Wolfenbüttel: Ein Bildungslobbyist zu Gast bei einem Buslobbyisten - Reportage über "transparenten Lobbyismus"

von Romy Marschall


| Foto: Romy Marschall



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Parteichef Cem Özdemir vor seinem "Tourbus" Foto:



Gegen 11 Uhr am Dienstag parkte Cem Özdemir seinen "Tourbus" auf dem Gelände des Schmidt-Terminals. Geschäftsführer Wilhelm Schmidt freute sich über den Besuch des Bundesvorsitzenden der Grünen, "denn Bus findet bei den Grünen nicht statt," so seine Einschätzung. Er sieht in der Veranstaltung "die Möglichkeit auf das umweltfreundlichste und sicherste Verkehrsmittel aufmerksam zu machen." Auf Einladung des Landtagskandidaten Bertold Brücher kam der Parteichef nach Wolfenbüttel, um zu zeigen, daß die Grünen ein "verläßlicher, nachhaltiger politischer Partner" für mittelständische Unternehmen sind. Unter dem Motto "Wir können Wirtschaft" hielt Cem Özdemir, der im Beirat des Bundesverbandes Mittelständische Wirtschaft ist, eine politische Rede und stand hinterher für Einzelgespräche und Fragen zur Verfügung. WolfenbüttelHeute.de wollte von ihm wissen, wie die Rahmenbedingungen für Kitas geändert werden sollen. Seine Antwort lesen Sie am Ende des Artikels.


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Wolfenbütteler Gastfreundschaft: Heißer Tee für eine heisere Stimme Foto:



Wilhelm Schmidt beginnt seine Rede damit, "das es immer etwas Besonderes ist, einen Spitzenpolitiker in unserer schönen Lessingstadt zu haben." Nach kurzer Einführung in die Firmengeschichte um "Schmidtarbeiter" und das "Schmidtelmeer" kommt der Sohn des Firmengründers Walter Schmidt auf die jährlich 60.000 Gäste, die "einsteigen und Schmidt fahren" zu sprechen. Das mittelständische Unternehmen in Familienhand betrachtet seine Gäste als "Kulturbotschafter unserer Region, denn sie laden zum Gegenbesuch ein."

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Wilhelm Schmidt demonstrierte Cem Özdemir nach der Veranstaltung, was Busreisen heute bedeutet Foto:



Gerne gewinne er auch Politprominenz als Botschafter, gibt Wilhelm Schmidt kund und erzählt die Geschichte von Sigmar Gabriel, der als vormaliger Bundesumweltminister für das Verkehrsmittel mit dem Slogan warb: "Der Bundesumweltminister empfiehlt: Fahren Sie Bus!" Neben dem ersten privaten Busterminal, der Erfindung einer Sportart - Buspulling - hat die Firma ein weiteres "Alleinstellungsmerkmal": den bestimmten Artikel. "DIE Grünen, DER Schmidt, das paßt doch," zog der Geschäftsführer eine Parallele zwischen Unternehmen und Partei.

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Geschäftsführer Wilhelm Schmidt Foto:



Schmidts Zielrichtung gründet sich auch in der Mitgliedschaft bei der Gütegemeinschaft für Busunternehmen sowie dem Vorsitz des Deutschen Busunternehmerverbandes. Er müsse an dieser Stelle Lobbyarbeit betreiben, gab Schmidt öffentlich zu, und verwies auf die Benachteiligung des Busverkehrs gegenüber dem Schienen- und Flugverkehr. Als Beispiele führt er die Steuerfreiheit für Kerosin an oder die Reisekostenbezuschussung für Bundesabgeordnete, die nur für Reisen mit der Bahn gelte. Als richtigen aber auch überfälligen Schritt erwähnt der Busunternehmer die Erlaubnis zur Einrichtung von Fernbuslinien in Deutschland, die vor Kurzem eingeführt wurde. Abschließend macht Wilhelm Schmidt deutlich, "als Familienunternehmen sind wir der Mittelstand par excellence: wir können rechnen und wir müssen rechnen."

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Cem Özdemir gibt Antworten Foto:



"Der Bus ist uns in die Wiege gelegt," wird Cem Özdemir zunächst nostalgisch und erinnert sich daran, daß er im Bus "immer hinten sitzen wollte." Dann geht's an die Arbeit. Die Sache mit den Bedingungen für Reisekostenzuschüsse wolle er direkt überprüfen, "ich habe mir das notiert, dem werde ich nachgehen." In Zukunft werde man nicht mehr flächendeckend Schienen bauen können und daher werde Mobilität ohne Bus, ohne öffentlichen Personennahverkehr nicht zu denken sein, äußert sich der Politiker. "Wir müssen Bewegung so gestalten, daß künftige Generationen auch noch auf diesem Planeten leben können, möglichst effizient mit dem jeweils besten Mittel." Auch die Zeit der großen Straßenbauprojekte sei vorbei, man müsse sich hier konzentrieren "auf die Pflege und den Erhalt des bestehenden Netzes," erläutert der Bundesvorsitzende. "Eine gesunde gute Infrastruktur ist entscheidend für ein Land, das nicht rohstoffreich ist," lautet sein Credo.

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Der Parteichef im bequemen Reisebus Foto:



Danach wird auch der Grünen-Vorsitzende zum Lobbyisten, wie er zugibt: "ich bin selbst gelernter Erzieher und klar bin ich ein Lobbyist für die Erzieher." Niedersachsen sei ein "Bildungsabstiegsland", einem Bildungsaufsteiger stünden neun Bildungsabsteiger gegenüber, berichtet Cem Özdemir. Diesen Zustand einer "verrottenden Bildung" müsse man ändern durch "mehr Durchlässigkeit in den Schulen" und durch "Grundlagen in den frühesten Jahren". Der Bildungspolitiker präzisiert hier: "Das unsinnige Betreuungsgeld wäre besser angelegt in den Kitas." Dafür gibt's Beifall von den Anwesenden, woraufhin Özdemir gleich noch "den grünen Werbeblock" mit regionalem Schul-und Kitaessen einblendet. Der Parteichef zitiert einen Bildungsforscher: "Wer glaubt, daß Bildung zu teuer ist, der kann es gern auch mit Dummheit probieren." Ein Spitzensteuersatz von 42 Prozent wird nicht zu halten sein, legt sich Özdemir fest: "aber wir sagen es vor der Wahl und sagen wo das Geld hinkommt, in die Bildung."

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Bundesvorsitzender der Grünen Cem Özdemir Foto:



In der anschließenden offenen Gesprächsrunde fragt die Redaktion von WolfenbüttelHeute.de bei Cem Özdemir nach, wie die Rahmenbedingungen im Kita-Bereich geändert werden müssen.

Seine Antwort: Wir brauchen kein Betreuungsgeld, dieses Geld muß in den Kitaausbau. Die SPD ist oft in Versuchung, Kitagebühren abschaffen zu wollen, wir Grüne stehen für sozial gestaffelte Gebühren. Die Bezahlung der Erzieher muß verbessert werden und die Ausbildung muß weiterentwickelt werden. Auch über die Hochschulen. Der Bedarf an Kitaplätzen ist nicht abgedeckt, hier müssen wir ausbauen in der Qualität und der Quantität. Und wir brauchen mehr Männer in der Kita und den Grundschulen. Vor allem auch um die alleinerziehenden Mütter zu unterstützen. (Nachfrage WFH: wie wollen Sie denn mehr Männer in den Beruf bekommen?) Das ist nicht nur eine Frage der Bezahlung. Es geht vor allem auch um ein höheres Ansehen für pädagogische Berufe.

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Frau S. hier im Gespräch mit Landtagskandidat Bertold Brücher Foto:



In einem weiteren Tischgespräch befragt Frau S. den Bundespolitiker zum Thema Lobbyismus. Sie schildert ihre Sorge um die Zunahme, die sie persönlich aus dem medizinischen Bereich kenne. Cem Özdemir antwortet: "Transparenz muß her. Das Geld darf nicht bestimmen. Ein entscheidender Punkt ist die Terminankündigung und es muß klar sein, daß man keine Vorteile hat." Den kleinen Erinnerungsbus, den Wilhelm Schmidt dem Bundespolitiker als Dank überreichte, kann man wohl kaum als Vorteil auslegen.

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Ein kleines Dankeschön zur Erinnerung an den Besuch Foto:



Fazit Özdemir: "In einer Koalition mit den Grünen werden Sie immer kompetente Ansprechpartner haben, wir machen das Angebot zur engen Zusammenarbeit. Ohne den Mittelstand wären wir nicht aus der Krise gekommen, was auch auf den anderen Bezug zum Personal zurückzuführen ist."

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Familienunternehmen: Schmidt junior und Schmidt senior Foto:



Fazit Schmidt: "Ich wünsche mir, daß Politiker bodenständig bleiben und nicht nur Lippenbekenntnisse geben, sondern vor allem Umsetzen in der Politik. Der Mittelstand muß arbeiten und leben können."


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