Region. Die Niedersächsische Landesregierung plant ein neues Polizeigesetz, das der Polizei zusätzliche Rechte und Möglichkeiten einräumt. Dagegen formiert sich zunehmend Widerstand. regionalHeute.de fragte bei den Landtagsabgeordneten aus unserer Region nach, ob sie den Protest für begründet halten und was sie von dem Gesetzentwurf halten.
Wir veröffentlichen die Antworten der Abgeordneten in der Reihenfolge ihrer Rückmeldung.
Immacolata Glosemeyer, SPD-Abgeordnete aus Wolfsburg schreibt dazu:
"Die Protestierenden haben natürlich das Recht, ihre Meinung und Bedenken auch öffentlichkeitswirksam mitzuteilen. Ich halte es sogar für ein positives Zeichen, dass sich so viele gerade junge Menschen kritisch mit Gesetzesentwürfen auseinandersetzen.
Das geplante niedersächsische Polizeigesetz ist meiner Meinung nach notwendig, weil es zeitgemäß der aktuellen Bedrohungslage durch beispielsweise den islamistisch motivierten Terrorismus, in einer ganz neuen Qualität, mit angepassten polizeilichen Interventionsmaßnahmen entgegensteht.
Dass die Bürgerinnen und Bürger dabei in ihren Rechten eingeschränkt werden, ist weder Ziel noch Beiwerk. Die Befugnisse der Sicherheitsbehörden dürfen nur in einem klar definierten Bereich geltend gemacht werden. Als SPD-Fraktion werden wir uns in den weiteren Beratungen dafür stark machen, dass die Verhältnismäßigkeit gewahrt wird und Fragen, wie zum Beispiel zur Anordnungsbefugnis für elektronische Fußfesseln, geklärt werden."
Ähnlich sieht diesAnette Schütze, SPD-Abgeordnete aus Braunschweig:
"Unsere Aufgabe ist es, die Bürgerinnen und Bürger in Niedersachsen wirkungsvoll vor Gefahren zu schützen. Dazu gehört es, die Möglichkeiten der Gefahrenabwehr an neue Bedrohungen anzupassen. Durch das Niedersächsische Polizeigesetz (NPOG) sollen dafür mehr Spielräume geschaffen werden. Bei begründetem Verdacht könnten Ermittlungen gegen terroristische Gefährder so verstärkt präventiv erfolgen und bestenfalls Taten verhindern.
Die dafür vorgesehenen Maßnahmen sorgen in Teilen der Bevölkerung für Skepsis. Ich nehme diese Bedenken sehr ernst, weil ich mich als Sozialdemokratin dem Schutz der persönlichen Freiheit und der Sicherheit von Bürgerinnen und Bürgern gleichermaßen verpflichtet fühle. Die erweiterten Möglichkeiten unserer Sicherheitskräfte müssen daher ausgewogen, verhältnismäßig und zielführend sein. Darüber wird innerhalb der SPD-Landtagsfraktion noch zu diskutieren sein."
Susanne Schütz, FDP-Landtagsabgeordnete aus Braunschweig, übt in Teilen Kritik am Gesetzentwurf:
"Vorab: Die Freien Demokraten sind für einen schlanken Staat, der sich auf seine Kernaufgaben beschränkt, dazu gehört die Durchsetzung des Rechtsstaates. Grundsätzlich sind wir der Meinung, dass bevor neue Gesetze geschaffenbeziehungsweise verschärft werden, die Polizei und die Justiz erst einmal in die Lage versetzt werden müssen, die aktuellen Gesetze anzuwenden und durchsetzen zu können. Dazu bedarf es gut ausgestattete Sicherheitsbehörden mit genügend Personal und einer hochwertigen Ausrüstung.
Gleichwohl befürworten wir auch eine grundlegende Novellierung des niedersächsischen Polizeigesetzes, um auf Entwicklungen zu reagieren und der Polizei das notwendige rechtliche Handwerkszeug zur Verfügung zu stellen. Wir begrüßen zum Beispiel ausdrücklich die neuen rechtlichen Regelungen zum Einsatz der Fußfessel und des sogenannten Tasers, ebenso dass eine rechtliche Grundlage zur Einführung von Bodycams geschaffen wird. Auch dass der Verstoß gegen ein vollziehbar angeordnetes Vermummungsverbot zukünftig eine Straftat und keine bloße Ordnungswidrigkeit sein soll, bewerten wir vor dem Hintergrund der steigenden Gewalt gegen Beamte und den Erfahrungen unter anderem des G20-Gipfels in Hamburg als positiv.Wir kritisieren aber auch mehrere Punkte im Entwurf des neuen Polizeigesetzes: Da ist einmal die vollkommen willkürliche Länge der Präventivhaft - sie ist in unseren Augen unverhältnismäßig lang. Es sind außerdem verschiedene neue Überwachungsmaßnahmen geplant, die nicht erst zum Einsatz kommen sollen, wenn von einer terroristischen Bedrohung auszugehen ist, sondern bei „dringender Gefahr“. Das geht uns entschieden zu weit.
Bei der sogenannten Quellen-TKÜ (Telekommunikationsüberwachung) sollen künftig Chats (wie etwa bei WhatsApp) vor deren Verschlüsselung überwacht werden können.
Bei der Online-Durchsuchung kann der Staat sogar live betrachten, was auf einem Rechner geschieht. Ein Zugriff auf Fotos, ablegte Dokumente und andere rein private Dateien ist dann möglich. Das allein lehnen wir schon ab. Es kommt aber noch etwas verschärfend hinzu: Damit es möglich ist, einen solchen Staatstrojaner auf Rechnern zu installieren, werden Sicherheitslücken des jeweiligen Betriebssystems ausgenutzt. In den Augen der FDP wäre es Aufgabe des Staates, Sicherheitslücken aufzudecken und auf deren Beseitigung zu drängen zum Schutze der Bürger. Stattdessen sollen die Sicherheitslücken zu Spionage auf privaten Rechnern benutzt werden. So hat der Staat sogar ein Interesse daran, dass die Lücken garnicht geschlossen werden und das finden wir bedenklich.
Aus diesem Grund fordern wir deutliche Änderungen des Entwurfes und werden in den Ausschussberatungen weiter auf diese drängen."
Die Stellungnahme von Marcus Bosse, SPD-Abgeordneter aus Wolfenbüttel, dazu lautet:
"Die aktuell im Entwurf befindlichen Anpassungen des niedersächsischen Polizeigesetzes sind das Ergebnis der im Koalitionsvertrag von SPD und CDU festgeschriebenen Vorhaben. Im Kern bin ich der Überzeugung, dass Änderungen notwendig sind, um unserer Polizei bessere Handlungsmöglichkeiten vor allem im Kampf gegen kriminelle und/oder terroristische Organisationen zu ermöglichen. Wir können nicht zulassen, dass Kriminelle vor allem im digitalen Bereich einen Vorsprung gegenüber den staatlichen Sicherheitsorganen haben und brauchen daher ein zeitgemäßes Gesetz.
Für die Proteste gegen die Änderungen beim Polizeigesetz habe ich Verständnis, wenngleich man festhalten muss, dass viele Vorwürfe unbegründet sind. Dennoch ist meiner Meinung nach die Verhältnismäßigkeit zwischen Bürgerrechten und Befugnissen der Sicherheitsbehörden äußerst wichtig. Daher wird die SPD in Niedersachsen sehr sorgfältig prüfen, ob die zur Diskussion stehenden Änderungen diese Verhältnismäßigkeit auch weiterhin gewährleisten.
Wichtig zu erwähnen ist aus meiner Sicht, dass bei einer entsprechenden Anhörung im zuständigen Innenausschuss Kriminologen, Menschenrechtler, Datenschützer, Computerexperten, Anwälte und Polizeivertreter zugegen waren und bei der Ausgestaltung strittiger Punkte mitgewirkt haben."
ImkeByl, Landtagsabgeordnete der Grünen aus Gifhorn, lehnt den Gesetzentwurf ab:
„Ich lehne die Neufassung des Niedersächsischen Polizeigesetzes klar ab. Die niedersächsische SPD und CDU eifern Bayern und ihrer CSU anscheinend nach, und das, obwohl das dortige verfassungswidrige Polizeigesetz zurecht massiven Widerstand der Zivilgesellschaft erfährt. In der Anhörung im niedersächsischen Innenausschuss wurden sehr viele starke Bedenken geäußert, der Großen Koalition ist aber offensichtlich egal, was die Expertinnen und Experten sagen.
Die vom #noNPOG-Bündnis geplante Demonstration in Hannover am 8. September unterstütze ich ausdrücklich. Die Große Koalition braucht offensichtlich eine Erinnerung an Verfassung und Rechtmäßigkeit."
Die Wolfenbütteler SPD-Abgeordnete DunjaKreisersieht die Sache wie folgt:
„Die Proteste sind ein Ausdruck von Demokratie. Das Menschen protestieren können, gehört zu unserer Gesellschaft fest dazu.
Das neue Polizeigesetz bringt notwendige Veränderungen mit sich, um insbesondere den neuen Erscheinungsformen des islamistischen Terrorismus wirksam begegnen zu können. Mir sind viele Kritikpunkte der Gegnerinnen und Gegner des Gesetzes bekannt. Zu vielen Kritiken kann ich sagen, dass diese unbegründet sind. Ein Beispiel ist der Einsatz von Elektroschockwaffen, sogenannten Tasern: Diese sollen in Niedersachsen, anders als oft behauptet, nur von Spezialeinsatzkommandos eingesetzt werden. Diese Beamtinnen und Beamten werden intensiv im Umgang mit den Tasern ausgebildet und können kontinuierlich an dem Gerät trainiert werden. Ein Einsatz des Tasers in der Breite, also auf jedem Streifenwagen, soll nicht stattfinden.
Ähnlich verhält es sich mit der Dauer des Gewahrsams. Diese Regelung betrifft ausschließlich terroristische Gefährder. Auch Online-Durchsuchungen sind nach wie vor nur mit richterlichem Beschluss möglich. Die Kritik daran muss allerdings berücksichtigt werden. In den anstehenden Anhörungen werden wir das auch intensiv tun. Grundsätzlich sind die Online-Durchsuchungen mit Einbezug von persönlichen Daten aber unverzichtbar - etwa bei der Abwehr islamistischer Anschläge oder bei Ermittlungen gegen die Erstellung und Verbreitung von Kinderpornografie.
Das Gesetz ist weit davon entfernt, willkürlichen Polizeiaktionen Tür und Tor zu öffnen. Vielmehr bietet es entscheidende Möglichkeiten, um etwa gegen organisierte Banden vorzugehen. Insbesondere stellt es sich auf eine digitalisierte Gesellschaft ein, damit den Sicherheitskräften die nötige Grundlage für erforderliche und erfolgreiche Ermittlungen geschaffen wird.“
Auch Oliver Schatta, CDU-Abgeordneter aus Braunschweig, sieht den Entwurf grundsätzlich positiv:
"Ich spüre das breite Interesse der Bevölkerung am Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsgesetz sehr deutlich. Die Meinung dazu in unserer Bevölkerung ist sehr unterschiedlich. Das merke ich durch das Engagement der Demonstranten aber auch durch die direkte Ansprach einzelner Bürger.
Ich finde, der bisher vorgelegte Entwurf des Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsgesetzes reagiert besonnen auf die veränderte Bedrohungs- und Sicherheitslage in Niedersachsen und berücksichtigt die sicherheitspolitischen Notwendigkeiten sowie die Bürgerrechte der wenigen Betroffenen gleichermaßen. Meine Fachkollegen werten nun die Ergebnisse der Anhörung vom 9. August 2018 aus. Die daraus resultierende Gesetzesvorlage werde ich erneut bewerten."
Auch die weiteren Landtagsabgeordneten aus unserer Region wurden angefragt. Falls nochStellungnahmen eingehen, werden diese eingefügt.
Lesen Sie auch:
https://regionalbraunschweig.de/gefaehrdung-der-demokratie-aufruhr-gegen-neues-polizeigesetz/
mehr News aus der Region