Braunschweig. Nach rund drei Stunden Diskussion gab es plötzlich eine große Mehrheit für einen Kompromiss: Der Rat der Stadt Braunschweig beauftragt die Verwaltung das Schulentwicklungskonzept fortzuschreiben und und dabei die Einrichtung einer sechsten IGS und den Erhalt der neun Gymnasien besonderer Bedeutung beizumessen. Die Fraktionen der LINKEN und der GRÜNEN sprangen allerdings nicht mit auf den Zug, sie zogen ihre Anträge – im Gegensatz zur CDU – nicht zurück.
In einer zum Teil sehr hitzig geführten Debatte stritten die Parteien zuvor um die Sache – und ihre jeweiligen Vorstellungen vom aus ihrer Sicht perfekten Schulsystem. Bevor jedoch in die Debatte eingestiegen wurde, erbat Oberbürgermeister Ulrich Markurth das Wort. Markurth bedauerte es, dass Schüler für die politische Debatte instrumentalisiert wurden. Rund 200 Schüler hatten vor der Sitzung vor dem Rathaus demonstriert (BraunschweigHeute.de berichtete). Zunächst einmal lag es ihm jedoch am Herzen, Dampf aus der Sache zu nehmen und rechtliche Klarheit zu vermitteln. "Alle Dinge, die befürchtet werden, stehen gar nicht auf der Agenda", betonte der Verwaltungschef.
Die losgetretenen Kampagnen sorgen ihn. Auch am Rande der Rechtmäßigkeit hätten sich Schulleiter beteiligt. Auch von städtischen Computern wurde geschrieben. Dies verstoße gegen das Mäßigungsprinzip. Auf dieses Fehlverhalten wolle er zwar hinweisen, es aber nicht weiter verfolgen.
Rechtlich betrachtet werden müsse, dass eine IGS ein Gymnasium gar nicht ersetzen dürfe. "Dies sieht der Gesetzgeber gar nicht vor", so Markurth. Auch aufgrund der hohen Nachfrage nach Gymnasialplätzen könne man dies gar nicht planen. Die Schülerzahlen in Braunschweig seien auch in den nächsten Jahren konstant hoch. "Wir wissen aber nicht, was in den umliegenden Landkreisen passiert", gab der OB zu bedenken. So gebe es in Wolfenbüttel zum Beispiel Planungen, die Schüler auf die eigenen Gymnasien zu lenken.
"Das Thema braucht seine Zeit", so Markurth. Dies gelte auch für einen Neubau. Vor der Neugründung einer IGS müsse ein Konzept erarbeitet werden, müsse die IGS bei der Landesschulbehörde beantragt werden. "Das ist ein komplexes Thema. Das kann man nicht so einfach aus dem Ärmel schütteln. Das wird mehr als zwei Jahre dauern." Und wenn es eine Mehrheit für den Bau einer neuen Schule gibt, dann nehmen wir auch das in Angriff", so Markurth. Aber auch dies dauere länger als zwei Jahre.
Dringlichkeitsantrag der CDU
Karl Grizwa (CDU) dankte dem OB für die Klarstellung. Der Antrag der CDU-Ratsfraktion sei nicht ohne Grund gestellt worden. Im Zuge der bisherigen Diskussionen sei bei ihr der Eindruck entstanden, dass der Elternwille zur kurz kommen könnte. Viele Eltern hätten befürchtet, dass für eine sechste IGS der Standort eines Gymnasiums in Frage käme. "Die Angst der Eltern und Schüler stand im Raum, dass ein Gymnasium dran glauben muss, wenn die sechste IGS kommt", so Grziwa. Bis zur Entscheidung des Schulausschusses sei man in der Fraktion davon ausgegangen, dass erst das Ergebnis des Schulentwicklungsplanes abgewartet werden soll.
Änderungsantrag der Grünen
Holger Herlitschke (GRÜNE) warf der CDU vor, zu viel in den Antrag seiner Fraktion hinein interpretiert zu haben. "Was Sie hier aufbauen, ist ein Popanz". Die Nachfrage nach IGS-Plätzen müsse befriedigt werden. "Und nichts anderes steht in unserem Antrag", so Herlitschke. Für den Dringlichkeitsantrag stellte er einen Änderungsantrag: Entscheidungen bezüglich Schließungen, Erweiterungen oder Neugründungen von Schulstandorten hängen ausschließlich vom Elternwillen und von den Anmeldezahlen ab. Spekulationen bezüglich der angeblich geplanten Schließung eines der neun Braunschweiger Gymnasien entbehren jeglicher Grundlage.
Antrag der LINKE zur sechsten IGS
Gisela Ohnesorge (LINKE) begrüßt die Diskussion zur IGS, nicht jedoch das Verhalten der CDU. "Sie haben Angst geschürt, Sie missbrauchen Schüler und Eltern für ideologische Zwecke", sagte sie. Nur die CDU diskutiere auf diese Art und Weise. Im Antrag zur Einrichtung einer sechsten IGS in Braunschweig habe man nie die Schließung eines Gymnasiums gefordert. Ohnesorge forderte ein Umdenken in den Köpfen. "Wir müssen weg vom Schubladendenken", sagt sie. Warum gibt es harte Noten nur in den Kernfächern? Warum kommen soziale Kompetenzen zu kurz? "Darüber müssen wir diskutieren." Und am Ende müsse der Elternwillen in beide Richtungen Bestand haben.
Änderungsantrag der Grünen
Dr. Elke Flake (GRÜNE) begründete den bereits im Schulausschuss eingebrachten Änderungsantrag zum Antrag der LINKEN. Grundsätzlich sei die Einrichtung einer sechsten IGS nötig, da rund 230 Kinder zum Start des Schuljahrs mangels Platz keine IGS besuchen können. Hier sei der Elternwille nicht berücksichtigt worden. Den Änderungsantrag stelle man, da die LINKE die IGS zu schnell wolle. Die GRÜNEN seien hier mit dem OB einer Meinung, dass dies eine gewisse Zeit brauche. "Kein einziges Mal ist von der Schließung eines Gymnasiums die Rede gewesen", unterstrich aus sie, "auch für die Gymnasien gilt der Elternwille." Grundsätzlich müsse man das gesamte Schulsystem auf den Prüfstand stellen. Gefordert sei hier ein gemeinsamer, sachlich geführter Dialog.
Änderungsantrag der CDU
Karl Grziwa forderte in einem weiteren Änderungsantrag, vor weiteren Entscheidungen zur Braunschweiger Schullandschaft die Vorlage des Schulentwicklungsplanes abzuwarten. Ob dem Schulentwicklungsplan dann gefolgt wird, solle eine Bürgerbefragung klären.
Die Debatte
Peter Rosenbaum (BIBS) war in der anschließenden Aussprache der Meinung, dass die entstandene Diskussion wohl auf zahlreichen Missverständnissen beruhe. Als Verursacher sehe er die CDU-Fraktion. Seine Fraktion stimme bezüglich des Dringlichkeitsantrags für den Änderungsantrag der GRÜNEN und ansonsten für den im Schulausschuss gestellten IGS-Antrag.
Christoph Bratmann (SPD) unterstrich in seiner stark landespolitisch geprägten Rede die Bedeutung der Gymnasien. Mit der Rückkehr zu G9 würden diese noch attraktiver werden. "Jeder Schüler soll die Schule besuchen können, die für ihn richtig ist", erklärte er. Die Hauptschule sei leider in den Jahren zur "Restschule" verkommen. Die IGS sei eine gleichberechtigte Schulform, die der Stadt als Schulträger viele Gestaltungsmöglichkeiten biete. In der Diskussion seien Fehlinformationen und Ängste im Vordergrund gestanden. Die Schließung eines Gymnasiums sei als Fakt hingestellt worden. "Ziel des im Schulausschuss verabschiedeten Antrags war es, dem Bedarf gerecht zu werden, nichts anderes", betonte er. Aus dem Änderungsantrag der Grünen zur IGS-Einrichtung bat er die Zeitvorgabe 2015 herauszunehmen, denn die habe auch für Irritationen gesorgt.
Jens-Wolfhard Schicke-Uffmann (PIRATEN) gab zu bedenken, dass es nicht immer einfach sei, den Elternwillen zu erfüllen. "Auch in Braunschweig fallen die Schulstandorte nicht vom Himmel", wies er auf den Platzbedarf hin. Er wünschte sich, erst den Schulentwicklungsplan abzuwarten, bevor eine Entscheidung falle. Die von den GRÜNEN beantragte Entwicklung von Perspektiven für Haupt- und Realschulen in der zukünftigen Schulentwicklung erachte er als spannend.
Dr. Elke Flake bot an, über die beantragte Zeitvorgabe 2015 getrennt abstimmen zu lassen, um eine breite Mehrheit hinter dem Antrag zu vereinen.
CDU-Fraktionsvorsitzender Klaus Wendroth betonte, dass die CDU vor drei Wochen nie auf die Idee gekommen wäre, eine Schuldebatte zu führen. Erst die Anträge der LINKEN und der GRÜNEN hätte dazu geführt.
Holger Herlitschke wies seinerseits darauf hin, dass die Grünen den Änderungsantrag nur gestellt hätten, da sie Sorge vor einer ideologischen Debatte gehabt hätten. Diese sei nun geführt worden, da die CDU interpretiert, behauptet und unterstellt hätte. "Sie haben Brandstiftung betrieben", so Herlitschke.
Danach reichte es der CDU. Bevor es zur Abstimmung über die Anträge kommen sollte, beantragte Fraktionschef Wendroth eine Sitzungsunterbrechung zur Beratung. An deren Ende stand ein Gespräch mit den anderen Fraktionsvorsitzenden – und der Präsentation des letztlich abgesegneten Kompromissantrages. Seitens der SPD wurde Zustimmung signalisiert. Auch GRÜNEN-Fraktionsvorsitzender Herlitschke schien den Vorschlag mittragen zu wollen. Als es im Ratssaal dann aber zur Abstimmung kommen sollte, ging es plötzlich Dr. Elke Falke. Sie war es, die jetzt eine Beratungspause für die GRÜNEN forderte. Weitere zehn Minuten später war man sich hier einige, dass man sich mit CDU und SPD nicht einig war und die eigenen Anträge nicht zurückziehen werde. "Wir haben eine lange Debatte geführt, an deren Ende wir der Meinung waren, dass unser Antrag zustimmungsfähig wäre", betonte Herlitschke. Der formulierte Kompromiss verwundere, denn er spiegle nicht den Verlauf der Diskussion wider.
Udo Sommerfeld (LINKE) verweigerte ebenfalls die Zustimmung seiner Fraktion zu einem "handschriftlichen Zettel". Der Vorschlag sei nichts Konkretes. Am Ende hätten die Schüler zu leiden, die von ihrer Wunschschule abgelehnt werden, weil kein Platz für sie sei.
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