Waldbrände bei Tschernobyl - Trägt der Wind eine nukleare Gefahr in die Region?

Seit Wochen lodern Waldbrände um das havarierte Atomkraftwerk Tschernobyl. Eine internationale Ärzteorganisation warnt vor Verharmlosung. Das Bundesamt für Strahlenschutz sieht jedoch keinen Grund zur Beunruhigung.

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(Symbolbild) | Foto: Pixabay

Region. Seit dem 4. April werden die Wälder um das im Jahr 1986 havarierte Atomkraftwerk Tschernobyl von großflächigen Waldbränden heimgesucht. Bedeutende Mengen in den Bäumen und im verseuchten Boden gebundener radioaktiver Strahlung gelangen so in die Luft. Die Rauchwolke hat inzwischen die ukrainische Hauptstadt Kiew erreicht - Eine Ärzteorganisation schlägt nun Alarm. Der Rauch könnte auch für Deutschland bedrohlich sein. Das Bundesamt für Strahlenschutz bewertet die Lage aktuell jedoch als harmlos für Deutschland.


Strahlenbelastung in Kiew um das sechsfache erhöht


Die Internationale Ärzteorganisation zur Verhinderung eines Atomkriegs IPPNW warnt: "Bei ungünstiger Wetterlage und Windrichtung könnte auch der Rest Europas, könnte auch Deutschland von den radioaktiven Wolken betroffen sein. Die aktuellen Versuche, die Waldbrände zu verharmlosen sind daher unverantwortlich und gefährlich." Der IPPNW-Co-Vorsitzende Alex Rosen wies am Montag auch darauf hin, dass es keinen Schwellenwert gebe, unterhalb dem Radioaktivität gänzlich unbedenklich wäre: "Jede zusätzliche Strahlenbelastung sollte möglichst vermieden werden." In Kiew sei hingegen inzwischen eine leicht erhöhte Konzentration des radioaktiven Isotops Cäsium-137 festgestellt worden. In einem Maße unter denen als bedenklich eingestuften Grenzwerten - Dennoch sei die Strahlung sechsfach höher, als dies normalerweise der Fall wäre.

Was zunächst nach einer drastischen Steigerung klingt, sollte jedoch ins Verhältnis gesetzt werden. Eine sechsfache Erhöhung der natürlichen vorkommenden Strahlung ist noch immer verschwindend gering. So sind Passagiere und Crew in Flugzeugen auf einem Flug von Frankfurt nach New York auf einen Schlag etwa fünf Prozent ihrer normalen jährlichen Strahlendosis ausgesetzt. Auch das wird vom BfS selbst für Schwangere und Kinder als unbedenklich eingestuft.

Wenn das Feuer den Reaktor erreicht


"Es ist wichtig, zu verstehen, dass es keinen Schwellenwert gibt, unterhalb dessen Radioaktivität ungefährlich wäre. Jede zusätzliche Strahlenbelastung sollte möglichst vermieden werden", erklärt Alex Rosen. Schließlich könne sich die Strahlenbelastung schlagartig ändern, sollte das Feuer sich ausbreiten und die in der gesamten Sperrzone vergrabenen Lager nuklear verseuchten Materials erreichen, die im Zuge der Bewältigung des Super-Gaus von 1986 auf dem Gelände angelegt werden mussten. Auch der Sarkophag über dem havarierten Reaktorblock Vier, der den Großteil der Strahlung zurückhält, könnte vom Feuer beschädigt werden.

Auf Anfrage unserer Online-Zeitung wollte sich das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) zu diesen Eventualitäten nicht äußern. Eine Sprecherin teilte mit: "Wir werden darüber informieren, sollte sich eine wesentliche Änderung der Situationsbewertung ergeben." Man beobachte die Situation kontinuierlich. Die Lagebewertung des Bundesamtes sehe zurzeit keine Gefahr für Deutschland. Das Bundesamt gibt zu bedenken: "Brächten Windströmungen Luft aus Tschernobyl, die durch die Brände aufgewirbelte radioaktive Stoffe enthält, nach Deutschland, würden sie auf dem langen Transportweg in der Atmosphäre sehr stark verdünnt." Auch mit empfindlichen Messsonden seien bislang keine erhöhten Werte im Bundesgebiet gemessen worden. Das BfS beruft sich hierbei nicht etwa auf Stichproben, sondern auf ein Netzwerk aus 1.800 Messstellen im Bundesgebiet sowie eine der weltweit führenden Stationen zur Messung der atmosphärischen Radioaktivität bei Freiburg in Baden-Württemberg.

Nicht das erste Feuer in der Sperrzone


Das Bundesamt argumentiert weiterhin, dass man sich in der aktuellen Situation auch auf Erfahrungswerte berufen könne: "Waldbrände sind in der Umgebung von Tschernobyl bereits häufiger vorgekommen, zuletzt 2015 und 2017." Selbst bei ungünstigen Wetterverhältnissen und deutlich größeren Bränden als jetzt seien die Auswirkungen auf Deutschland laut dem BfS äußerst gering: "Auch in diesem Fall bestünde keine Gefahr für die Gesundheit der Menschen und für die Umwelt in Deutschland." Bei dem größeren Feuer im Jahr 2017 hielten die Wetterverhältnisse die Strahlung von Deutschland fern. Trotz dass die Feuer größer gewesen seien als die aktuellen Brände, schätzte das BfS die Auswirkungen auf Deutschland im Falle ungünstiger Witterung um das zehn-millionenfache geringer ein als während der initialen Reaktorkatastrophe im Jahr 1986.

Deutschland hilft


Die seit über zwei Wochen andauernden Löscharbeiten schreiten unterdessen auch mit deutscher Hilfe voran. Wie die deutsche Botschaft in Kiew mitteilt, seien rund 15 Kilometer Feuerwehrschläuche und 80 Strahlendosimeter von Deutschland zur Verfügung gestellt worden. Außerdem wurde mit deutscher Hilfe ein auf Waldbrände spezialisiertes Löschfahrzeug angeschafft. Der Gesamtwert der Hilfen betrage demnach 230.000 Euro.


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