Big Data für ein virtuelles Notfallregister


Prof. Dr. Thomas M. Deserno. Foto: János Krüger/TU Braunschweig
Prof. Dr. Thomas M. Deserno. Foto: János Krüger/TU Braunschweig

Braunschweig. Das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur und die Volkswagenstiftung fördern ein Forschungsprojekt der Technischen Universität Braunschweig zur Verbesserung der Notfallversorgung durch den Einsatz von Big Data mit 1,2 Millionen Euro für drei Jahre. Hierüber berichtet die Universität Braunschweig in einer Pressemitteilung, die wir im folgenden unkommentiert veröffentlichen.


Das Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik (PLRI) arbeitet gemeinsam mit der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) an der Verknüpfung bislang isolierter notfallrelevanter Daten in Smart Homes, bei Rettungsdiensten und in Krankenhäusern. Den Zugriff auf die verknüpften Daten ermöglicht eine „International Standard Accident Number“, die kryptografisch abgesichert wird.

Nicht nur in Deutschland, sondern auch im internationalen Vergleich, bleiben Unfalldaten in eigenständigen IT-Systemen isoliert und unerforscht. Zu den Daten gehören zum Beispiel Angaben, die vor Unfällen und Notfällen sowie vor der Ankunft des Rettungsdienstes beim Opfer oder des Opfers im Krankenhaus erfasst werden. Der Zugriff auf diese miteinander verknüpften Daten kann Notfalleinsätze, zum Beispiel bei gefährdeten älteren Menschen oder Opfern bei Autounfällen, optimieren. Vor diesem Hintergrund fördert das „Niedersächsische Vorab“-Programm ein Forschungsprojekt der TU Braunschweig im Bereich der Unfall- und Notfallinformatik.

Das PLRI als gemeinsame Einrichtung der TU Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover hat sich mit der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zu einem Zentrum für die Unfall- und Notfallinformatik zusammengeschlossen. Unter Leitung von Dr. Siegfried Hackel wird die PTB ihr Wissen aus den Bereichen der vertrauenswürdigen Kommunikation von Messdaten in das Projekt einbringen.

Ziel des Projekts ist die Etablierung einer „International Standard Accident Number“ (ISAN). Diese Nummer wird im Falle eines Notfalls generiert und ermöglicht den Zugriff auf Ort- und Zeitangaben zum Notfall sowie weitere fallrelevante Informationen aus verschiedenen Datenquellen. Gespeichert wird die ISAN im virtuellen Notfallregister Braunschweig. Es wird die Daten bereitstellen, um den Rettungsdienst schneller, besser und effizienter zu machen. „Uns geht es darum, aussagekräftige große Datenmengen virtuell zusammenzuführen und nicht neue, redundante Datenbanken zu betreiben“, sagt Projektleiter Professor Thomas M. Deserno vom PLRI in Braunschweig.

Datenquellen


Mit einer ISAN können Daten aus verschiedenen IT-Systemen in der Notfall- und Rettungskette zusammenfasst werden. Neben Systemen der präklinischen und klinischen Phase gehören auch alarmgenerierende Systeme hierzu, die bereits vor der Versorgung unfall- und notfallrelevante Informationen erheben. Technische und medizinische Daten solcher Systeme sind mit dem wachsenden „Internet der Dinge“ und Sensorunterstützen Informationssystemen in der menschlichen Umgebung – seien es Smart Homes, Smart Vehicles oder Smart Wearables – potenziell in großer Menge verfügbar. Solche Event Data Recorder (EDR) erzeugen einen Alarm bei Erkennung eines unerwünschten Ereignisses und liefern wertvolle Informationen für den Rettungsdienst. Die IT-Systeme der Rettungsdienste (Emergency Medical Services, EMS) erfassen beispielsweise Rettungsdaten, Erstbefunde und Vitalparameter. In Krankenhäusern werden medizinische Daten der behandelten Patienten erfasst. Diese Daten bilden eine elektronische Patientenakte (Electronic Health Record, EHR).


Das übergeordnete Ziel ist, diese großen Mengen an (medizinischen) Daten im Unfall- und Notfallkontext verfügbar zu machen. Dazu soll eine technologische Grundlage zur Verknüpfung von Daten aus EDR, EMS und EHR – die International Standard Accident Number (ISAN) – geschaffen wird.

Beispielanwendungen und Use Cases


Mithilfe der ISAN können Informationen ausgetauscht werden, die weit über den im europäischen eCall-System definierten Minimaldatensatz hinausgehen. So kann ein Smart Home Informationen liefern, die dem Rettungsdienst eine gezieltere Versorgung erlauben. „Unsere Vision ist eine sichere Kommunikation zwischen allen an der Rettungskette Beteiligten. Zum Beispiel wird das einen Sturz erkennende Smart Home nicht nur den Rettungsdienst selbständig rufen, sondern diesem gleich einen Grundriss zusenden, in das Zimmer mit dem Gestürzten und der schnellste Weg dorthin eingezeichnet ist, und dann auch die Haustür öffnen, wenn im Rettungsdienst die Taste ‚Ziel erreicht‘ gedrückt wird“, sagt Professor Deserno. Ein Missbrauch der Daten und solcher Funktionen werde über die ISAN ausgeschlossen – durch Kryptografie und den Einsatz von Token.

Eine ganzheitliche und zeitbezogene Betrachtung ermöglicht es Stakeholdern – von Gesundheitsdienstleistern über Fahrzeughersteller bis hin zu Smart-Home-Unternehmen – ihre Dienstleistungen und Produkte zu verbessern.

Anhand von zwei Use Cases, einem automatischen Notrufsystem in der häuslichen Umgebung und dem virtuellen Braunschweiger Notfallregister, wird die ISAN konzeptuell validiert und der Mehrwert demonstriert.

Big Data in den Lebenswissenschaften der Zukunft


Im Rahmen der Ausschreibung „Big Data in den Lebenswissenschaften der Zukunft“ fördern das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur und die VolkswagenStiftung 16 Projekte, die sich mit den Chancen datenintensiver Forschung und personalisierter Medizin beschäftigen. Insgesamt wurden 54 Anträge eingereicht. Gefördert werden Forschungsvorhaben, die in besonderer Weise die Chancen und Möglichkeiten, die sich aus der Digitalisierung der Lebenswissenschaften ergeben, für den Erkenntnisfortschritt nutzen sowie Meilensteine für den Transfer neu gewonnenen Wissens erarbeiten und in ersten Schritten umsetzen. Die Gesamtfördersumme für die 16 ausgewählten Projekte liegt bei rund 18 Millionen Euro – die Mittel stammen aus dem „Niedersächsischen Vorab“-Programm der VolkswagenStiftung. Die Auswahlentscheidung erfolgte durch eine siebenköpfige Gutachterkommission der VolkswagenStiftung.


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