie zu diesem Fall auch: "Der Fall Karsten Manczak: Ein Ermittler erinnert sich" und "Der Fall Karsten Manczak: Dem Mörder auf der Spur".