Brandbrief an Ministerpräsident Weil: Jugendarbeit soll wieder möglich sein

Neben dem Coronavirus drohe Kindern und Jugendlichen durch die drastischen Einschränkungen noch eine ganz andere Gefahr.

Die Kinder- und Jugendarbeit liegt in der gesamten Region noch immer brach. (Symbolbild)
Die Kinder- und Jugendarbeit liegt in der gesamten Region noch immer brach. (Symbolbild) | Foto: Jan Borner

Braunschweig. Der Landesjugendring Niedersachsen und vier weitere Jugendorganisationen haben einen offenen Brief an Ministerpräsident Stephan Weil verfasst. Kritisiert wird eine unverhältnismäßig starke Ausgrenzung von Kindern und Jugendlichen im Zuge der Lockerungen weg von den Maßnahmen zur Eingrenzung der Corona-Pandemie. Die Jugendverbände appellieren, Kinder- und Jugendarbeit wieder in verantwortungsvollem Maße zu ermöglichen. Den offenen Brief werden wir im Folgenden ungekürzt und unkommentiert veröffentlichen.


Junge Menschen leiden in besonderer Weise unter den Auswirkungen der Corona-Pandemie und den durch die Regierung auferlegten Verboten: Während Erwachsene im Fitnessstudio trainieren, Restaurants, Bars und Cafés besuchen und touristische Reisen unternehmen können, bleibt jungen Menschen die Teilhabe an gesellschaftlichen Aktivitäten ohne ihre Eltern weitestgehend verwehrt. Durch die Einschränkungen in der Verordnung zur Eindämmung der Corona-Pandemie werden junge Menschen aus dem öffentlichen Leben unverhältnismäßig stark ausgegrenzt und der familiären Betreuung überlassen.

Problem wird sich verschärfen


Insbesondere in den nahenden Sommerferien wird sich dieses Problem noch einmal verschärfen: Eltern sind auf nicht kommerzielle Freizeit- und Betreuungsangebote für ihre Kinder angewiesen und junge Menschen haben das dringende Bedürfnis, sich mit Gleichaltrigen zu treffen und ihre Ferien gemeinsam zu verbringen. Aktuelle Studien belegen, wie stark Kinder und Jugendliche in den letzten Monaten gelitten haben.
Wir, die Träger der Kinder- und Jugendarbeit in Niedersachsen, sind uns unserer Verantwortung für Kinder und Jugendliche bewusst. Wir wollen dazu beitragen, dass es gerade auch in diesen Sommerferien und darüber hinaus ein gutes Freizeitangebot für junge Menschen gibt. Wir sind uns auch der Verantwortung hinsichtlich der Eindämmung der Corona-Pandemie bewusst und werden bei allen Angeboten entsprechende Hygienekonzepte berücksichtigen.

Doch leider erschwert die aktuelle Verordnung gegen die Ausbreitung des Corona-Virus die Planung und die Vorbereitung solcher Angebote sehr massiv. Dem Vernehmen nach sieht auch die neue Verordnung keine nennenswerten Lockerungen im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit vor. Deshalb wenden wir uns heute mit diesem offenen Brief an Sie und möchten Sie bitten, sich für die Belange junger Menschen einzusetzen.

Betreuungssituation der Eltern entspannen


Es ist paradox: In keinem anderen Bundesland gibt es so viele gut ausgebildete Jugendleiterinnen und Jugendleiter wie in Niedersachsen und in keinem anderen Bundesland gibt es so weitreichende Einschränkungen für die Kinder- und Jugendarbeit wie in unserem Bundesland. Lassen Sie uns diese Ressourcen nutzen, um Kindern und Jugendlichen schöne Ferien zu ermöglichen und die Betreuungssituation der Eltern zu entspannen.

Damit uns dies gemeinsam gelingen kann, bitten wir Sie, Regelungen zu erlassen, wie sie auch in anderen Bundesländern gelten:

• Heben Sie die Gruppengröße auf oder heben Sie diese auf 50 Personen an! In Fitnessstudios, Cafés oder Bars beispielsweise gibt es keine Begrenzung der Personenzahl, sie ergibt sich zwangsläufig aus der Umsetzung der Abstands- und Hygienekonzepte.

• Ermöglichen Sie Angebote der Kinder- und Jugendarbeit mit Übernachtungen, wenn ein entsprechendes Hygienekonzept umgesetzt wird! Es ist absolut unverständlich, dass kommerzielle Anbieter Jugendreisen anbieten dürfen, gemeinnützige Träger jedoch nicht.

• Ermöglichen Sie die Qualifizierung von Engagierten! Mit dem Verbot von Maßnahmen mit Übernachtung bis mindestens 31.08.2020 wird nicht nur die Durchführung von Sommerfreizeiten in Niedersachsen untersagt, sondern auch Juleica-Ausbildungen und andere Seminare sind nicht möglich. Wir benötigen solche Angebote jetzt, um junge Menschen für Jugendarbeit während der Corona-Pandemie zu qualifizieren (Hygienekonzepte etc.) und um die Motivation der Engagierten zu erhalten: Uns droht ein massiver Einbruch bei der Zahl der Engagierten mit nachhaltigen negativen Auswirkungen, wenn solche Angebote weiterhin verboten bleiben. Ermöglichen Sie in jedem Fall wieder Bildungsmaßnahmen mit Übernachtung.

• Gestatten Sie Jugendbildungsstätten, Jugendherbergen und vergleichbaren Einrichtungen wieder die Beherbergung von Kinder- und Jugendgruppen! In nahezu allen anderen Bundesländern ist dies möglich, dadurch werden die niedersächsischen Einrichtungen zur Zeit massiv wirtschaftlich benachteiligt.

Planungssicherheit wird benötigt


Da die Sommerferien immer näher kommen und es für die verantwortungsbewusste Vorbereitung der Angebote Zeit braucht, benötigen die öffentlichen und freien Träger sehr schnell Planungssicherheit. Dafür wünschen wir uns kurzfristig die Zusicherung, welche Rahmenbedingungen im Sommer gelten werden, auch wenn die rechtliche Umsetzung ggf. etwas länger dauert. Mit jedem Tag, an dem die strengen Vorgaben weiterhin gelten, reduziert sich die Zahl der Angebote für junge Menschen in den Sommerferien und somit die Möglichkeit einer erholsamen, sinnstiftenden und konstruktiven Freizeitgestaltung. Zugleich verschärft sich die Betreuungssituation für deren Eltern.

Abschließend möchten wir noch auf ein weiteres Problem hinweisen: Die Corona-Pandemie ist nicht die einzige Gefährdung für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Es ist zu befürchten, dass etliche von ihnen in den letzten Wochen und Monaten an besonderem Stress oder Vereinsamung gelitten haben oder dass sie möglicherweise physischer oder psychischer Gewalt ausgesetzt waren oder diese miterlebt haben. Geben Sie diesen Kindern die Möglichkeit, sich anderen Menschen außerhalb der Familie anzuvertrauen und Hilfe zu suchen. Auch dafür bieten die Angebote der Kinder- und Jugendarbeit die Gelegenheit.

Deshalb möchten wir Sie bitten: Vertrauen Sie den gut qualifizierten Ehrenamtlichen, Jugendleiterinnen und Jugendleiter, Übungsleiterinnen und Übungsleiter und den pädagogischen Fachkräften der Kinder- und Jugendarbeit und vertrauen Sie auch darauf, dass diese auch während der Corona-Pandemie verantwortungsbewusst gestaltete Aktivitäten anbieten können!


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