Braunschweig. In einer Pressemitteilung des ADFC Braunschweig forderte der Fahrradverband kurzfristig mehr Platz für die Radfahrer in Braunschweig zu schaffen. So sei das Autoverkehrsaufkommen nach den Lockerungen lediglich auf 75 Prozent des Vor-Corona-Wertes gestiegen. Dagegen sei es auf den Radwegen eng geworden und die Einhaltung der Abstandsregeln somit unmöglich. Der ADFC Braunschweig fordert deswegen die Verbände und die Politik dazu auf "mehrere Straßen für den Fuß- und Radverkehr zu öffnen und entlang von Hauptverkehrsstraßen Fahrstreifen zu Radwegen zu markieren". regionalHeute.de fragte bei den Fraktionen der Stadt Braunschweig nach.
Konkret fordert der ADFC in Braunschweig die Schaffung eines Zwei-Richtungsradweges auf dem Cityring durch die Sperrung eines Fahrstreifens (Pop-up-Lane) auf den Strecken Güldenstraße, Lange Straße, Küchenstraße, Hagenmarkt, Bohlweg, Kennedyplatz, Bruchtorwall, Kalenwall und Gieseler Wall. Außerdem solle die Casparistraße für den Durchgangsverkehr und Linksabbieger gesperrt werden. Die Parkplätze dort könnten demnach durch Sitzgelegenheiten umgenutzt werden. Darüber hinaus sollen im gesamten Stadtgebiet temporäre Spielstraßen in den Sommerferien samstags und sonntags und außerhalb der Sommerferien lediglich sonntags ausgewiesen werden. In einem weiteren Punkt schlägt der ADFC vor, Straßenzüge zugunsten radfahrender Familien zu sperren. Dies könnten zum Beispiel die Kastanienallee/Ebert-Allee bis zum Waldforum, die Fahrradstraßen am Wallring und die Kreuzstraße bis zum Raffteich sein.
Einzelfälle müssen geprüft werden
Eine pauschale Ausweitung der Radwege hält die FDP auf Nachfrage von regionalHeute.de nicht für sinnvoll, da ein ausgewogenes Verhältnis aller Verkehrsteilnehmer gegeben sein müsse. Dies schließe neben den Radfahrern auch die Fußgänger, sowie den Kraftverkehr samt ÖPNV und LKW mit ein. Eine Bevorzugung der einen Verkehrsart habe zwangsläufig immer die Beschränkung einer oder mehrerer anderer zu Folge.
Probleme sehe die Fraktion jedoch vor allem dort, wo Radfahrer und motorisierter Verkehr ohne Abgrenzung nebeneinander fahren würden. "Radfahrer dürfen nicht als lebendige Verkehrsberuhigung missbraucht werden, wie es an einigen Stellen in Braunschweig bereits gemacht wurde. Nur das Aufmalen eines Radweges auf eine Straße - auch wenn die Geschwindigkeit reduziert wird – ist noch keine Verbesserung der Radfahrmöglichkeiten", heißt es weiter.
Dass das eine Verkehrsmittel gegen das andere mehr oder weniger ausgespielt werde, hält die FDP nicht für richtig. Die Verkehrssituationen müssten deswegen im Einzelfall beurteilt werden. Eine Neuordnung des Straßenverkehrs zu prüfen oder umzusetzen, sei vor allem dann sinnvoll, wenn ohnehin gerade bauliche beziehungsweise planerische Maßnahmen und Veränderungen anstehen würden.
In den Sommerferien mehr Platz für den Radverkehr
„Auch, wenn viele Corona-Auflagen mittlerweile gelockert worden sind, ist das motorisierte Verkehrsaufkommen nicht auf dem gleichen Stand wie vor Corona zurückgekehrt. Gleichzeitig ist das Radverkehrsaufkommen deutlich gestiegen“, beschreibt Anke Schneider, verkehrspolitische Sprecherin der Linken im Stadtrat, die aktuelle Situation auf Braunschweigs Straßen. „Und in den Sommerferien, wenn weniger Braunschweigerinnen und Braunschweiger in den Urlaub fahren als sonst, wird die Zahl der Radfahrenden weiter ansteigen. Deshalb sind wir einem Vorschlag des ADFC gefolgt und haben die Entzerrung des Radverkehrs während der Sommerferien beantragt.“
Laut des Antrags solle spätestens zu Beginn der Sommerferien auf der Strecke Güldenstraße, Lange Straße, Küchenstraße, Hagenmarkt, Bohlweg, Kennedyplatz, Bruchtorwall, Kalenwall und Gieseler Wall ein Fahrstreifen für den motorisierten Verkehr gesperrt und als Zwei-Richtungsradweg genutzt werden. Zusätzlich solle die Casparistraße im gleichen Zeitraum für den motorisierten Durchgangsverkehr gesperrt werden. „Es ist jetzt die Zeit, neue Wege auszuprobieren und auf die geänderten Ansprüche in der Verkehrsplanung zu reagieren“, betont Schneider. „Im September können wir die Erfahrungen auswerten und über eine mögliche Weiterführung entscheiden.“
Pop-Up-Lanes nur sinnvoll, wenn eine Fahrspur für Autos ausreicht
Eine Ausweisung der Radwege auf bestimmten Straßen als sogenannte Pop-up-Bikelanes sei nur sinnvoll, wenn eine Fahrspur für den Autoverkehr ausreiche und keine Behinderungen entstehen, die zum Beispiel dem Ziel Klimaschutz entgegenstehen, so die SPD-Ratsfraktion. Da die Zahl der Radfahrer jedoch im gesamten Verkehrsgeschehen deutlich zugenommen habe, werde eine angemessene Verkehrsfläche benötigt. Wo es nötig und machbar sei, sollten demnach Fahrspuren dafür mittel- bis langfristig zur Verfügung gestellt werden.
Aus Sicht der SPD-Fraktion wäre es jedoch falsch auf das Einmalereignis "Corona" in allen Bereichen ad hoc zu reagieren und Änderungen herbeizuführen, die in wenigen Wochen wieder zurückgenommen werden müssen. Vielmehr müsse evaluiert werden, ob sich der momentan erkennbare Trend zu "mehr Rad" auch langfristig fortsetzen werde. Lokale Verkehrsspitzen, die zu Rückstaus und Wartezeiten insbesondere für den motorisierten Individualverkehr und auch den ÖPNV führten, habe es bereits vor Corona gegeben. Zwar sei die ursprüngliche Verkehrsdichte aktuell noch nicht wieder erreicht, dennoch sollten Veränderungen lediglich behutsam umgesetzt werden, die die möglichen Stausituationen noch verstärken könnten. Vielmehr bedürfe es eines Gesamtkonzeptes, das allen Mobilitätsarten ausreichend Rechnung trägt. Probleme mit dem motorisierten Verkehr könnten dort auftreten, wo dieser unangemessen stark beeinträchtigt wird. Der Anspruch an eine flüssige und leichte Verkehrsführung gelte aus unserer Sicht gleichermaßen für den Radverkehr wie für den motorisierten Individualverkehr und insbesondere auch für den ÖPNV. Wartezeiten seien, wenn aufgrund der Verkehrsmenge notwendig, sowohl dem Radverkehr als auch dem motorisierten Individualverkehr zuzumuten. Der ÖPNV sollte von solchen Einschränkungen ausgenommen sein.
Die SPD-Fraktion bereite derzeit in Zusammenarbeit mit den Radverkehrsverbänden ein Antragspaket für eine bessere Infrastruktur für den Radverkehr in Braunschweig vor, das im Rat beschlossen und von der Verwaltung umgesetzt werden solle.
Ausweitung von Radwegen im Prinzip nicht falsch
Als Großstadt in der Metropolregion sei Braunschweig auf Pendler und Kundschaft aus dem Umland angewiesen, so die AfD-Fraktion im Rat der Stadt Braunschweig. Sperrungen von Fahrbahnen für den Autoverkehr wären da kontraproduktiv. Dennoch sei eine Ausweitung von Radwegen im Prinzip nicht falsch, biete aber aufgrund seiner historischen Entwicklung nur wenig Platz und Gelegenheit für großflächige Änderungen, vor allem im Innenstadtbereich. "Die genannten Ideen, meist die Inbeschlagnahme von ganzen Fahrbahnen für den Radverkehr, aber auch eine Vollsperrung der Casparistraße, würden zum Verkehrsinfarkt an den genannten Stellen führen", heißt es weiter. "An vielen Stellen nicht gut durchdacht, zielt das Ganze mehr auf autofeindliche Maßnahmen, als auf eine wirkliche Verbesserung der Radwege."
Die AfD weist außerdem darauf hin, dass Anlieferer auf dem Bohlweg zur Zeit abgepförtnerte Fahrspur direkt vor dem Rathausneubau für ihre Ladetätigkeit und die Versorgung der Kolonnadenläden nutzen würden. Zudem gebe es an der "Partymeile" Kalenwall/Gieselerwall eher Probleme mit einer Fremdnutzung der Radwege durch Fußgänger, denn bautechnischen Engpässen für Radfahrer. "Der reibungslose Straßenverkehr ist auch in Braunschweig sehr auf gegenseitige Rücksichtnahme angewiesen, dann genügen auch schmalere Radwege und Fahrbahnen", so die AfD weiter. "Unausgereifte Schnellschüsse wie jetzt die Idee des ADFC, unter dem Vorwand der bevorstehenden Ferienzeit unser Straßennetz lahmzulegen zugunsten ein paar Wochen unbekümmerten Spaßradelns, sind da weder eine Hilfe, noch eine Verhandlungsbasis."
Kein Trend, sondern Umdenken
Die Fraktion P² ( Die Partei / Piraten) halte die Vorgehensweise Radwege und Radfahrmöglichkeiten auszuweiten durch Umnutzung eines Fahrstreifens, temporärer Sperrung oder Ausweisung von Spielstraßen sinnvoll. Hannover, München, Stuttgart, Berlin und viele andere Städte seien mit gutem Beispiel voran gegangen, und Braunschweig müsse nachziehen. So würden immer mehr Menschen mit dem Rad fahren. Ein Trend, der ein gesellschaftliches Umdenken wiederspiegele und der nach Meinung der Fraktion P² nicht nur anhalten, sondern zunehmen werde. Mehr Radfahrer würden demnach auch mehr Platz brauchen.
Die Umverteilung des öffentlichen Raums zugunsten von ÖPNV sowie Fuß- und Radverkehr sei längst überfällig. Daher sei der Ansatz vom ADFC „einfach mal machen“ recht unkonventionell, spiegele jedoch den Unmut der Radfahrenden über den aktuellen Zustand gut wieder. Dennoch biete er die Möglichkeit, von den skizzierten Maßnahmen diejenigen zuerst umzusetzen, die unproblematisch seien und relativ wenig Arbeitsaufwand verursachen.
"Prädestiniert für die Umsetzung wären die drei Vorschläge für die Casparistraße – hier könnten in einer Straße gleich drei Maßnahmen
gestartet werden: Die Straße für die Linksabbieger und den Durchgangsverkehr zu sperren und einige Parkplätze temporär umzunutzen,
also sie mit Parklets zu bestücken – sei es um mehr Sitzfläche im öffentlichen Raum zu erhalten oder Fahrradabstellanlagen anzubringen. Seit 2018 haben wir die Verwaltung wiederholt nach Parklets gefragt und auf die Möglichkeiten hingewiesen", so die Fraktion weiter.
Da es sich dabei um eine temporäre Umsetzung handele, könnten die Maßnahmen gegebenenfalls rückgängig gemacht werden.
Langfristige Maßnahmen für den Radverkehr statt Provisorien
„Um den Radverkehr in Braunschweig voranzubringen, müssen wir die Verkehrsflächen neu und gerechter aufteilen“, so Dr. Rainer Mühlnickel, planungspolitischer Sprecher der Grünen Ratsfraktion und stellvertretender Vorsitzender des Planungs- und Umweltausschusses. „Unter dieser Prämisse haben wir uns intensiv mit den aktuellen Vorschlägen der Radverkehrsverbände befasst, temporäre Maßnahmen in den Sommerferien umzusetzen, sind jedoch zu dem Ergebnis gekommen, dass wir diese Forderungen nicht unterstützen können.“
„Aus unserer Sicht sind die Vorschläge der Verbände - zum Beispiel die Einrichtung eines City-Rings für den Radverkehr - durch Sperrung von Fahrbahnen für den motorisierten Verkehr und die Einrichtung geschützter Radspuren („Pop-Up Bike Lanes“) - nicht so einfach umzusetzen, wie es auf den ersten Blick klingt“, so Rainer Mühlnickel weiter. „Wir müssen hierbei sämtliche verkehrlichen Aspekte in den Blick nehmen. So muss zum Beispiel die Erreichbarkeit der Bushaltestellen am Bohlweg und in der Güldenstraße weiterhin gewährleistet sein. Auch müssen Sicherheitsaspekte insbesondere für den Radverkehr sorgfältig abgewogen werden. Die Beispiele aus anderen Städten wie zum Beispiel Berlin zeigen, dass durchaus neue Gefahrenstellen entstehen können, wenn man die Übergänge auf die neuen „Pop-Up Bike Lanes“ nicht sorgfältig plant. Ich könnte mir dennoch vorstellen, im Rahmen der Überplanung des Hagenmarktes modellhaft eine Verbindung zum Bohlweg zu erproben und diese danach dauerhaft dort einzurichten.“
Die Grüne Ratsfraktion habe mit den aktuellen Forderungen der Verbände aber auch grundsätzliche Probleme, wie Lisa-Marie Jalyschko, ebenfalls Mitglied im Planungs- und Umweltausschuss sowie stellvertretende Vorsitzende des Bauausschusses ergänzt. „Immer wieder mahnen wir an, dass Verkehrsplanung sich an verlässlichen Daten und Fakten zu orientieren hat und nicht quasi „aus dem Bauch heraus“ gemacht werden soll. Das ist in Braunschweig leider nicht selbstverständlich. Aus diesem Grund haben wir zum Beispiel auch bei der Diskussion um die Sidonienbrücke gefordert, eine verlässliche Radverkehrszählung vorzuschalten, um so Entscheidungen auf einer gesicherten Grundlage treffen zu können. Dieser Grundsatz sollte - gerade wenn man Akzeptanz für Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs erreichen will - nicht nur dort gelten, wo es einem besonders gut passt, sondern bei allen Gelegenheiten, bei denen man in das empfindliche System Stadtverkehr eingreift.“
„Wir haben im Stadtgebiet zahlreiche Stellen, an denen man mit durchaus geringem Aufwand viel für den Radverkehr erreichen kann. So haben wir zur nächsten Sitzung des Planungs- und Umweltausschusses zum Beispiel eine Anfrage zur Eisenbütteler Straße gestellt. Aus unserer Sicht könnte die Widmung dieser Straße zwischen Werkstättenweg und Kennelweg zur bevorrechtigten Fahrradstraße eine wichtige Lücke im Radverkehrsnetz schließen. Sowohl für den Alltags- als auch für den Freizeitverkehr hat diese Route zwischen Südsee und Bürgerpark eine sehr wichtige Bedeutung. Sie könnte aus unserer Sicht mit relativ einfachen Mitteln aufgewertet werden. So könnte eine deutliche und langfristige Verbesserung für den Radverkehr erreicht werden, was aus unserer Sicht immer zielführender ist als temporäre Maßnahmen oder Provisorien“, so Lisa-Marie Jalyschko abschließend.
Versuchsweise vorstellbar
BIBS-Ratsherr Wolfgang Büchs: "Der Vorschlag, die Vorschläge erst einmal versuchsweise in den Sommerferien auszuprobieren, ist vor dem Hintergrund einer zeitlich begrenzten Erprobung durchaus vorstellbar. Bei den vierspurigen Straßen wie Lange Straße, Güldenstraße etc. würde ich sogar weiter gehen und in jeder Richtung eine Fahrspur für den Radverkehr (und gegebenenfalls auch den ÖPNV reservieren, da es bei solchen Hauptverkehrsstraßen mit LKW-Verkehr durchaus problematisch sein kann, wenn sich RadfahrerInnen in Gegenrichtung zum fließenden Verkehr bewegen. Gerade bei ungeübten RadfahrerInnen besteht die Gefahr, dass sie bei Auftreten unvorhersehbarer Hindernisse und Situation in den Gegenverkehr der Autos geraten." Die Casparistraße sei seitens der BIBS bereits seit Jahren als Teil einer autofreien Zone in der Innenstadt vorgeschlagen worden. Auch gegen das Ausweisen temporärer Spielstraßen (begrenzt auf die Versuchsperiode Sommerferien), sei nichts einzuwenden.
Von der Komplettsperrung von Straßen wie der Kastanienallee/Ebertallee, werde jedoch nichts gehalten, da es sich zum Teil um wichtige Ausfallstraßen auch für den Autoverkehr handele. Dabei sollte es nicht darum gehen eine Verkehrsart einseitig zu bevorzugen, sondern den partnerschaftlichen Umgang verschiedener Verkehrsformen zu stärken.
"Dass Fahrräder an Ampeln angeblich nicht die Mindestabstände einhalten können, ist für mich Jammern auf hohem Niveau - auch Fahrräder können und müssen sich (genauso wie Autos)in eine Warteschlange stellen, wenn es die Situation erfordert. Es kann nicht erwartet werden, dass sich alle RadfahrerInnen immer pulkartig direkt vorne an der Ampel aufstellen können", so Büchs abschließend.
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