Wolfenbüttel. Die jüngste Sitzung des Rates der Stadt Wolfenbüttel in der vergangenen Woche wurde in einem Testversuch erstmals live im Internet übertragen. Den Bürgern sollte so, vor allem vor dem Hintergrund der Pandemie, die Möglichkeit gegeben werden, diese und folgende Sitzungen von zu Hause aus zu verfolgen. Die im Anschluss gespeicherte Aufzeichnung wurde jedoch mittlerweile wieder aus dem Internet entfernt. Der FDP-Ratsherr Rudolf Ordon hatte Widerspruch gegen die Veröffentlichung eingelegt und sieht einen Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen.
Es war bereits der zweite Anlauf der Stadt Wolfenbüttel eine Ratssitzung aufzuzeichnen und den Bürgern zur Verfügung zu stellen. Schon im Juli 2012 hatte man eine Kamera aufgebaut, konnte die Aufzeichnung aufgrund des Vetos von vier Ratsmitgliedern damals jedoch nicht starten. In der Coronapandemie wagte man nun fast neun Jahre später einen erneuten Anlauf und kam zumindest einen Schritt weiter - die Sitzung wurde live auf YouTube übertragen.
Mehr als 20 Zuschauer hätten live eingeschaltet und bis zum Donnerstagmorgen sei das Video insgesamt 186 Mal abgerufen wurden, erklärte die Fraktion von Bündnis90/Die Grünen in einer anschließenden Pressemitteilung. "Das ist ein toller Erfolg für die Stadt auf dem Weg zu mehr politischer Teilhabe der Bevölkerung und auch zu mehr Transparenz", kommentierte die Vorsitzende Ulrike Krause die Zahlen. Aber die Fraktion machte in ihrer Mitteilung auch deutlich, dass es im Nachgang offenbar zu einem Widerspruch der Veröffentlichung gekommen sei und kritisierte dies deutlich. "Wir sind innerhalb der Sitzungen Personen des öffentlichen Lebens und was in öffentlichen Sitzungen gesprochen wird, ist eben auch öffentlich. Natürlich wissen wir, dass § 64 NkomVG eine Widerspruchsregelung vorsieht. Ob das sinnvoll sein kann, sei dahin gestellt. Wir glauben eher, dass jemand der sich in den Rat wählen lässt und für diesen Aufwand auch finanziell entschädigt wird, es aushalten muss, seine Reden auch im Video zu sehen, die Zuschauer vor Ort mussten das ja auch", sagen Ulrike Krause und ihr Fraktionskollege Stefan Brix.
Tatsächlich sieht das Niedersächsische Kommunalverfassungsgesetz unter dem genannten Paragrafen eine Widerspruchsmöglichkeit für Abgeordnete vor. Hier heißt es ganz konkret: "Abgeordnete der Vertretung können verlangen, dass die Aufnahme ihres Redebeitrages oder die Veröffentlichung der Aufnahme unterbleibt."
FDP-Ratsherr macht von seinem Widerspruchsrecht gebrauch
Nach einer Anfrage von regionalHeute.de an die Ratsfraktionen und Gruppen wird klar, dass es der FDP-Abgeordnete Ordon war, der Einspruch eingelegt hat. Er erklärt unserer Online-Zeitung gegenüber: "Jedem Wolfenbütteler Bürger steht es frei, an Ratssitzungen und Sitzungen seiner Ausschüsse persönlich teilzunehmen. Dies ermöglicht ihm nicht nur, sich mit den Argumenten auseinanderzusetzen, sondern gibt ihm auch die Möglichkeit, die Atmosphäre der Sitzungen zu erfahren, die durch einzelne Beiträge, Zwischenrufe und Reaktionen auf Reden entsteht. Erst aus diesem Zusammenspiel ergibt sich ein umfassendes Bild, das durch eine sterile Übertragung im Internet mit einer subjektiven Kameraführung nicht möglich ist. Eine Übertragung im Internet ergibt kein objektives Bild einer Sitzung, auch weil Mimik und Gestik kaum zur Geltung kommen."
Als es noch keine Live-Übertragungen aus dem Bundestag gab, seien die Debatten Ordons Ansicht nach offener und ehrlicher gewesen. "Wenn es Live-Übertragungen gibt, werden die Rednerlisten so zusammengestellt, dass die eloquentesten Redner die besten Sendezeiten bekommen. Es werden Fensterreden gehalten. Das Verkaufen der Rede ist wichtiger als der Inhalt. Ähnliche Erfahrungen gibt es aus den englischen Parlamenten. Die Debatten im House of Lords sind niveauvoller als die im Unterhaus, auch weil es keine Live-Übertragungen gibt", meint der FDP-Ratsherr. Und weiter: "Das Argument der Grünen, die Aufwandsentschädigung als Verpflichtung für eine Internetübertragung anzusehen, ist an seiner Absurdität kaum zu überbieten, das können sie wahrscheinlich nur selbst." Seine Aufwandsentschädigung erhalte er für seine Ratsarbeit, nicht für seine Zustimmung zu einer Live-Übertragung.
Schutz vor Diffamierungen und Beleidigungen?
Ordon befürchtet, dass Live-Übertragungen im Internet Ratsmitglieder einem Shitstorm aussetzen und zu Diffamierungen und Beleidigungen führen könnten. Dies führe nicht zu einer sachlichen Auseinandersetzung, sondern zu einer Spaltung der Gesellschaft. "Die Debattenkultur in Deutschland hat durch Internetchats o. ä. leider gelitten. Es wird kaum noch auf den Inhalt von Reden geachtet, zunächst wird der Redner angegriffen, wenn er aus einer nicht genehmen politischen Position heraus vorträgt", sagt Ordon.
Und er macht deutlich, dass er an seinem Widerspruch festhält: "Ich hatte zu Beginn der Ratsperiode, wie auch andere, keine Zustimmung erteilt und meine Ansicht dazu auch nicht geändert." Eine vor der Sitzung erfolgte Umfrage der Stadtverwaltung zu möglichen Ablehnungen habe er nicht beantwortet. Aus seiner Sicht habe die Stadt Wolfenbüttel somit einen Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen begangen. Ob dem tatsächlich so ist, lässt die Stadt nach Auskunft ihres Sprechers derzeit prüfen.
Ob dieser Vorfall nun das endgültige Aus für die Übertragung Wolfenbütteler Ratssitzungen bedeutet, bleibt abzuwarten. "Da ein Antrag einer Fraktion eingegangen ist, weitere Übertragungen vorzunehmen, müssen wir jetzt, wie gesagt, intensiver, unter Einschaltung des Städtetages, prüfen und können auch dazu erst nach Abschluss der Prüfung eine Aussage machen", heißt es dazu vonseiten der Stadt.
Landespolitik soll eingeschaltet werden
Nach Meinung der Grünen deckt die Coronapandemie auch die Schwächen der Gesetzgebung schonungslos auf. "Es kann nicht sein, dass sich Bürgermeister:innen und Landrät:innen in rechtliche Unsicherheiten begeben müssen, um Kommunalpolitik leichter zugänglich als bisher zu machen. Die GRÜNEN werden sich an die Landespolitiker:innen vor Ort wenden, damit schnell Abhilfe geschaffen wird. Wenn die Gesetzgebung in Zeiten von Corona einmal mehr Transparenz schaffen würde, wäre das ein Signal, dass Digitalisierung in Niedersachsen verstanden worden ist", heißt es in der dortigen Pressemitteilung.
Unterstützung für Live-Übertragungen erfahren die Grünen von der Ratsgruppe Linke/Piraten. "Die aktuelle Lage ist so, dass der Widerspruch alleine eines Mitglieds für die Verhinderung einer Übertragung ausreicht. Wir finden das schade und hätten da auch gerne Änderungen, haben aber auf kommunaler Ebene dazu keine Möglichkeiten. Aber: Es sollte doch für Ratsmitglieder eigentlich selbstverständlich sein, sich im Jahr 2021 auch auf diese Weise den Bürgerinnen und Bürgern zu stellen! Vielleicht interessiert es im Wahljahr Wählerinnen und Wähler und ein dann neuer Rat stimmt einstimmig für die Übertragungen", erklärt deren Vorsitzender Florian Röpke auf Anfrage von regionalHeute.de.
Eine grundlegende Diskussion zum Thema fordert der SPD-Fraktionsvorsitzende Ralf Achilles. Er persönlich habe keine Probleme mit der Übertragung von Sitzungen, Zweifler sollten seiner Ansicht nach jedoch überzeugt werden und nicht qua Wahl gezwungen werden. Die Ansicht, dass man mit einer Aufwandsentschädigung automatisch seine Persönlichkeitsrechte aufgibt, teile er nicht.
CDU und AfD haben sich auf unsere Anfrage hin nicht zurückgemeldet.
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