Innenminister will AfD-Verbot: Wie stark ist der "Flügel" in Niedersachsen?

Der Verfassungsschutz war in Sachen AfD in der Vergangenheit schon mehrfach tätig und zeigt sich angesichts des neuen Landesvorstandes alles andere als beruhigt. Der Braunschweiger AfD-Politiker Stefan Wirtz mahnt jedoch, die gesamte Partei nicht anhand der "Aktionen einzelner Spinner" zu bewerten.

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Die AfD hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Verantwortlich dafür sei nicht zuletzt der völkisch nationale "Flügel" der Partei, so der Verfassungsschutz. (Archivbild)
Die AfD hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Verantwortlich dafür sei nicht zuletzt der völkisch nationale "Flügel" der Partei, so der Verfassungsschutz. (Archivbild) | Foto: Archiv

Region. Der Niedersächsische Innenminister Boris Pistorius hält ein AfD-Verbotsverfahren langfristig für möglich. Das sagte der SPD-Politiker der rheinischen Post am vergangenen Mittwoch. Diese Ankündigung kommt gut zwei Monate nach dem Austritt dreier Mitglieder aus der AfD-Landtagsfraktion infolge der Wahl des dem völkisch-nationalen "Flügel" nahestehenden Jens Kestner zum Landesvorsitzenden. Unter den Ausgetretenen ist auch der Braunschweiger AfD-Politiker Stefan Wirtz. Er springt im Gespräch mit regionalHeute.de für seine Partei in die Bresche, übt aber auch scharfe Kritik. Der Verfassungsschutz äußerte sich in Bezug auf die neuen Entwicklungen im Landesvorstand besorgt.


"Wenn diese Partei - was mich nicht wundern würde - weiterhin konsequent diesen Weg beschreitet, muss man irgendwann in den kommenden Jahren bei entsprechender Belegbarkeit auf allen Ebenen über ein Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht nachdenken", so Pistorius gegenüber der "rheinischen Post". Es könne "kein Zweifel darüber bestehen, dass große Teile der Partei sich immer weniger bemühen, sich ein demokratisches Gewand überzuwerfen", erklärte der Minister. Er fordert den Verfassungsschutz in Bund und Ländern auf, künftig genauer hinzuschauen.



Die AfD als ganzes sei in Gänze kein Beobachtungsobjekt der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde. "Eine Neubewertung der Gesamtpartei in Niedersachsen erfolgt jedoch laufend", berichtet uns Anke Klein, Sprecherin der Abteilung Verfassungsschutz im niedersächsischen Innenministerium. Die Wahl Jens Kestners zum Landesvorsitzenden könne laut Klein als Zeichen eines bevorstehenden Politikwechsels verstanden werden. Dabei stützt sie sich auf Aussagen sowohl von Kestner selbst, als auch von ehemaligen Landtagsfraktionsmitgliedern, wie dem im September ebenfalls aus der Landtagsfraktion ausgetretenen Jens Ahrends. Dieser schrieb auf seiner Facebook-Seite, dass zahlreiche Vertreter des „Flügels“ andere Ziele verfolgen würden als er. Ferner würden sich „Teile des neuen Landesvorstandes“ dem „Flügel“ zugehörig fühlen und hätten angekündigt, sie wollten aus der AfD Niedersachsen eine „andere Partei“ machen. Auch die ehemalige AfD-Landesvorsitzende Dana Guth machte deutlich, dass sie für eine „Flügelfraktion“ nicht zur Verfügung stehe. "Außerdem sucht der neue Landesvorsitzende eine gewisse Nähe zum Thüringer Landespolitiker und 'Flügel'-Hauptprotagonisten Björn Höcke. Mit der sogenannten 'Niedersachsen-Erklärung' bringt Kestner zudem seine Solidarität mit der zweiten zentralen Figur des 'Flügels', Andreas Kalbitz, zum Ausdruck", schildert Anke Klein weiter. Es bleibe abzuwarten, wie sich ein möglicher Politikwechsel des neuen Landesvorstandes in der Praxis auswirken werde.

Der Thüringer AfD-Landesvorsitzende Björn Höcke gilt als Hauptprotagonist des vom Verfassungsschutz als Beobachtungsfall eingestuften Flügels innerhalb der AfD. Der Flügel wurde am 30. April formell aufgelöst. Seine Mitglieder agieren politisch jedoch weiter.
Der Thüringer AfD-Landesvorsitzende Björn Höcke gilt als Hauptprotagonist des vom Verfassungsschutz als Beobachtungsfall eingestuften Flügels innerhalb der AfD. Der Flügel wurde am 30. April formell aufgelöst. Seine Mitglieder agieren politisch jedoch weiter. Foto: Werner Heise



Die Sammlungsbewegung "Der Flügel" wurde aufgrund seiner völkisch-nationalen Ausrichtung am 19. März 2020 zum Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes erklärt, woraufhin er sich am 30. April 2020 selbst formell auflöste. Anke Klein mahnt dennoch, dass der Einfluss der Flügelmitglieder auf die Gesamtpartei als "innerparteiliche und bundesweit agierende Sammlungsbewegung" nicht zu unterschätzen sei: "Es zeigt sich auch in Niedersachsen, dass es auch in westdeutschen Landesverbänden möglich ist, die Mehrheit eines Landesvorstandes mit 'Flügel'-Anhängern zu besetzen. Bereits im Vorfeld der Wahl zeigte sich die Zerrissenheit des niedersächsischen Landesverbandes." Die weiteren Entwicklungen bleiben abzuwarten. Hierbei sei, so Klein abschließend, auch die Neugründung eines Landesverbandes der Jungen Alternative (JA), der Jugendorganisation der AfD, zu berücksichtigen. Der Landesverband der JA Niedersachsen hatte sich im November 2018 ebenfalls aufgelöst, nachdem sie im September zum Beobachtungsobjekt für den Verfassungsschutz erklärt worden war.


Der Braunschweiger AfD-Landtagsabgeordnete Stefan Wirtz.
Der Braunschweiger AfD-Landtagsabgeordnete Stefan Wirtz. Foto: André Ehlers.



Verbotsverfahren hätte "niemals Substanz"


Auch der AfD-Landtagsabgeordnete und Braunschweiger Ratsherr Stefan Wirtz spricht in Bezug auf den JA-Landesverband Niedersachsen von einer "grotesk fehlbesetzten Führungsriege", die letztlich zur Auflösung des Landesverbandes durch die JA selbst führte. "Auch die AfD sorgte intern für den Austritt problematischer Mitglieder, sofern personelle Überschneidungen vorhanden waren", beteuert Wirtz.

"Die Ansichten und Aktionen einzelner Spinner sind für die AfD nicht repräsentativ oder richtungsweisend."

- Stefan Wirtz, AfD-Landtagsabgeordneter



Gegen die Beobachtung des Flügels hatte der AfD-Landesverband unter Dana Guth seinerzeit Klage eingereicht. Man befürchtete darin einen "Vorwand, beliebig viele AfD-Mitglieder wahllos geheimdienstlich zu überwachen, da keine formal eindeutige Zugehörigkeit zum Flügel möglich war und nachweisbar wäre", so Wirtz. Er wird deutlicher: "Die Ansichten und Aktionen einzelner Spinner sind für die AfD nicht repräsentativ oder richtungsweisend."

Der Niedersächsische Innenminister Boris Pistorius.
Der Niedersächsische Innenminister Boris Pistorius. Foto: Marvin König



Der Braunschweiger Landtagsabgeordnete sieht bei der Ankündigung eines Verbotsverfahrens durch Innenminister Pistorius parteipolitische Interessen des SPD-Politikers im Vordergrund: "Von einer 'kämpferisch gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichteten Einstellung', wie bei Verbotsverfahren Voraussetzung, kann (bei der AfD) nicht die Rede sein, ganz im Gegenteil. Ausrichtung, Programm und Ziele der AfD legen das nicht nahe und entsprechen zum Teil den nicht allzu viel älteren Grundsätzen der CDU", erläutert Wirtz gegenüber regionalHeute.de. Ein Verbotsverfahren hätte nach Ansicht von Wirtz daher wenig Substanz. Der AfD-Politiker fügt hinzu: "Hier will der Amtsinhaber nicht den Staat schützen, sondern eine Konkurrenzpartei bekämpfen; Aufgabe eines Verfassungsschutzes ist es aber nicht, fragwürdiges Regierungshandeln vor kritischer Opposition zu bewahren. Daher hatten wir noch als Fraktion beantragt, den Verfassungsschutz aus dem Innenministerium auszugliedern und als eigenständige Behörde wenigstens zum Teil den parteipolitisch gefärbten Weisungen des jeweiligen Ministers zu entziehen."

"Radikalisierung" von außen


Wirtz sieht in den Aktionen gegen seine Partei jedoch die Gefahr einer "Radikalisierung von außen". Er erklärt: "notorisches Framing der AfD als überwiegend Rechtsextreme und ähnliches, belagerte und bekämpfte Parteitage sowie gesellschaftliche Stigmatisierung bewirken ein Fernbleiben der bürgerlichen Parteiangehörigen und Interessenten. Nur dann können ganz kleine, ehrgeizige Gruppen eher radikal Orientierter ihre eigenen Wahlkandidaten durchbringen, die als neuerliche Fehlbesetzungen in Ämter gelangen, was nach außen den Anschein einer politischen Verschiebung erweckt. Das ist dann ganz im Sinne von Linksradikalen wie Boris Pistorius und anderer Feinde der Alternative für Deutschland."

Innerparteiliche Konflikte


Wirtz verteidigt seine Fraktion nach wie vor. Weshalb dann der Austritt aus der Landtagsfraktion? Er erklärt: "Fast genau drei Jahre lang war die AfD-Fraktion im Landtag vor allem deshalb stabil, weil alle Abgeordneten, auch wenn sie im direkten Zusammenhang mit innerparteilichen Lagern standen, die Geschehnisse im Landesverband aus dem Fraktionsbetrieb einvernehmlich herausgehalten haben", so Wirtz. "Erst mit der aktuellen Neuwahl des Landesvorstandes haben zwei Abgeordnete, davon einer aus verantwortlicher Position in diesem Vorstand heraus, den Betriebsfrieden in der Fraktion beendet und den innerparteilichen Konflikt dort fortsetzen wollen. Nicht das Ergebnis der Vorstandswahlen und die Ausrichtung des dortigen Personals waren somit der Grund für das Ende der Landtagsfraktion, sondern das Verhalten einiger Abgeordneter", stellt der Braunschweiger klar.



Wirtz erklärt weiter: "Entsprechend sind unsere Fraktionsaustritte selbst nicht als Nachweis für eine beobachtungswürdige Orientierung des Landesverbandes tauglich. Allerdings hat der neue Landesvorstand durch seine Einmischung in Gesprächstermine und Vermittlungsversuche, die eingeleiteten Parteiverfahren und seine öffentliche Positionierung inzwischen bewiesen, dass eine unabhängige Fortsetzung der Fraktionsarbeit so wie zuvor nicht mehr möglich gewiesen wäre; beispielsweise die stilistisch etwas kreischende, plakativ auf die "Maskenpflicht" gezielte Kampagne gegen Corona-Maßnahmen hätte ich selbst auch im Fraktionsrahmen nicht mitgetragen", beteuert der Politiker weiter. "Die weitere Entwicklung der AfD Niedersachsen hängt viel von der Vorgehensweise des neuen Landesvorstandes in den nächsten Monaten ab. Wie sehr sich die liberalen, bürgerlichen und konservativen Parteiangehörigen von diesem gut vertreten fühlen, wird sicher ausschlaggebend für das weitere Parteileben sein", so Wirtz abschließend.


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