Region. Namen aus Postregistern, Altersschätzungen bei der Terminvergabe und nun auch noch völlig überlastete Telefone bei den Gesundheitsämtern. Die Liste der Kontroversen um die Impfkampagne des Landes Niedersachsen ist seit der vergangenen Woche wieder etwas länger geworden. Im Zentrum steht das Niedersächsische Gesundheitsministerium, an dessen Spitze Carola Reimann (SPD) steht. Mittlerweile gehen die Angriffe gegen Reimanns Ministerium jedoch über Sachfragen hinaus - erste Fachpolitiker fragen sich, ob die Sozialdemokratin noch für ihren Job geeignet ist.
Laut Impfstatistik des Robert-Koch-Institutes steht Niedersachsen in Sachen Impfquote auf dem letzten Platz. Mit 1,8 Prozent geimpfter Bevölkerung liegt unser Land knapp hinter Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, mit 1,9 Prozent beziehungsweise 2 Prozent geimpfter Gesamtbevölkerung. Nun hat Niedersachsen aber auch knapp vier Millionen Einwohner weniger als das Schwabenland und zehn Millionen weniger als das in der Pandemie oft gescholtene NRW. Die absoluten Zahlen werfen also kein besseres Licht auf die Niedersächsische Impfkampagne.
Susanne Schütz zweifelt an der Eignung von Ministerin Reimann. Archivbild Foto: Alexander Dontscheff
Organisiert wurde die vom Gesundheitsministerium, an dessen Spitze die SPD-Ministerin Carola Reimann steht. Dabei sind die überlasteten Hotlines der Gesundheitsämter nicht die erste Panne, die das Ministerium zu verantworten hat: Bereits im vergangenen Jahr wurde bekannt, dass Namen und Adressen potenzieller Impfkandidaten von der Post angefordert werden mussten und deren Alter teils anhand von Vornamen geschätzt wurde. Entsprechend hagelte es Kritik von der politischen Konkurrenz. Die geht nun allerdings noch einen Schritt weiter: Mittlerweile steht die Frage im Raum, ob Carola Reimann als Gesundheitsministerin noch tragbar ist.
Muss die Ministerin weg?
Besonders die FDP geht hart mit Reimann ins Gericht. Die Landtagsabgeordnete Susanne Schütz ist Mitglied im Ausschuss für Soziales, Gesundheit und Gleichberechtigung und sieht nicht nur in der technischen Umsetzung ein Problem. Auch die Kommunikation im Vorfeld des Registrierungsstarts sei eine Katastrophe gewesen: Lückenhafte Anweisungen, weit entferne Impfzentren und fehlende Wartelisten führten laut Schütz zu immer mehr Chaos. Das Ministerium habe verpasst pragmatische Regelungen zu schaffen, bei der Registrierung ebenso wie bei der Verteilung des Impfstoffes. Die Folge sei für FDP-Politikerin Schütz klar: "Wer, wenn nicht die Hausspitze im Ministerium, sollte dafür verantwortlich sein? Vor diesem Hintergrund ist meine Einschätzung, dass Frau Reimann als Ministerin nur noch schwer zu halten ist."
Frank Oesterhelweg sieht deutlichen Nachbesserungsbedarf. Personaldiskussionen erhält er jedoch für kontraproduktiv. Foto: Werner Heise
Auch ihr Partei- und Landtagskollege Lars Alt springt ihr bei: Es sei von vornherein klar gewesen, dass der Andrang auf die wenigen Plätze riesig sein würde. Statt die Impfkandidaten gestaffelt anzuschreiben, hätte man alle gleichzeitig anrufen lassen, sodass in der Folge teils die Ansage zu hören war, dass die Nummer der Hotline nicht vergeben sei. Auch für Alt müsse die Regierung daraus Konsequenzen ziehen. "Die zuständige Ministerin hat bereits bei der Pflegekammer keine gute Figur gemacht. Der Ministerpräsident muss nun eingreifen und die Impfstrategie zur Chefsache erklären."
Kritik und Lob aus der Koalition
Auch vom Juniorpartner in der rot-schwarzen Koalition hagelt es Kritik. Landtagsvizepräsident Frank Oesterhelweg (CDU) sieht in der Impfkampagne eine "traurige Vorstellung, um es milde zu formulieren." Statt sich der Einwohnermeldeämter zu bedienen, würde die Kommunikation ausgelagert, Verstorbene würden angeschrieben, alle Impfkandidaten würden gleichzeitig aufgefordert sich zu melden, technische Probleme folgten. Angesichts dessen, dass in der Privatwirtschaft innerhalb weniger Stunden zehntausende Konzerttickets verkauft werden könnten, sei all das unverständlich. Von Rücktrittsforderungen will er jedoch nichts wissen. Viel wichtiger sei eine "unvoreingenommene Manöverkritik" und der Verzicht auf Kompetenzgerangel und Wahlkampfgeplänkel.
Die Wolfsburger Landtagsabgeordnete Immacolata Glosemeyer attestiert dem Gesundheitsministerium eine "vorbildliche Strategie". Foto: Immacolata Glosemeyer MdL
Lediglich aus den eigenen Reihen wird Ministerin Reimann der Rücken gestärkt. Immacolata Glosemeyer (SPD) sitzt ebenfalls im Landtag und war bis Mai 2020 Mitglied im Ausschuss für Soziales, Gesundheit und Gleichberechtigung. Die Wolfsburgerin kann den Unmut zwar nachvollziehen, aber bei einer derart gewaltigen Aufgabe passierten nun einmal Fehler. Des Pudels Kern sei doch der Mangel an Impfstoff.
Hier müsste man der Ministerin sogar dankbar sein: Im Gegensatz zu vielen Kollegen haben sie die zweite Impfdosis, die zur vollen Wirksamkeit der Pfizer-Biontech Impfstoff nötig sei, zurückgehalten. In anderen Ländern sei die Wirkung der Erstimpfung teils wieder verflogen. Sie sieht die Verantwortung an anderer Stelle: "Carola Reimann hat also in dieser einmaligen Situation eine gute Arbeit geleistet. In ihrer Rolle als Gesundheitsministerin verfolgt sie eine vorbildliche Strategie zur Bekämpfung der Pandemie. Die Frage nach den Verantwortlichen stellt sich unter anderem in Richtung der Pharmaindustrie, welche ihren Zusagen nicht nachkommt. An dieser Stelle ist aber auch der Bundesgesundheitsminister gefordert, denn was nützt einem ein Termin ohne Impfstoff?"
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