Vorratsdatenspeicherung – Übertritt der Staat eine rote Linie?

von Sina Rühland


| Foto: Sina Rühland



Wolfenbüttel. Die Bundesregierung will die Vorratsdatenspeicherung wieder einführen. Der Vorschlag des Innenministers Thomas de Maizière sowie des Justizministers Heiko Maas sieht vor, dass künftig zehn Wochen gespeichert wird, wer wann mit wem über welchen Anschluss und welches Gerät kommuniziert hat. Zudem sollen die IP-Adressen gespeichert werden. Vier Wochen Speicherzeit sind für den Ort des Telefonierenden vorgesehen, außerdem würden laut des Vorschlags die Funkzellendaten des Mobiltelefons gespeichert werden. Wie sich die Wolfenbütteler Ratsparteien zu der Vorratsdatenspeicherung positionieren und welche Präventiv-Chancen sie für Terrorbekämpfung mit der möglichen Umsetzung sehen, haben wir für Sie zusammengetragen.

Florian Röpke für Die Linke


"Die beschlossene Vorratsdatenspeicherung erlaubt offiziell die Überwachung von Unschuldigen, das können wir mit unserem Rechtsverständnis nicht in Einklang bringen. Leider scheint diese Überwachung viele Menschen nicht zu stören, man habe ja nichts zu verbergen. Man tut also einfach nur das, was von einem verlangt wird und man ist damit einverstanden überwacht zu werden. Man erlaubt, durch Überwachung zu konformen Verhalten gedrängt zu werden, und dies nicht nur für sich selbst, auch z.B. für die eigenen Kinder. Das muss man sich klar machen und auch, dass die Maßstäbe dieser Konformität wechseln können, man also nicht wissen kann, ob man auch zukünftig nichts zu verbergen haben wird, die Geschichte bietet da umfangreiches Lehrmaterial. Zu den Erfolgsaussichten der Vorratsdatenspeicherung sei Frankreich genannt. Frankreich hat die Vorratsdatenspeicherung schon länger und sogar umfangreicher als es in Deutschland gerade beschlossen wurde: Je suis Charlie.

Entscheidend ist für uns jetzt ein breiter politischer und gesellschaftlicher Widerstand, der der Bundesregierung die Grenzen des demokratischen Rechtsstaates aufzeigt. Wir werden alles unterstützen, was notwendig ist, um die Vorratsdatenspeicherung zu Fall zu bringen. Es geht um die Grundwerte der Demokratie."

Prof. Dr. Christoph Helm für die CDU


"Mit dem von der Großen Koalition gefundenen Kompromiss zur Vorratsdatenspeicherung wird offensichtlich auf jüngste Bedrohungsszenarien reagiert, die unter anderem von Gewalttätern der rechten und linken Szene sowie islamistischen Bewegungen ausgehen, die zwischenzeitig unser Land erreicht haben. Der Grundsatz der wehrhaften Demokratie verpflichtet uns, den Kräften gegenüber wachsam zu sein, die die bürgerliche Freiheit, die Unversehrtheit des Einzelnen und unser Grundgesetz bedrohen. Diese Lehre haben wir aus dem Schicksal der Weimarer Republik ziehen müssen, die sich als hilflos gegenüber ihren Gegnern erwies. Unser Staat und unsere Demokratie stellen für niemanden eine Gefahr dar, können sich aber nicht durch Extremisten gefährden lassen. Der von CDU und SPD gefundene Kompromiss ist ausgewogen und berücksichtigt sowohl den Vertrauensschutz des Einzelnen als auch die Sicherheitsaspekte zum Schutz der Allgemeinheit."

Dr. Manfred Kracht für Bündnis 90/Die Grünen


"Wir GRÜNE lehnen die Vorratsdatenspeicherung entschieden ab. Sie gefährdet die freiheitliche Grundordnung. Wir fordern: Stoppt die Datensammelwut und Überwachung! Stattdessen wollen wir den Datenschutz als Bürgerrecht modernisieren und den Datenschutz im Grundgesetz verankern. Unser Ziel ist eine offene Gesellschaft, in der Menschen nicht ohne richterlich geprüften Anlass überwacht werden. Wir halten es mit Benjamin Franklin, der sagte: "Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.“ Wie im rot-grünen Koalitionsvertrag Niedersachsens vereinbart, wird es mit den GRÜNEN keine Zustimmung zu der aktuell diskutierten Variante der Vorratsdatenspeicherung geben.

Für uns sieht die Neuregelung nach einem Aktionismus aus, der nur zur Beruhigung der Bevölkerung dienen soll. Offenbar soll die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung das Urteil des Verfassungsgerichts von März 2010 aushebeln. Bereits von 2008 bis 2010 hatten deutsche Sicherheitsbehörden die Bevölkerung anlasslos überwacht. Dabei wurden alle Bürgerinnen und Bürger unter Generalverdacht gestellt. Erst als das Bundesverfassungsgericht die Notbremse zog, wurde der Missbrauch staatlicher Macht gestoppt. Erneut möchte die große Schnüffel-Koalition wissen, wer wen anruft, wer wem eine SMS schreibt, und wie lange jemand telefoniert und wo er/sie sich dabei aufhält. Der Überwachungsstaat, dem die Freiheitsrechte seiner Bürgerinnen und Bürger egal sind, wird Realität!

Besonders absurd ist, dass unter massiver Einschränkung von Bürgerrechten das eigentliche Ziel des Gesetzes, schwere Straftaten zu verhindern und Täter schneller zu fassen, verfehlt wird. Die wissenschaftlichen Dienste des Bundestages haben festgestellt, dass sich die Aufklärungsquote von Straftaten nach Einführung der Vorratsdatenspeicherung nicht signifikant erhöht hat. Verbrechen wie das Pariser Attentat auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift "Charlie Hebdo“ im Januar 2015 lassen sich mit Hilfe der Vorratsdatenspeicherung nicht verhindern: Gezielte Ermittlungsarbeit einer gut ausgebildeten und gut ausgestatteten Polizei ist effektiver als wahllos Datenberge anzuhäufen, die niemand auswerten kann."

Jens Golland für die Piraten


"In meinem persönlichen Empfinden sehe ich die Bundesregierung in Ihrer Datensammelwut ausufernd. Es gibt Staatsorgane, wie zum Beispiel die Polizei, die keine Zeit und kein Personal mehr haben, um Ihre Hoheitlichen Aufgaben wahrzunehmen. Es wird fröhlich gekürzt und durch Datenspeicher ersetzt. Aber eine Kamera fängt nur ein Bild des Verbrechens ein. Es müssen Daten von 80 Millionen Bundesbürgern unter dem Verdacht, das einer oder eine kleine Gruppe Mist baut, gespeichert werden. Zusammen mit anderen Erhebungsformen wie der Maut ist das eine totalüberwachung des Volkes. und KEIN Mensch kann diese Daten sinnvoll auswerten. Das machen dann Algorithmen. Sie geben den Polizisten dann den Hinweis, "DAS MUSS DER BÖSE BÜRGER SEIN" und die treten Türen unbescholtener Bürger ein. Halt die üblichen Verdächtigen...(Mal schauen, wann es "aus Personalmangel" erst vier Wochen später passiert...). Frankreich hat die Vorratsdatenspeicherung und die Terroristen unter überwachung gehabt und trotzdem mussten viele Menschen sterben. Sie hatten zwei Tage lang Probleme die Identität der Terroristen herauszufinden. Das soll uns schützen? Daten auf Vorrat zu halten, das hat nur den Zweck, Angst auszuüben, "ich weiss was du letzten Sommer getan hast...." und das gab es in Teilen der BRD schon einmal, als wir noch zwei geteilte Staaten waren. Die Stasi ist zurück...."

Björn Försterling für die FDP


"Wir lehnen die Vorratsdatenspeicherung ab. Mit dem pauschalen vorbehaltslosen Sammeln der Daten wird jeder, der sein Telefon benutzt, unter Generalverdacht gestellt. Der Gesetzesentwurf hat lediglich das Ziel, den Menschen Sicherheit vorzugaukeln, ohne Sicherheit zu bringen. Ich gehe davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht die Regelungen wieder kippen würde."

Marcus Bosse für die SPD


"Zunächst sorgt die Frage der Vorratsdatenspeicherung in der Bevölkerung aber auch innerhalb der SPD für Kontroversen. Wir halten die Diskussion für gerechtfertigt und auch notwendig, denn es darf keinesfalls darum gehen, Millionen von Bürgerinnen und Bürgern unter Generalverdacht zu stellen. Bereits im Jahr 2011 hat die Bundes-SPD einen Parteitagsbeschluss gefasst, der der Vorratsdatenspeicherung enge Grenzen setzt. Folgende restriktive Voraussetzungen müssen aus unserer Sicht zwingend erfüllt werden: nur kurze Speicherung der Daten bei den Providern / maximal vier Wochen, höchste Datenschutzstandards, Abruf der Daten bei den Providern nur bei Verdacht auf schwerste Straftaten, nur mit qualifiziertem Richtervorbehalt, wie bei Anordnung von Wohnungsdurchsuchungen, Verbot von Bewegungsprofilen, Daten von Berufsgeheimnisträgern (Ärzte, Seelsorger, etc.) dürfen nicht abgefragt werden. Ziel ist es, die Vereitelung schwerer und schwerster Straftaten zu verbessern. Die SPD um Bundesjustizminister Heiko Maas sieht gute Chancen für eine positive Auswirkung der Strafvereitelung."


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