Zwangsoperation? Klinik-Chefarzt soll Eltern angezeigt haben

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Am Montag wird der Fall vor dem Familiengericht in Goslar erörtert. Symbolfoto. Archiv
Am Montag wird der Fall vor dem Familiengericht in Goslar erörtert. Symbolfoto. Archiv | Foto: Archiv

Braunschweig/Goslar. Weil Eltern sich gegen die Implantation einer Hörprothese (Cochlea-Implantat) bei ihrem eineinhalbjährigen Sohn entschieden haben, soll sich der Chefarzt der HNO-Klinik des Städtischen Klinikums Braunschweig über eine Rechtsanwaltskanzlei an das Jugendamt gewandt haben. Am Montag landet der Fall vor dem Familiengericht in Goslar.


Die Geschehnisse sorgen unter Gehörlosen und Experten, aber auch in den sozialen Medien, bundesweit für Aufsehen. Wie die Deutsche Gehörlosenzeitung unter dem Titel "Die Pforte zum CI-Zwang?" schreibt, sei das Kind am Städtischen Klinikum Braunschweig untersucht worden. Hier habe man den Eltern zur Implantation einer Hörprothese geraten, was diese jedoch abgelehnt hätten. Auf die schriftliche Einladung zu einem Folgegespräch, in der man schon die Einbeziehung des Familiengerichtes angedroht habe, hätten die Eltern nicht mehr reagiert. Im Auftrag des Klinikums habe sich daraufhin eine Rechtsanwaltskanzlei an das örtliche Jugendamt gewandt. Diese habe geschrieben, dass die Eltern kategorisch und ohne Nennung von Gründen eine CI-Versorgung – aus Sicht des Klinikums eine medizinisch notwendige Behandlung – ausschließen würden. Die Ablehnung der Eltern werde deshalb als Kindswohlgefährdung verstanden. Weiter schreibt die Gehörlosenzeitung, dass der Anwalt angeregt habe, ein Verfahren beim Familiengericht zum Kinderschutz anzustoßen. Experten fürchten nun die Schaffung eines Präzedenzfalles und sprechen von Zwangsimplantationen aus wirtschaftlichen Interessen.

Keine lebenserhaltene Operation


Karin Kestner, Expertin auf dem Themengebiet der Gehörlosigkeit, berät die betroffene Familie und zeigt sich im Gespräch mit regionalHeute.de schockiert über das Vorgehen von Klinik und Jugendamt. Bei der Implantation handele es sich um keine lebenserhaltende Operation, so dass die Entscheidung bei der Familie bleiben müsse. Immerhin sei die Implantation auch mit Risiken verbunden. Tatsächlich heißt es in Bezug auf Operationen für Cochlea-Implantate, dass unter anderem die Möglichkeit einer Hirnhautentzündung oder die Verletzung des Geschmacksnervs bestehe.

Klinikum: "Behandler muss für das Wohl der Patienten unbedingt einstehen"


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Das Städtische Klinikum bezieht Stellung. Foto: regionalHeute.de



Auf Anfrage unserer Online-Zeitung will sich das Klinikum Braunschweig durch ihren Pressesprecher Michael Siano aus Gründen der ärztlichen Schweigepflicht zwar nicht zum konkreten Fall äußern, verweist jedoch auf berufsrechtliche Pflichten bei minderjährigen Patienten. "Ihr Wohlergehen ist uns, neben der Gewährleistung einer einwandfreien medizinischen Versorgung, nicht nur ein besonderes Anliegen, sondern eine gesetzliche und für unsere Ärzte zusätzlich berufsrechtliche Pflicht. Die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben, die für uns wie für jeden anderen in dieser Position gelten, sehen gerade bei diesen Patienten vor, dass in Fällen, in denen eine medizinische Behandlung gravierenden Einfluss auf die Lebensführung haben kann, der Behandler für das Wohl des Patienten unbedingt einstehen muss", so Siano und weiter: "Selbstverständlich ist für uns generell und in jedem Einzelfall die enge Zusammenarbeit mit den Eltern oder jeweiligen Sorgeberechtigten von nicht zu überschätzender Bedeutung."

Therapieentscheidung auch später noch rechtfertigen


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Am Montag wird der Fall in Goslar angehört. Foto: Anke Donner



In solchen besonderen Fällen suche man daher stets – im Diskurs mit den Sorgeberechtigten – für den hilfsbedürftigen und minderjährigen Patienten eine Lösung, die sein leibliches und seelisches Wohlbefinden langfristig sichert. Pflicht und Bestreben des Klinikums sei es, eine Therapieentscheidung zu finden, die auch noch Jahre später einer kritischen Nachbewertung standhalte. "Dies gilt im besonderen Maße bei Entscheidungen, die unbestreitbar gravierenden Einfluss auf die Lebensführung haben. Denn hier muss sich die Therapieentscheidung von heute auch später gegenüber dem volljährigen Patienten, der dann seine eigene Sicht und Auffassung zu der Entscheidung entwickelt haben wird, rechtfertigen lassen", erklärt der Pressesprecher. "Umso wichtiger ist damit ein objektiver Diskurs aller Beteiligten zur Ermittlung der – wie auch immer gearteten – besten Therapielösung. Ein solcher Diskurs kann in sehr seltenen Einzelfällen auch erfordern, externe mediatisierende Unterstützung in Anspruch zu nehmen, wie beispielsweise eine Beteiligung der gesetzlich hierfür vorgesehenen Sozial- und Jugendämter."

Einseitige Entscheidungen vermeiden


Man sei sich bewusst, dass eine solche Unterstützung negative Assoziationen bei den Beteiligten oder Ängste bei den Sorgeberechtigten auslösen kann, so dass man eine solche Begleitung nicht leichtfertig anregen würde. "Wir sind allerdings überzeugt, dass diese Sorgen im offenen Austausch unter den Beteiligten schnell abgebaut werden können, denn nach unserem Verständnis dient das entsprechende Verfahren ausschließlich dem Wohle des Patienten. Es ermöglicht eine sorgfältige Prüfung und Abwägung sowohl der medizinisch-fachlichen Fragen wie auch der berechtigten Interessen der Eltern und vermeidet damit einseitige Entscheidungen. Das Ziel, das Wohlergehen des Kindes, eint alle Beteiligten", sagt Siano gegenüber regionalHeute.de und ergänzt: "Daher steht es für uns außer Frage, dass das Städtische Klinikum Braunschweig jegliche in einem solchen Rahmen getroffenen Entscheidungen im Hinblick auf eine weitere Behandlung respektieren und umsetzen wird."


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