"Grauer Bus" auf Durchreise: Ein Denkmal für die Schwächsten der Opfer

von Christina Balder




Braunschweig. Sie sind die, die sich selbst wohl am wenigsten wehren konnten gegen die Gräuel, die die Nazis ihnen angetan haben. Sie sind gleichzeitig auch diejenigen, die am ehesten vergessen werden, wenn es um die Opfer des Nationalsozialisten geht: die mehr als 70.000 körperlich Schwachen, die Behinderten oder Kranken, diejenigen, deren Leben in den Augen ihrer Mörder "lebensunwert" waren. An sie erinnern die "Grauen Busse", tonnenschwere, mobile Betonkunstwerke, von denen einer am Montag in Braunschweig Station gemacht hat. 

Es waren die grauen Busse, mit denen Pflegebedürftige zwischen 1939 und 1941 aus ihren Heimen abgeholt und abtransportiert wurden, ihrer Ermordung entgegen. Die Künstler Horst Hoheisel und Andreas Knitz haben diese Busse in Originalgröße aus Beton gegossen. Innen im begehbaren Gang steht ein Satz, der die Angst und Ungewissheit der Menschen ausdrückt, die damals diese Busse bestiegen: "Wohin bringt ihr uns?" 

Das Denkmal ist auf dem Weg ins polnische Poznan. Bei seinem Zwischenhalt auf dem Schlossplatz versammelten sich zahlreiche Braunschweiger Bürger, die Band "The Mix" aus Neuerkerode spielte und auch Oberbürgermeister Ulrich Markurth hielt ein Grußwort.



Ein "überraschendes Thema" nannte Markurth das Anliegen der Initiativen um die Grauen Busse - die Morde, die die Nazis zynisch "Euthanasie" nannten,  stehen nicht so sehr im Zentrum der Aufmerksamkeit. Er sei dankbar, dass die Initiative die Stadt und ihre Bürger mit diesem Thema konfrontiere. "Die grauen Busse rollten auch hier", sagte Markurth. Menschen mit Behinderung oder Krankheiten seien die ersten gewesen, die organisiert ermordet wurden. Diese Taten dürften nicht in Vergessenheit geraten. Denn die Rechtfertigung der Täter, es handele sich um "unwertes Leben", zerstöre "nicht nur die Würde des Einzelnen, sondern die Fundamente der ganzen Gesellschaft", sagte Markurth. "Die Würde des Menschen ist unantastbar - das gilt für jeden, für alle Menschen." In Braunschweig habe die Erinnerungskultur besondere Priorität, wie Stolpersteine und Stolperschwelle zeigten.

Rüdiger Becker, der Stiftungsdirektor der Evangelischen Stiftung Neuerkerode, erzählte von seiner Einrichtung, die schon damals körperlich und geistig Behinderten einen Lebensraum gab. Auch deren Bewohner, 180 an der Zahl, seien "Opfer eines dumpfen, stumpfsinnigen und blöden Menschenbildes geworden", sagte er. Er sei froh, dass heute Behinderte einen Anspruch auf Teilhabe erheben, und er sei froh, dass sie es selbstbewusst tun. Damit das weiterhin möglich bleibe, müssten wir alle dafür sorgen, dass die Vergangenheit nicht vergessen werde. 



So sehr aber die Opfer im Fokus der Erinnerung stehen, so deutlich wollen die Künstler aber auch an die Täter erinnern. Sie wählten das Täterwerkzeug zu ihrem Motiv - die Busse, die nach den Abtransporten noch für Betriebsausflüge genutzt worden seien, wie Horst Hoheisel erzählte.

Zahlreiche Braunschweiger lauschten den Reden und begutachteten die Betonblöcke, darunter auch Heinz Kuhls. Er halte das Denkmal für eine "tolle Idee", sagte er. "Es spricht mich persönlich an, weil meine Großeltern in der Zeit zu Tode gekommen sind. Viel weiß ich nicht, aber sie waren erst um die 40 Jahre alt - da sind sie garantiert nicht eines natürlichen Todes gestorben." Kuhls, der an einer Erbkrankheit leidet, die zur Erblindung führt, vermutet, dass sein Großvater wegen derselben Krankheit von den Nazis für nutzlos erachtet wurde. "Diese Taten müssen in der Erinnerung der Menschen bleiben", sagte Kuhls.

Damit das in Braunschweig so kommt, soll der Graue Bus bei seiner Reise durch die Städte von Mai bis September auch auf dem Braunschweiger Schlossplatz stehen - dort, wo früher die SS-Junkerschule war und die besonders Geeigneten auswählte. "Dorthin wollen wir dieses Symbol der Negativ-Selektion stellen", sagt Regina Blume von der Initiative "Grauer Bus für Braunschweig". Die Initiative sammelt noch Spenden, um Transport- und Aufstellungskosten zu finanzieren.

Spendenkonto: Gedenkstätte für Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft e. V., Stichwort: Grauer Bus, IBAN: DE07 2699 1066 6029 4850 00, BIC: GENODEF1WOB.


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