Wolfenbüttel. Eine Kostenerhöhung von bis zu 89 Prozent kündigt die Korian Deutschland GmbH, die zahlreiche Pflegeeinrichtungen in der Region betreibt, für ihre Einrichtung am Juliuspark in Wolfenbüttel an. Fassungslos über die exorbitante Erhöhung für die stationäre Pflege wandten sich inzwischen etliche Angehörige an unsere Redaktion.
Per Rundschreiben und auf einer Informationsveranstaltung am Dienstagabend wurden Bewohner und Angehörige über die neuen Preise im "Casa Reha" ins Bild gesetzt. Demnach, so berichten uns Angehörige, die ihre Eltern und Schwiegereltern im Haus am Juliuspark untergebracht haben, steigt die Eigenleistung zum 1. Juli um bis zu 89 Prozent. Statt beispielsweise 1.229 Euro für ein Doppelzimmer bei Pflegestufe vier, werden dann 2.323 Euro fällig. Und das mal zwei, berichtet Ralf Schäfer, der Mutter und Vater in diesem Pflegeheim hat. "Bei unseren beiden Eltern wirkt diese Erhöhung natürlich doppelt, zusammen also von 2.400 auf 4.600 Euro Zuzahlung monatlich, von heute auf morgen. Dementsprechend schnell schrumpfen die letzten über Jahrzehnte gesparten privaten Gelder. Übrigens entsprechen die Gesamtzahlungen mit Kassenbeträge für beide in dem 30 Quadratmeter-Zimmer dann etwa 8.100 Euro pro Monat, jetzt etwa schon 5.900 Euro." Was Schäfer meint, ist der Gesamtbetrag, den die Pflegeeinrichtung für jeden Platz erhält. Dieser teilt sich in den Eigenanteil - also das, was der Bewohner oder die Bewohnerin aus eigener Tasche zahlen muss - und in den Anteil der Pflegekasse je nach Pflegegrad.
Werden die Senioren zu Sozialfällen gemacht?
In einem anderen, unserer Redaktion geschilderten Fall, müssen die Angehörigen, beziehungsweise deren Eltern, ebenfalls mit einer saftigen Erhöhung von rund 1.100 Euro rechnen. Für ein Einzelzimmer bei Pflegestufe drei ist laut der neuen Berechnung eine Eigenleistung von 2.476 Euro fällig. Zukünftig wird das aber nur schwer zu stemmen sein, sagt unsere Leserin ehrlich. "Meine Mutter hat eine gute Rente. Sie ist nicht wohlhabend, aber es hat gereicht, um in diesem Pflegeheim gut versorgt zu werden und sich mal eine Hose oder Jacke zu gönnen. Bei dieser Erhöhung aber, wird sie in wenigen Monaten zum Sozialhilfeempfänger werden." Denn alle Ersparnisse gehen nun zukünftig erst einmal für die Heimkosten drauf. Sind die Rücklagen aufgebraucht und es ist kein anders Vermögen mehr übrig, tritt das Sozialamt ein. Angehörige können "Hilfe zur Pflege" beim zuständigen Amt beantragen. Doch hier werden die Vermögensverhältnisse ganz genau unter die Lupe genommen. Alles was unter den Schonbetrag von 5.000 Euro fällt, darf nicht angerechnet werden. Alles, was darüber liegt, muss für die Pflegekosten aufgebraucht werden. "Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass das ihr Ernst sein soll. Aber ich habe die Heimleitung zweimal gefragt, ob das wirklich wahr ist. Ich habe auch gesagt, dass sie sich sicher sein können, dass ich alle Hebel in Bewegung setzten werde, und jeder, der sich nur annähernd dafür interessiert, darüber informiert wird. Die einzige Antwort, die ich daraufhin erhalten habe ist - ich habe keine Information. Die Informationen sollten dann in Form einer Veranstaltung für Bewohner und Angehörige folgen", berichtet unsere Leserin.
Informationen im Heim unzureichend
Zu eben dieser Informationsveranstaltung hatte das Haus am Juliuspark dann am Dienstag geladen. Hier sollte die Preiserhöhung erklärt werden. Zufriedenstellend seien die Erklärungen aber nicht gewesen, sagt Ralf Schäfer. Die Heimleiterin habe hier versucht zu erklären, dass die mitgeteilten Erhöhungszahlen noch nicht fest geschrieben wären und mit den Pflegekassen ausdiskutiert werden müssten. Allerdings wären die aufgeführten Zahlen ein mögliches Maximum, berichtet Schäfer. "Wenn die 'festen' Zahlen stehen würden, wäre es für die Angehörigen möglich, in die Kalkulationsunterlagen Einsicht zu bekommen, teilte die Heimleitung mit. Wie man diese Phantasie-Zahlen allerdings schlüssig aufzeigen will, ist mir schleierhaft. Und im Übrigen müsse sie ja auch Ihre Strompreiserhöhung hinnehmen und bezahlen, argumentierte die Heimleitung weiter. Das es hier um das 10-fache geht, war ihr wohl nicht ganz klar".
Dass die derzeit vorliegenden Preise nicht die finalen Zahlen sind, bestätigt auch die Korian GmbH auf Nachfrage von regionalHeute.de in einem Statement. Darin heißt es ebenfalls, dass man gesetzlich dazu verpflichtet sei, über eine absehbar mögliche Entgelterhöhung frühzeitig zu informieren. "Wie hoch diese letztlich für jede Einrichtung ausfällt, lässt sich aktuell und aufgrund der noch laufenden Entgeltverhandlungen mit den Landesverbänden der Pflegekassen und dem Sozialhilfeträger noch nicht mit Sicherheit sagen", teilt Unternehmenssprecherin Tanja Kurz mit. Wahrscheinlich sei aber September. Dass man seitens der Korian und auch der Heimleitung im Rahmen der Infoveranstaltung noch keine genauen Informationen darüber gegen konnte, wie die Erhöhung am Ende aussehen wird, habe bei den Angehörigen und Bewohnern für entsprechende Reaktionen gesorgt, schildert Ralf Schäfer weiter. "Man war sehr erregt, aufgebracht, verzweifelt, wütend und auch gar nicht einsehend, in Bezug auf die nicht ausreichenden Erklärungen der Heimleitung." Dazu sei es für viele Angehörige ein Schock, dass sie nun, wie fast alle in nächster Zeit, Sozialhilfe für Ihre Eltern beantragen müssen. "Manche trauten sich das gar nicht ihren Eltern zu erzählen, weil sie nicht wüssten, ob sie das verkraften würden", beschreibt er den Abend.
Laut Information, die an die Bewohner, beziehungsweise deren Angehörige ging, würde die Erhöhung jedoch schon ab dem 1. Juli in Kraft treten. "Im Moment würden noch die alten Gelder eingezogen. Wenn die Erhöhung dann aber nach zwei bis drei Monaten durch wäre, müsste auf einen Schlag rückwirkend alles zusammen bezahlt werden, das wären bei meinen beiden Eltern dann bei einer Zeit von drei Monaten - bis September - eine Zahlung von 9.000 Euro", so Schäfer.
Preissteigerungen und Gesetzesänderungen sorgen für Kostenexplosion
Die Korian GmbH erklärt die drastische Erhöhung damit, dass das Unternehmen in einer Vielzahl von Kostenpositionen von sprunghaften Preissteigerungen betroffen sei, die deutlich über der durchschnittlichen und aktuell wahrnehmbaren Inflationsrate liegen. Und mit gesetzlichen Neuregelungen, die einen erheblichen Einfluss auf die Kosten für die Bewohner haben. So seien ab September alle heute noch nicht tarifgebundenen Pflegeheimbetreiber dazu verpflichtet, Pflege- und Betreuungskräften ein Gehalt zu zahlen, das mindestens dem Niveau der geltenden und veröffentlichten regionalen Tariflöhne entspricht. Darüber hinaus habe der Bundestag eine Anhebung der allgemeinen Mindestlöhne von 9,50 Euro auf 12 Euro zum 1. Oktober beschlossen. "Auch die Pflegemindestlöhne sowie die Mindestlöhne der Gebäudereinigung wurden beziehungsweise werden erhöht. Diese liegen erwartungsgemäß bis zu zwei Euro über dem gesetzlichen Mindestlohn", erklärt Tanja Kurz von Korian. Hinzu käme, dass ab dem kommenden Jahr ein neues Personalbemessungsverfahren die bisherigen Personalschlüssel ablöse, was in der Gesamtbetrachtung zu einem erhöhten Personalbedarf und damit zu entsprechend höherem Personalkostenaufwand führen werde.
Auch im Bereich der Energieversorgung und im Lebensmittel- und Verpackungsbereich gibt es bekanntlich starke Preisanstiege. Darüber hinaus werde in den mitgeteilten Kostensteigerungen bereits der erhöhte Mindestlohn berücksichtigt. Dieser sei beispielsweise im Nahrungs-, Genuss- und Gaststätten-Bereich bereits angepasst. Zeitgleich sei eine Tarifeinigung im Bereich der Gebäude- und Glasreiniger verhandelt. "Damit ist ein erheblicher Bestandteil der Sachkostensteigerung beziehungsweise der Preissteigerungen im Bereich der Unterkunft und Verpflegung auf extreme Lohnsteigerungen und Energiepreissteigerungen auch bei Drittanbietern und unseren Zulieferern zurückzuführen. Korian ist also in einer Vielzahl von Kostenpositionen von sprunghaften Preissteigerungen betroffen, die deutlich über der durchschnittlichen und aktuell wahrnehmbaren Inflationsrate liegen", so Kurz weiter.
Pflegekassen tragen Kostenerhöhung nicht mit
In Anbetracht der grundlegenden und systemrevidierenden Veränderungen sowie vor dem Hintergrund, dass die Pflegeversicherung nach wie vor nur einen anteiligen, fixen Teil der Pflegekosten übernimmt, sehe man sich zum ersten Mal in der Unternehmensgeschichte nicht in der Lage, die Eigenanteile nur moderat anzuheben. Den Bewohner entstehen nun erhebliche Mehrkosten. "Im Gesamtvergleich lag die Höhe der Eigenanteile am Heimentgelt bei privaten Trägern deutlich unter denen der gemeinnützigen und kommunalen Träger. Erst durch die aktuellen Entwicklungen sehen wir uns gezwungen, die einzelnen Entgeltbestandteile, insbesondere für den Pflegesatz sowie Entgelt für Unterkunft und Verpflegung, auf ein ähnliches Niveau anzuheben. Für Familien ist dieser Vergleich nur ein schwacher Trost. Denn die für Bewohner seit Anfang des Jahres geltenden Entlastungssysteme (gestaffelt nach Wohndauer) können die drastischen Steigerungen und individuellen Härten nicht ausgleichen. Hinzu kommt die galoppierende Inflation, die jeden betrifft. Uns ist bewusst, dass dies für viele Familien ein erhebliches Problem darstellt. Nach aktueller Gesetzeslage werden die Beiträge der Pflegekassen nicht angepasst, so dass die Finanzierung der nötigen Entgelterhöhungen voraussichtlich die Familien übernehmen müssen", heißt es abschließend von der Korian GmbH.
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