Aus dem gesamten Landkreis Wolfenbüttel kämpfen viele Feuerwehrleute gegen das Hochwasser im Landkreis Lüchow-Dannenberg. Anke Donner besuchte heute die Kreisfeuerwehrbereitschaft West in Neu Darchau und beobachtete die Hilfeleistungen. Wir veröffentlichen hier ihre Reportage:
Das THW schafft die Sandsäcke palettenweise ran Foto:
Die Einsatzleitung der Kreisfeuerwehrbereitschaft West Foto:
Vorab möchte ich ausdrücklich erwähnen, dass ich heute nur die Einsatzkräfte der Kreisfeuerwehrbereitschaft West in Neu Darchau angetroffen habe. Ich weiß, dass schon viele Tage zuvor die Kameraden der Kreisfeuerwehrbereitschaft Ost in Dannenberg Hilfe geleistet haben. Auch ihnen gebührt die höchste Anerkennung.
Schon die Fahrt nach Dannenberg ist das reinste Abenteuer. Die Bundes- und Landstraßen sind weitestgehend gesperrt. Die Polizei achtet ganz genau darauf, wer die Straßen zu den überfluteten Regionen befahren darf. Mehrmals werde ich von ihnen gestoppt und umgeleitet.
Folgt nach dem „Jahrhunderthochwasser" das „Jahrtausendhochwasser“?
Es ist der totale Wahnsinn. Im Landkreis Lüchow-Dannenberg, genau gesagt in Neu Darchau, ist der Pegel der Elbe auf unglaubliche 7,90 Meter angestiegen. 40 Zentimeter mehr als beim „Jahrhunderthochwasser“ 2002. Unzählige Helfer von Feuerwehr, THW, DRK, Bundeswehr und Polizei leisten schier unmenschliches, um die Stadt vor der vollständigen Überflutung zu schützen. Unter ihnen sind auch „unsere Kräfte“. Feuerwehrfrauen- und Männer aus dem Landkreis Wolfenbüttel. Sie gehören der Kreisfeuerwehrbereitschaft West an. Seit Sonntag früh sind sie im Hochwassergebiet und schuften beinahe rund um die Uhr.
Wolfgang Bachmann (rechts) und sein Stellvertreter Frank Myler (mitte) besprechen die Lage mit einem weiteren Einsatzleiter Foto:
Als ich mittags den Hafen von Neu Darchau erreiche, werde ich von schon von freundlichen Polizisten empfangen. Wolfgang Bachmann, Bereitschaftsführer der Kreisfeuerwehrbereitschaft West, hat mich bereits angekündigt. Er wird mich durch das Gebiet an der Elbe führen und mir erklären, was die Einsatzkräfte seit vielen Tagen leisten.
Unter seiner Leitung sind die Kräfte am Neu Darchauer Hafen im Einsatz. Dort, wo eigentlich Touristen flanieren und die Fähre über die Elbe setzt, steht das Wasser der Elbe nur Zentimeter unter dem künstlich angelegten Deich. Die Kameraden sind hier abgestellt, um den Deich zu bewachen und zu sichern. Sie bewachen den Deich und stapeln Sandsäcke, wo es brenzlig wird. Hand in Hand geht die Arbeit voran. Die gegenseitige Unterstützung ist groß und wird von den Kräften sehr geschätzt.
Wolfgang Bachmann ist stets mit einem Funkgerät und einem Protokoll-Block ausgerüstet. Der ständige Kontakt zu den Kameraden und die Sicherheit seiner Leute ist ihm wichtig. Er protokolliert die Einsätze jedes Zugs genau und weiß, wann sie anfangen, aufhören und wo sie sich befinden.
Ein künstlicher Deich schützt die Stadt Neu Darchau
Über mehrere Kilometer zieht sich der Deich aus Lehm, Fließ und Sandsäcken ganz dicht an der Stadt entlang. Das, was einmal das Ufer der Elbe war, ist aus der Ferne nur noch an den Bojen zu erkennen. Das Wasser hat sich rund 600 Meter in Richtung Stadt ausgebreitet und würde sie überfluten, wenn die Deiche nicht standhalten. Nicht auszudenken, was hier dann los ist.
Bachmann zeigt mir die kritischen Stellen des Deiches und warnt mich ausdrücklich, den Deich zu betreten. Und doch versuche ich, so dicht wie nur möglich, an die Mauer aus Sandsäcken heranzukommen. Denn die riesigen Wassermassen, die so trügerisch ruhig dahin fließen, ziehen mich an. Ich werfe einen Blick über den Deich und sehe nichts als Wasser. Die Bäume stehen bis zu ihren Kronen in den Fluten, der Fährbetrieb ist längst eingestellt. Nur ein einziges Boot zieht regelmäßig seine Bahnen auf dem Wasser. „Das ist das Messboot des Bundesamts für Gewässerkunde. Damit wird regelmäßig der Wasserstand überprüft“, erklärt Bachmann.
Mit dem Versprechen, auf mich aufzupassen, lässt mich Wolfgang Bachmann die Gegend erkunden. Schließlich bin ich in erster Linie hier, um die Feuerwehrmänner aus dem Landkreis zu treffen.
Besuch aus der Heimat
Die Kameraden des 4. Fachzugs stocken den Deich auf Foto:
Und da hier, am Hafen, fast ausnahmslos die Kräfte aus Wolfenbüttel ihren Dienst leisten, treffe ich schon nach wenigen Metern die ersten Feuerwehrmänner. Mit den Worten: „Besuch aus der Heimat“, werde ich freundlich empfangen. Und als ich dann noch erzähle, dass ich nur wegen ihnen hier bin, freuen sie sich sogar ein bisschen.
Überhaupt ist die Stimmung der 115 Kameraden im Katastrophengebiet ausgeglichen, heiter und überaus kameradschaftlich. „Wir sind trotz der ernsten Situation gut gelaunt. Das müssen wir auch“, erzählt Marco Bachmann, Ortsbrandmeister der Feuerwehr Groß Stöckheim.
Die Kameraden des 4. Fachzugs sichern den Deich an einer gefährdeten Stelle mit Sandsäcken. Ich möchte von den Kameraden wissen, ob sie erschöpft sind. „Ja, klar sind wir das und wir sind auch froh, wenn wir heute Abend abgelöst werden“, ist die Antwort der Kameraden. Sie alle sind seit dem Morgen auf den Beinen. Nach nur wenigen Stunden Schlaf ging es heute früh gleich weiter. Stundenlange Einsätze, Wärme und wenig Schlaf zerren an den Kräften.
Frauen-Power im Hochwassergebiet
Sabine Treptau-Gerke, Feuerwehr Burgdorf und Bettina Brandt, Feuerwehr Gustedt. Foto:
Ich bin erstaunt über so viel „Frauen-Power“. Von wegen, „schwaches Geschlecht“. Die Frauen, die hier ihren Dienst tun, stehen den Männern in nichts nach. „Anfangs werden wir oft unterschätzt. Und manchmal sorgen sich die Männer auch wirklich sehr um uns und verschaffen uns so einige Annehmlichkeiten, wie eine saubere Toilette. Aber ansonsten packen wir hier genau so mit an, wie alle“, erzählt mir Nicole Hippel von der Feuerwehr Groß Stöckheim. Schlapp machen ist hier nicht. „Man funktioniert einfach. Klar, tun uns abends die Knochen weh. Aber solange wie wir hier im Einsatz sind, schiebt man die Erschöpfung von sich“, erklären Sabine Treptau-Gerke, Feuerwehr Burgdorf und Bettina Brandt, Feuerwehr Gustedt.
Unglaubliche Kraft drückt gegen den Deich
Hier war ein Parkplatz und die Anlegestelle der Fähre. Nun steht alles unter Wasser Foto:
Ich setze meinen Weg entlang des Deiches fort. „Das Wasser fließt mit einer Geschwindigkeit von 4500 Kubikmeter in der Sekunde hier lang“, erklärt Wolfgang Bachmann, als ich ihn das nächste Mal treffe. Unglaublich und unvorstellbar. Eigentlich liegt es ganz ruhig da. Wie ein See. Aber es drückt mit solch einer ungeheuren Wucht gegen den Deich, dass dieser an manchen Stellen Risse bekommt. Hier müssen die Einsatzkräfte sofort handeln. Wolfgang Bachmann steht in ständigem Kontakt mit den anderen Einsatzleitern und Zugführern und ordert neue Kräfte an. Schnell müssen neue Säcke herangeschafft werden.
Ein großer Bagger des THW rückt an und bringt palettenweise Nachschub. Allein hier am Hafen von Neu Darchau liegen mehrere hunderttausend Sandsäcke. „Im Lager liegen schätzungsweise noch mal eine Million Sandsäcke“, verrät der Bereitschaftsführer Bachmann.
Christian Münch und Marcel Beyersdorf von der Feuerwehr Hohenassel bewachen den Deich Foto:
Wieder knarrt das Funkgerät von Wolfgang Bachmann und er muss weiter. Ich sehe mich derweil weiter um. Über einen „Schleichweg“ gelange ich zu einer weiteren Stelle, an der der Deich rissig wird. Dort treffe ich Christian Münch und Marcel Beyersdorf von der Feuerwehr Hohenassel. Die beiden Feuerwehrmänner bewachen einen Abschnitt des Deiches, der allmählich durchweicht. „Wir beobachten und markieren die Stellen, die durchweichen und rissig werden mit Sprühfarbe. So können wir alles genau beobachten und gegebenenfalls Hilfe anfordern“, erklärt Christian Münch.
Schnelles Handeln verhindert Schlimmeres
Der 2. Fachzug dichtet mit Fließ und Sandsäcken den Deich ab Foto:
Ein kleines Stück weiter ist der 2. Fachzug der Kreisfeuerwehrbereitschaft West damit beschäftigt, den Deich abzusichern und aufzustocken. Auch hier haben die gewaltigen Wassermassen dazu geführt, dass der Deich Risse bekommt. Mit Sandsäcken, einer großen Fließmatte und noch mehr Sandsäcken wird das Durchbrechen an dieser Stelle verhindert.
Noch während hier in einer Kette die Sandsäcke an den Deich gelegt werden, rückt die Ablösung an. Die Frauen und Männer können nun zum Mittagessen ins Versorgungszelt gehen. Da ist es bereits 14 Uhr. Es gibt Suppe und auch ich werde eingeladen, etwas zu essen. „Sie können gerne auch etwas essen. Oder brauchen sie Wasser? Nehmen sie sich doch ruhig etwas“, bietet mir Wolfgang Bachmann an. Ich lehne dankend ab, es sollen die essen, die es sich mehr als verdient haben.
Eine logistische Meisterleistung
Die Sammelstelle der Kreisfeuerwehrbereitschaft West Foto:
„Die Verpflegung und Hilfsbereitschaft ist hier wirklich ausgezeichnet. Wir bekommen von den Bürgern hier alles, was wir brauchen. Mal ist es ein frischer Kuchen, ein anderes Mal Obst und Brötchen. Auch Kaffee und andere Getränke werden von der Bevölkerung und den Geschäften zur Verfügung gestellt. Es ist wirklich unglaublich, wie wir hier umsorgt werden. Sogar eine Massage könnten wir bekommen“, freut sich Thilo Linke, stellvertretender Ortsbrandmeister Hornburg.
Die Verpflegung und die Organisation lobt auch Wolfgang Bachmann über alle Maßen. „So etwas habe ich noch nie erlebt. Die Menschen hier sind so besonnen und freundlich. Sie verpflegen uns rund um die Uhr. Das ist wirklich toll. Überhaupt ist das, was hier auf die Beine gestellt wird, eine logistische Meisterleistung. Alles läuft strukturiert und ruhig ab. Die Menschen wachsen mit solchen Extremsituationen auf und bleiben gelassen. Das ist bewundernswert“, so Bachmann.
Der Pegel der Elbe ist heute unverändert. „Die Welle“, so Bachmann, „hat Neu Darchau erreicht. Aber die Lage ist immer noch sehr ernst. Erneute Regenfälle, oder eine neue Welle, könnten die Pegel wieder ansteigen lassen. Das wäre wirklich fatal.“
Der Pegel der Elbe ist auf 7,90 Gestiegen. Zurzeit steigt sie nicht weiter. Foto:
Von Regen ist in Neu Darchau weit und breit nichts zu sehen. Und das ist ja das Skurrile. Strahlender Sonnenschein und Temperaturen um die 20 Grad lassen einen beinahe nicht glauben, dass wir uns in einem Hochwassergebiet befinden. Schon auf meiner Fahrt nach Neu Darchau fallen mir die vielen Bewässerungsanlagen auf den Feldern auf. Die Trockenheit der letzten Tag veranlasst die Landwirte, ihre Felder zu bewässern, während nur wenige Kilometer weiter, Menschen um ihr Hab und Gut kämpfen. Ich sagte ja bereits, es ist der absolute Wahnsinn.
Grenzenlose Dankbarkeit
Die Dankbarkeit der Einwohner drückt sich in vielfältiger Weise aus Foto:
Eine Anwohnerin bringt frischen Kaffee für die Einsatzkräfte Foto:
Die Menschen in Neu Darchau sind dankbar für die Hilfe der Einsatzkräfte. An den Häusern hängen Plakate und Bettlaken mit den Worten "Danke für die Hilfe". So und mit unglaublicher Hilfsbereitschaft drücken sie ihren Dank aus. Für die Helfer ist das Ansporn und bestätigt sie in ihrem Tun.
Die Ablösung naht
Pause muss nach den anstrengenden Stunden sein Foto:
Als ich am Nachmittag aufbreche, fahre ich noch am Sammelpunkt der Kreisfeuerwehrbereitschaft vorbei. Auf einem Gelände, ganz in der Nähe des Hafens, stehen die 22 Einsatzfahrzeuge unserer Feuerwehren. Dort sammeln sich die Kameraden, um zu ihrem Quartier ins knapp 25 Kilometer entferne Dannenberg zu fahren. Dort sind sie in Containern untergebracht. Das Gelände dient der Bereitschaftspolizei, von dort werden sonst Castor-Transporte organisiert und ausgeführt. Die Container sind große, zweistöckige „Blechhütten“, in denen die Einsatzkräfte einquartiert werden. Auch diese Unterkunft wird von den Kameraden als wirklich gut beschrieben. Es ist alles da, was sie benötigen, um für ihren nächsten Einsatz Kraft zu tanken.
Für die Einsatzkräfte endet der Einsatz in Neu Darchau am Abend. Die Ablösung ist bereits auf dem Weg nach Dannenberg. Die meisten von ihnen kehren nach Hause zurück, manche bleiben noch vor Ort.
Respekt!
Einsatz fast beendet. Nun wird bald die Ablösung eintreffen Foto:
Ich weiß, dass ich die Arbeit der Hilfskräfte in Neu Darchau wahrscheinlich nicht annähernd wiedergeben kann. Wie sollte ich auch? Ich war nur einen halben Tag dort und habe über die wahnsinnigen Wassermassen gestaunt. Ich habe erlebt, wie die Kameraden zusammenhalten und an ihre Grenzen gehen. Ich habe gesehen, wie Menschen, Menschen helfen. Freiwillig. Ohne wenn und aber, ohne nachzudenken und ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Sie machen einfach…
Und ich weiß, dass diese 115 Frauen und Männer nicht die einzigen sind, die helfen. Sie sind nur wenige von vielen. Nur ein Glied in einer großen Kette der Hilfsbereitschaft.
Chapeau.
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