Wolfenbüttel. Die Landesaufnahmebehörde in Braunschweig ist überfüllt und auch in anderen Erstaufnahmeeinrichtungen sieht es kaum besser aus. Das Bundesministerium des Innern und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) reagierten deshalb nun mit einer Initiative, die durchaus umstritten ist: So wird unter anderem in einem Video und in Facebook-Posts gezielt Flüchtlinge aus den Westbalkanstaaten vor einer wahrscheinlichen Rückführung und den damit verbundenen Kosten gewarnt. Wie steht der Landkreis Wolfenbüttel und die Fraktionen im Landkreis zu der Info-Kampagne?
Wie das BAMF mitteilte, habe das Bundesamt im ersten Halbjahr 2015 rund 80.000 Asylanträge aus dem Westbalkan gezählt. Sehr viele Menschen aus diesen Ländern kämen mit falschen Erwartungen nach Deutschland und stellten aussichtslose Asylanträge, heißt es weiter. Die Schutzquote für Anträge vom Westbalkan läge bei unter einem Prozent. Daher gehöre es zu den Zielen des Bundesamtes, die Menschen direkt im Herkunftsland zu informieren. Ziel der Kampagne sei es also, so schreibt es das Bundesministerium des Innern auf seiner Internetseite, die Zahl der im Regelfall aussichtslosen Asylanträge aus dem Westbalkan zu reduzieren. Neben einem Video der Bundespolizei mit Abschreckungs-Effekt (siehe unten), schaltete das BAMF deswegen unter anderem auch auf Facebook Anzeigen auf serbisch und albanisch, die eine Woche lang bei Nutzern in Albanien und Serbien zu sehen waren und übersetzt sagten: "Der Chef der Flüchtlingsbehörde in Deutschland, Manfred Schmidt, erklärt: 'Antragstellende aus den Ländern Serbien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Albanien, Mazedonien und Montenegro haben fast keine Aussicht auf Asyl in Deutschland. 99,8 Prozent der Asylanträge aus diesen Ländern werden vom Bundesamt abgelehnt.' Schmidt sagt, dass Deutschland abgelehnte Flüchtlinge vom Balkan deutlich schneller als bislang zurückführen will. Außerdem wird Deutschland von nun an für abgelehnte Asylsuchende Wiedereinreisesperren für die ganze EU und Aufenthaltsverbote verhängen können. In Deutschland wird zudem darüber diskutiert, Flüchtlingen vom Balkan deutlich weniger Bargeld auszuzahlen als bislang."
Florian Röpke, Kreisvorsitzende des Kreisverbandes DIE LINKE. Foto: Privat
Die Kampagne stößt mancherorts auf scharfe Kritik. So auch bei einigen Kreisverbänden im Landkreis Wolfenbüttel. Florian Röpke, der Kreisvorsitzende des Kreisverbandes DIE LINKE, sagte auf Anfrage von RegionalWolfenbüttel.de: "Vor dem Grundgesetz sind alle Menschen gleich, dies sollte ebenso für das darin enthaltene Grundrecht auf Asyl gelten. Asyl ist ein individuelles Grundrecht und das heißt, jeder hat das Recht auf eine genaue und persönliche Prüfung seines Antrags – egal, wo er herkommt. Die Debatte über sichere Herkunftsstaaten, Speziallager für bestimmte Flüchtlingsgruppen, repressive Maßnahmen und Warnungen geht genau in die entgegengesetzte Richtung. Asylbewerber vom Balkan werden dann nicht mehr als Individuen wahrgenommen, sondern nur noch als Massenerscheinung, auf die mit einem pauschalisierenden Ansatz reagiert wird. Was da betrieben wird, hat mit dem individuellen Schutzgedanken des Grundrechts auf Asyl nichts mehr zu tun. Wir lehnen derartige Abschreckungsmaßnahmen natürlich ab."
Björn Försterling, Vorsitzender des Kreisverbandes der FDP in Wolfenbüttel. Foto: Nigel Treblin
Björn Försterling, Vorsitzender des Kreisverbandes der FDP in Wolfenbüttel, äußerte noch eine andere Kritik an der Kampagne. Er sagte: "Das Video ist eine rein innenpolitische PR-Maßnahme der Bundesregierung. Mit dem Video will die Bundesregierung zeigen, dass sie etwas gegen den Flüchtlingsstrom aus den Balkanstaaten unternimmt. Helfen wird es indes wenig. Tatsächliche Abschreckungseffekte würde es durch schnellere Asylverfahren und damit gegebenenfalls schnellere Ablehnungen geben. Hier versäumt es die Bundesregierung, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge genug Personal zur Verfügung zu stellen, damit die Verfahren schnell entschieden werden können. Die rot-grüne Landesregierung in Hannover müsste zudem mehr Richter bei den Verwaltungsgerichten einstellen, um der sich oft anschließenden Klageverfahren Herr werden zu können. Im Anschluss an ein schnelles, aber rechtsstaatliches Asylverfahren müssen abgelehnte Bewerber dann zügig abgeschoben werden. Das würde sich schnell unter den Bürgern der betreffenden Staaten herumsprechen und den Schleuserbanden den Nährboden für ihre Versprechungen nehmen - deutlich schneller als das Video der Bundespolizei. Auch würde es die Verfahren beschleunigen, wenn die betreffenden Länder als sichere Herkunftsstaaten klassifiziert werden würden. Darüber hinaus müssen wir uns aber auch die Frage stellen, wie wir die Situation der Menschen auf dem Balkan verbessern können, so dass sie gar nicht erst in Versuchung geraten, hierher flüchten zu wollen, sondern wieder an eine bessere Zukunft in ihrer Heimat glauben. Hier ist die EU gefragt, so etwas wie einen Marshall-Plan für den Balkan zu entwickeln. Es bleibt festzustellen, dass es nicht richtig war, nach dem Ende des Bürgerkriegs einfach nur zuzusehen und darauf zu setzen, dass sich schon wieder alles zum Guten entwickeln wird."
Christiane Wagner, Vorsitzende des Kreisverbandes Bündnis 90/DIE GRÜNEN Foto:
Christiane Wagner, Vorsitzende des Kreisverbandes Bündnis 90/DIE GRÜNEN, sagte: "Der Begriff 'Wirtschaftsflüchtlinge' stellt eine gefährliche (da populistische) Abwertung der Menschen aus dem Westbalkan dar, die aus einer Notsituation heraus ihre Heimat verlassen, weil sie vor Ort keine Perspektive für sich sehen. (Aus den gleichen Gründen haben vor über 100 Jahren Millionen Menschen Europa verlassen, um in Amerika eine neue Heimat zu finden.) Es ist richtig, dass ihre Aussichten auf Anerkennung im Asylverfahren sehr gering sind. Deshalb benötigen Flüchtlinge aus dem Westbalkan Alternativen zum Asylverfahren, zum Beispiel eine zeitlich befristete Aufenthaltsmöglichkeit, um einen Arbeitsplatz suchen zu können. Deutschland braucht ein Einwanderungsgesetz, das es Arbeitskräften erleichtert, nach festen Kriterien einzuwandern. Darüber hinaus können Informationsbüros vor Ort ebenso wie in den Erstaufnahmeeinrichtungen die Menschen auf ihre sehr geringen Chancen im Asylverfahren und dann auch auf die Möglichkeiten zur Arbeitssuche hinweisen. Die Diskriminierung und Gewalt gegen Roma in den EU-Mitgliedsländern Ungarn und Rumänien sowie im Westbalkan muss beendet werden. Die EU muss auch in den Ländern, die einen Beitritt zur EU anstreben, Minderheitenrechte durchsetzen. Und es braucht eine Initiative zur wirtschaftlichen Entwicklung in Südosteuropa. Mit solchen Maßnahmen ließe sich das Problem eher bewältigen als mit den Rückführungsvideos"
SPD-Kreistagsfraktionsvorsitzender Falk Hensel. Foto: Thorsten Raedlein
Falk Hensel, Vorsitzender der SPD-Kreistagsfraktion Wolfenbüttel und stellvertretender Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Wolfenbüttel, hofft indes auf einen positiven Aufklärungseffekt der Kampagne. Er erklärte auf Anfrage von RegionalWolfenbüttel.de: „Wir sind aufgerufen jeden Asylantrag gewissenhaft zu prüfen. Weiterhin ist es unsere humanitäre Pflicht Menschen, die sich auf der Flucht befinden, zu helfen. Diese Pflicht ist auch nicht verhandelbar. Die Erfahrungen zeigen, dass Asylanträge sogenannter 'Wirtschaftsflüchtlinge' im Regelfall abgelehnt werden. Hier ist es wichtig, dass in diesen Herkunftsländern vor Ort Aufklärung betrieben wird und dass dort direkt Hilfe geleistet wird, um Leid und Armut entgegenzuwirken. Diese Maßnahmen werden hoffentlich einen Beitrag dazu leisten, dass wir die weltweit größte Flüchtlingswelle nach den zweiten Weltkrieg auch im Landkreis Wolfenbüttel und an anderen Orten angemessen und mit einem hohen Standard bewältigen können.“
rank Oesterhelweg, Vorsitzender des Kreisverbandes der CDU. Foto: Thorsten Raedlein
Frank Oesterhelweg, Vorsitzender des Kreisverbandes der CDU, erklärte: "Als Kreisvorsitzender vertrete ich die Auffassung, dass eine Differenzierung der unter dem Stichwort „Asyl“ zu uns kommenden Menschen notwendig ist. Angesichts der immer größer werdenden Zahl von Bewerbern müssen wir darauf achten, dass die Gesellschaft, die Kommunen etc. nicht überfordert werden. Wir können nur den Menschen Asyl gewähren, die auch verfolgt werden. Sogenannte „Wirtschaftsflüchtlinge“ beispielsweise vom Balkan kann ich gut verstehen, wenn sie sich hier eine bessere Zukunft erhoffen. Gleichzeitig ist aber klar, dass wir damit überfordert wären. Deshalb gilt es, diesen Menschen in ihren Heimatländern gezielt zu helfen und eine Perspektive zu geben und ihnen gleichzeitig durch Informationskampagnen deutlich zu machen, dass sie keine Chance auf Asyl in Deutschland haben. Darüber hinaus halte ich die Einführung einer generellen Visapflicht für Bürger der betreffenden Staaten oder Einreiseverbote für bereits abgelehnte Asylbewerber, die zum wiederholten Male nach Deutschland wollen, für mögliche Optionen. Auch die Streichung von „Anreizen“ wie beispielsweise bar ausgezahltes „Taschengeld“ für Asylbewerber ist sinnvoll, da schon dieses Taschengeld oftmals das monatliche Einkommen in den Heimatländer übersteigt.
Landrätin Christiana Steinbrügge sieht die Initiative als durchaus sinnvolle Informationskampagne, betont jedoch, dass jedem Flüchtling in Deutschland eine Einzelfallprüfung zustehe. Auf Anfrage von RegionalWolfenbüttel.de erklärte sie:
„Die aktuelle Kampagne der Bundesbehörden steht in einem engen Zusammenhang mit der stark zunehmenden Zahl von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern aus den Westbalkanstaaten in jüngster Vergangenheit. Sie ist Teil einer gezielten Informations- und Aufklärungspolitik für Personen aus diesen Herkunftsländern, die beabsichtigen Asyl in Deutschland zu beantragen. Ein Blick auf die im Landkreis Wolfenbüttel lebenden 380 Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie Menschen aus den Westbalkanländern, die eine Duldung erhalten haben, zeigt indes die Pluralität ebendieser Flüchtlinge auf (Juli 2015, Statistik des Landkreises Wolfenbüttel). Sie sind beispielsweise als Angehörige der Romaminderheit in ihren Herkunftsländern massiven Diskriminierungen ausgesetzt oder haben den Weg aus prekären Lebensverhältnissen in ihrer Heimat in die Bundesrepublik auf sich genommen. Eine menschenwürdige Behandlung und Einzelfallprüfung der Asylanträge steht ihnen wie jedem Asylsuchenden in Deutschland zu. Zugleich müssen wir feststellen, dass nur zwischen 0,1 und 0,2 Prozent der Flüchtlinge aus dem Westbalkan anerkannt werden, weil die Fluchtgründe nicht den Anspruch auf Asyl begründen. Die Menschen verbinden mit ihrer Reise nach Deutschland Hoffnungen, die nicht erfüllt werden können. Deshalb sind die Informationskampagnen der Bundesbehörden sinnvoll und zu begrüßen.“
https://www.youtube.com/watch?v=4yibT9piM2o
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