Täter-Opfer-Umkehr: Jugendring zum Rassismusfall um Stadtschülersprecher

Der Jugendring fordert: "Hört den Betroffenen zu, nehmt sie ernst und lasst es nicht zu, dass sie als Lügner abgestempelt werden."

Rathaus Braunschweig (Archivfoto).
Rathaus Braunschweig (Archivfoto). | Foto: Werner Heise

Braunschweig. Am Sonntag, den 5. März, ist der Stadtschülerratssprecher Atakan Koçtürk aus der Kleinen Burg geworfen worden (mehr dazu). Gegenüber dem Sicherheitsdienst habe er sich nicht ausweisen können. Er beklagt, dass er dabei rassistisch angegangen worden sei - das Wachunternehmen bestreitet dies (mehr dazu). Nun stellt sich der Jugendring Braunschweig hinter das Opfer.



Es handele sich beim Stadtschülerrat um eine Mitgliedsorganisation des Jugendrings. Als Dachverband der Braunschweiger Jugendverbände und weiterer Träger von Jugendarbeit verurteilt der Jugendring den Vorfall aufs Schärfste. So geht aus einer Stellungnahme hervor.

Als Atakan Koçtürk, Sprecher des Stadtschülerrates Braunschweig, am Wochenende in den von der Stadt Braunschweig zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten der Schüler-Vertretung dabei gewesen sei, an einem Antrag für die kommende Schulausschusssitzung zu arbeiten, sei er von einem Wachmann der Sicherheitsfirma aus dem eigenen Büro geworfen worden. Der Wachmann habe ihm nicht glauben wollen, dass Koçtürk befugt sei, sich dort aufzuhalten. So schildert der Jugendring den Sachverhalt.

Rassistische Anschuldigung


Dabei sei er mit den Worten, ein Türke könne nicht Vorsitzender des Stadtschülerrates sein, rassistisch beleidigt. Die vom Wachmann hinzugezogene Polizei schien, so der Jugendring, nicht an der Aufklärung des Falles interessiert zu sein. Anstatt dem Sprecher des Stadtschülerrates zuzuhören und seine Angaben zu überprüfen, seien ihm die Schlüssel abgenommen worden und er der Räumlichkeiten verwiesen worden. Bei seinem späteren Versuch auf dem Polizeirevier eine Aufklärung zu erzielen, sei er auch dort aus den Räumlichkeiten entfernt worden. Mittlerweile habe sich der Sicherheitsdienst zu dem Vorfall geäußert und behauptet, eine rassistische Äußerung hätte es nicht gegeben.

Der Jugendring stellt sich hinter den Stadtschülerratssprecher:
"Wir möchten hiermit unsere Bestürzung über diesen Vorfall zum Ausdruck bringen und uns mit Atakan Koçtürk solidarisch erklären, mit dem wir seit über einem Jahr auf vielen Ebenen wie zum Beispiel zum Thema 'Schüler*innen-Fahrkarten' eng zusammenarbeiten und den wir stets als zuverlässigen, aufrichtigen und engagierten Menschen wahrnehmen, der immer respektvoll und höflich mit anderen Menschen umgeht. Wir haben keinen Zweifel daran, dass seine Aussagen stimmen und die rassistische Beleidigung genauso stattgefunden hat, wie von ihm geschildert."


Täter-Opfer-Umkehr


Es sei ein häufiges Problem, das Opfern von diskriminierenden Verhalten nicht geglaubt werde, wenn keine Zeugen die Angaben bestätigen können. Die Täter fühlten sich oft sicher, weil sie wissen, dass man ihnen nichts beweisen kann. Häufig fände sogar eine Täter-Opfer-Umkehr statt, wenn es Betroffene wagten, sich gegen diskriminierendes Verhalten zu wehren. So werde versucht, Opfer zu Tätern zu machen, die mit angeblichen Falschaussagen nur von einem unterstellten eigenen Fehlverhalten ablenken wollen. Vor diesem Hintergrund verwundere es nicht, dass sich viele Betroffene erst gar nicht an die Behörden oder die Öffentlichkeit wenden würden, erklärt der Jugendring.

Atakan Koçtürk habe "Glück", dass er als Sprecher des Stadtschülerrates über ein breites Netzwerk und eine sehr hohe Glaubwürdigkeit verfüge, die es ihm ermögliche, dem Erlebten nicht hilflos und ohnmächtig ausgeliefert zu sein, sodass hier zumindest die Chance bestehe, dass das Verhalten des Wachmanns nicht ohne Konsequenzen bleiben wird, so der Jugendring.

Den Betroffenen zuhören und sie erstnehmen


Angesichts solcher Vorfälle warnt der Jugendring:
"Was aber ist mit den vielen Menschen, denen es anders geht, die in solchen Situationen alleine dastehen und kaum Möglichkeiten haben, sich zu wehren. Die damit verbundenen Ohnmachtserfahrungen können bei den Betroffenen schnell den Eindruck vermitteln, nichts wert zu sein und in unserer Gesellschaft nicht gehört zu werden.

Wie sollen junge Menschen, die nicht als weiß gelesen werden und für die rassistische Erfahrungen alltäglich sind, unter solchen Voraussetzungen Vertrauen in Gesellschaft, Staat und Demokratie entwickeln? Es ist schon schlimm genug, immer wieder unter fadenscheinigen Begründungen vor Diskothekentüren abgewiesen, von der Polizei kontrolliert oder von vielen respektlos behandelt oder gar beleidigt zu werden. Von betroffenen jungen Menschen wissen wir jedoch, dass es mindestens genauso schlimm ist, dass sie immer wieder als Lügner*innen dargestellt werden, wenn sie über entsprechende Erfahrung berichten, und darum kämpfen müssen, dass man ihnen glaubt.

Als Dachverband der Braunschweiger Jugendverbände vertreten wir die Interessen junger Menschen unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, Herkunft und sozialem Status. In dieser Rolle ist es uns wichtig, für ein gesellschaftliches Klima zu werben, in dem sich alle junge Menschen trauen können, von unangemessenen oder übergriffigen Verhalten offen zu berichten, und damit auch ernst genommen werden.

Wir appellieren daher an alle, die für eine offene und demokratische Gesellschaft stehen: Hört den Betroffenen zu, nehmt sie ernst und last es nicht zu, dass sie als Lügner*innen abgestempelt werden."


Gleich nach dem Vorfall hatte sich Koçtürk auch an den Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden des SPD-Unterbezirks Braunschweigs, Dr. Christos Pantazis, gewandt. Dieser sprach sich ebenfalls für den Stadtschülerratssprecher aus (https://regionalheute.de/braunschweig/als-dieb-rausgeschmissen-erneuter-rassismus-fall-bei-der-stadt-braunschweig-1678375505/).


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