Manczak-Prozess: Hat ein Zeuge den Toten gesehen?

Eigentlich sollte schon das Urteil im Prozess um den vermissten und mutmaßlich ermordeten Karsten Manczak gefallen sein. Doch das Verfahren wird sich noch einige Wochen hinziehen.

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In Handschellen wird der Angeklagte in den Gerichtssaal geführt.
In Handschellen wird der Angeklagte in den Gerichtssaal geführt. | Foto: Anke Donner

Region. Wie nicht anders zu erwarten, war es auch am heutigen elften Prozesstag im Fall des vermissten und mutmaßlich ermordeten Karsten Manczak, Verteidiger Martin Nitschmann, der zahlreiche kritische Fragen an den einzigen Zeugen des Tages, den Leiter der Mordkommission "Fortuna", hatte. Wiederholt stellte er die Ermittlungsmethoden und deren Ergebnisse infrage.



Die Kammer hatte den heutigen Prozesstag allein der Aussage des Moko-Leiters gewidmet. Dieser schilderte im Detail die Ermittlungen und deren Ergebnisse, die zur Annahme führen, dass der Angeklagte, der 50-jährige Bundespolizist Martin G., seinen engen Freund Karsten Manczak ermordet haben soll. Heimtückisch, wie der Moko-Leiter mutmaßte, woraufhin sich Verteidiger Nitschmann genau definieren ließ, woran dieser das Merkmal Heimtücke festmache.

Heimtücke, so erläuterte es der Zeuge, sei es dann, wenn das Opfer arg- und wehrlos seinem Täter gegenüberstehe und nicht mit dessen Angriff rechne. Dies, warf Nitschmann ein, könne in diesem Fall wohl nicht zutreffend sein, wenn doch, wie es Zeugen aussagten, vorher ein Streitgespräch stattgefunden habe.

Verteidigung wirft Polizei einseitige Ermittlungen vor


Dass laut Nitschmann die Aussage, dass die Tat heimtückisch begangenen worden ist, nicht passe, war nur der Aufschlag in seiner Befragung des Zeugen. Die Verteidiger warfen den Ermittlern abermals vor, dass diese einseitig ermittelt hätten und andere Optionen, wie das freiwillige Untertauchen oder gar ein Suizid, nicht ausreichend geprüft worden seien. Auch die Frage nach anderen Tätern oder einer anderen Tatwaffe - ein Baseballschläger, der bisher nicht gefunden wurde, komme offenbar auch infrage - sei nicht ausreichend ermittelt worden.

Auch Videos vom Bahnhof Hannover, deren Auswertung eventuell relevant hätten sein können, seien nicht angefordert worden. Sie seien zum Zeitpunkt der Nachfrage durch die Polizei bereits gelöscht worden, wirft Nitschmann dem Ermittler vor. Dieser räumte ein, dass es hier und da Versäumnisse gab, Spuren nicht oder zu spät verfolgt, oder Vorgänge nicht genau rekonstruiert wurden. So sei man bei der Frage, ob der Angeklagte in der Lage gewesen sein kann, den leblosen Karsten Manczak über das Grundstück bis zum Caddy zu schleifen, davon ausgegangen, dass das möglich sei. Genau nachgestellt habe man die Situation jedoch nicht, räumte der Ermittler ein. Auch seien nur zwei Funkmasten auf dem Expogelände ausgewertet worden. Warum nicht mehr?

Der Angeklagte Martin G. zwischen seinen Verteidigern Martin Nitschmann und Andreas Zott.
Der Angeklagte Martin G. zwischen seinen Verteidigern Martin Nitschmann und Andreas Zott. Foto: Anke Donner


Auch die Frage, warum drei Zeugenaussagen, die darauf hindeuten, dass Karsten Manczak am Nachmittag und zwei Wochen nach seinem Verschwinden noch gesehen worden ist, nicht weiter geprüft worden sind, stellte Nitschmann in den Raum. Zwei Zeugen hatten berichtet, dass sie Manczak am Nachmittag und Abend des 13. April noch gesehen haben wollen. In einem Fall sei sich die Zeugin nicht ganz sicher, ob es nicht auch der 6. April, also die Woche zuvor, gewesen sein könnte. Ein weiterer Zeuge hatte berichtet, dass er den Vermissten zwei Wochen nach seinem Verschwinden noch an einer Bushaltestelle in Blankenburg gesehen haben will. Der Moko-Leiter erklärte, dass man aufgrund der Spurenlage und der bis dahin erlangten Erkenntnisse bereits von einer anderen Lage ausgegangen sei und annahm, dass sich die Zeugen täuschen würden.



Weiter machte Verteidiger Nitschmann deutlich, dass seiner Auffassung nach auch an diesem Tag wiederholt Aussagen und Ermittlungen widersprüchlich seien, von der Polizei voreingenommen getroffen wurden oder Spuren nicht ausermittelt wurden sind.

So wunderte sich die Verteidigung darüber, dass Spuren, die offenbar an Manczaks Caddy, der wenige Tage nach dessen Verschwinden auf dem Expo-Gelände in Hannover gefunden wurde, nicht oder erst jetzt ausgewertet wurden. Außerdem kritisierte Nitschmann, dass ein Pfeil, der im Garten der Manczaks gefunden wurde, nur anhand eines Bildes aus dem Internet mit dem Pfeil verglichen wurde, der zur Armbrust gehört, die der Angeklagte angeblich gekauft haben soll. "Warum wurde kein Vergleichspfeil bestellt?", wollte Nitschmann vom Moko-Leiter wissen. Zumal spätere Untersuchungen ergeben hätten, dass sich die Pfeile in einem winzigen Detail unterscheiden. Hatte G. deshalb einen Tag nach Auffinden des Caddys einen Prüffall beim Online-Bezahldienst Paypal aufgemacht?


Karsten Manczak soll mit einer Armbrust getötet worden sein. Eine Armbrust, wie sie der Angeklagte etwa vor Wochen vor der mutmaßlichen Tat gekauft haben soll. Doch Martin G. will die Armbrust nicht selber gekauft haben. Diese sei mit seinem Ausweis von einem Unbekannten bestellt worden. Der Kaufbetrag aber wurde von seinem Konto abgebucht, das hätten die Ermittlungen ergeben.

Ebenfalls wurde herausgefunden, dass der Postbote dieses Paket an die Wohnanschrift von Martin G. zugestellt habe. G. aber hatte einen Tag nach dem Auffinden des Caddys an Paypal gemeldet, dass jemand anderes unter seinem Namen die Waffe gekauft hatte. Der Betrag wurde ihm daraufhin erstattet. Von der Armbrust fehlt bis heute jede Spur. Die Polizei geht davon aus, dass G. den Paypal-Fall eröffnete, weil der im Fahrzeug gefundene Pfeil zu ihm führen könne. Den Kauf der Armbrust habe er so vertuschen wollen.


Sah ein Zeuge den toten Karsten Manczak?


Ein weiterer Zeuge soll am kommenden Freitag vor dem Braunschweiger Landgericht aussagen. Er will am mutmaßlichen Tattag, den 13. April 2021 gegen 11 oder 12 Uhr, eine Beobachtung auf der Autobahn bei Hannover gemacht haben. Der Mann gibt an, einen blauen Caddy mit dem Kennzeichenfragment GS-KK gesehen zu haben. Auf der Rückbank soll sich eine hilflose oder leblose Person gefunden haben. Der Zeuge habe hinterher nicht mehr genau sagen können, wo genau er die Beobachtung gemacht hatte. Mit dem Zeugen sei man die Strecke abgefahren, in der Hoffnung, er könne den Ort näher bestimmen, erklärt der Moko-Leiter. Man habe den Bereich dann aber lediglich auf die Auffahrt Anderten eingrenzen können.


Verliert der Angeklagte seinen Verteidiger?


Die Strafverteidiger Martin Nitschmann und Andreas Zott ließen auch an diesem Tag nichts unversucht, die Unschuld ihres Mandanten zu beweisen, oder zumindest die Ermittlungen der Polizei ins Wanken zu bringen. Doch ob der Angeklagte Martin G. auch in den folgenden Prozesswochen noch auf Nitschmann setzten kann, ist fraglich.

Dem Angeklagten Martin G., der sich seit nunmehr neun Monaten in Haft befindet, geht das Geld aus. Seinen Anwalt Martin Nitschmann könne er nicht mehr lange bezahlen. Zu Beginn des Prozesses sei man von zehn Prozesstagen ausgegangen. Nun zeichnet sich ab, dass das Verfahren noch viele Tage in Anspruch nehmen wird. Aktuell geht die Kammer davon aus, dass weitere Termine im April, oder sogar im Mai anberaumt werden. Zu viele Fragen seien noch ungeklärt und einige Zeugen müssen noch vernommen werden. Für den Angeklagten sei das aber finanziell nicht mehr leistbar. Es sei zu befürchten, dass er sein Mandat nicht weiterführen könne, so Nitschmann. Es sei denn, die Kammer ordnet einen zweiten Verteidiger an. Was gemessen an der Schwere des Vorwurfs, der aus Sicht des Verteidigers einseitigen Ermittlung und den Versäumnissen, angemessen sei. Staatsanwältin Creutzburg signalisierte schon am heutigen Prozesstag, dass sie dem Antrag nicht zustimmen werde. Zumindest nicht zum jetzigen Zeitpunkt.

Nitschmann, der inzwischen bekannt für seine griffigen Befragungsmethoden ist, ging zumindest mit dieser Auffassung der Staatsanwältin konform und quittierte dies mit der Aussage: "Dass sie mich hier nicht mehr sehen wollen, ist mir klar."


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