Intoleranz gegenüber Kritikern? Bürger Museum spaltet weiter die Gemüter

Ein Rundschreiben des "Erinnerers" Jürgen Kumlehn sorgt für sehr unterschiedliche Reaktionen.

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Bleibt weiterhin Anlass für Diskussionen: das Wolfenbütteler Bürger Museum. Symbolbild
Bleibt weiterhin Anlass für Diskussionen: das Wolfenbütteler Bürger Museum. Symbolbild | Foto: Werner Heise

Wolfenbüttel. Am heutigen Donnerstag hat das Bürger Museum nach langer Corona-Pause wieder geöffnet. Dass das Museum geschlossen war heißt allerdings nicht, dass es still um diese Einrichtung geworden ist. Gab es bereits seit Start des Museums 2017 Kritik an der Einrichtung, verschärfte sich diese zuletzt. In einer Sitzung des Kulturausschusses Ende Juni wurden nun seitens der Verwaltungsspitze inhaltliche Fehler eingeräumt und eine Überarbeitung unter Mitarbeit eines externen Historikers angekündigt (regionalHeute.de berichtete). Doch die Diskussion ist damit nicht beendet.


Jürgen Kumlehn, selbsternannter Erinnerer und einer der Hauptkritiker des Bürger Museums, wandte sich Anfang Juli in einer E-Mail an alle Mitglieder des Rates der Stadt, in der er zum einen den (aus seiner Sicht fehlenden) Diskurs der letzten Jahre rekapituliert, zum anderen aber auch auf die aktuellen Entwicklungen eingeht. Erfreut sei er über die Initiative von Bürgermeister Thomas Pink, der ihn anfangs für seine Kritik angefeindet hätte, falsche und beschönigende Darstellungen nach einer professionellen Bewertung zu verändern. "Schon allein die Abnahme der Tafel `Uniformierte Zeiten´ befreit die Stadt Wolfenbüttel von einer möglichen landesweiten Anprangerung, sie verharmlose oder leugne (zum Teil) `Judenverfolgung´", so Kumlehn. Nach der Fertigstellung aller Texte sei verpasst worden, vor der Herstellung der Tafeln ein Lektorat durch einen dritten Historiker möglichst von außerhalb vorzunehmen.

"Klima der Intoleranz gegenüber Kritik"


Das dreijährige Stillhalten der politischen Gremien mit der Verantwortung für städtische kulturelle Einrichtungen, auch der Museen, habe zu einem Klima der Intoleranz gegenüber Kritik geführt, beklagt Jürgen Kumlehn. Diese sei auch jetzt noch teilweise vorhanden. "Auch das sollte mit dem Ziel aufgearbeitet werden, für die Zukunft eine gemeinsame Sicht auf Wolfenbütteler Geschichte zu entwickeln", fordert Kumlehn. Der
geplante Museums-Beirat könne auch ein Beirat "Geschichte Wolfenbüttels" sein beziehungsweise werden.

Jürgen Kumlehn.
Jürgen Kumlehn. Foto: Anke Donner


Doch das Schreiben sorgte auch erneut für Kritik an Jürgen Kumlehn selbst. Durch die Einleitung, in der es heißt

"Nachdem Herr Adloff und ich im September 2017 nach 98 verlegten Stolpersteinen unser Engagement für diese Erinnerungskultur schweren Herzens mit der Begründung, es gäbe in Wolfenbüttel eine konterkarierende und vom Rat der Stadt tolerierte NS-Beschönigungskultur, beendet hatten, wurden wir nicht nur kritisiert, sondern auch beschimpft - von Ratsmitgliedern, die sich gar nicht die Mühe hatten machen wollen, unsere Aussagen zu überprüfen oder gegebenenfalls zu widerlegen."
fühlt sich Ratsherr Klaus-Dieter Heid (AfD) persönlich angegriffen. "Wenn Herr Kumlehn eine vom Rat tolerierte NS-Beschönigungskultur beschreibt und meint, dass sich Ratsmitglieder nicht einmal die Mühe machten, Kritik zu überprüfen, heißt das ja wohl, dass `der Rat´ die NS-Zeit innerhalb einer `Beschönigungskultur´ toleriert. Mit `Beschönigung´ drückt Herr Kumlehn außerdem aus, dass er offenbar findet, der Rat heißt das furchtbare Verbrechen der NS-Diktatur nicht nur gut, sondern sieht sie als Teil einer `Kultur´, was immer Herr Kumlehn damit auch auszudrücken gedachte", heißt es in einer Pressemitteilung der AfD-Fraktion.

"Ideologisierte Hetze gegen Ratsmitglieder aller Fraktionen"


"Als Mitglied des Rates verwahre ich mich aufs Schärfste gegen diese unverfrorene Unterstellung und hoffe sehr, dass alle Mitglieder des Rates ebenso strikt auf die inzwischen fast krankhaften Attacken des Herrn Kumlehn reagieren", so Heid weiter. Es gebe an der NS-Diktatur nichts zu beschönigen – und es gebe auch keine „Beschönigungs-Kultur“ im Rat der Stadt, beziehungsweise in der Stadt Wolfenbüttel. Alle demokratischen Bürger würden in den Verbrechen des Nationalsozialismus und den Taten Hitlers nur die gelebte Grausamkeit unmenschlicher Menschenverachtung sehen. "Wenn Herr Kumlehn diese Grausamkeiten weiterhin nutzt, um seine politischen Ziele damit zu rechtfertigen, zeugt dies von einem geschichtlichen Missverständnis und von ideologisierter Hetze gegen Ratsmitglieder aller Fraktionen", so Heid abschließend.

Klaus-Dieter Heid.
Klaus-Dieter Heid. Foto: privat


FDP bleibt bei ihrer Kritik an den Kritikern


Auch Ratsherr Rudolf Ordon (FDP) sieht keinen Anlass seine Kritik an den Kritikern des Bürger Museums zurück zu nehmen. Auf Anfrage von regionalHeute.de lässt er wissen: "Die Kritik der Herren Kumlehn/Gottschalk ist überwiegend polemisch, unsachlich und völlig überzogen. Die Tatsache, dass sich der Bürgermeister der Kritik angeschlossen hat, ist kein Beweis für deren Richtigkeit. Er hat der Kritik dadurch eine Bedeutung zukommen lassen, die völlig unangemessen ist."

Rudolf Ordon.
Rudolf Ordon. Foto: privat


Der von der Stadt eingeschaltete Historiker bescheinige dem Museum, dass es insgesamt gut aufgestellt sei. Dass sich einzelne Sachverhalte anders darstellen lassen, sei unbestritten. Ein Museum sei darauf angewiesen, dass es über Exponate mit Bezug zu Wolfenbüttel verfügt, die textlich eingeordnet werden müssten. "Es kann zum Beispiel nicht die gesamte Geschichte der Judenverfolgung oder des Nationalsozialismus darstellen, zumal auch die Ausstellungsfläche begrenzt ist. Wer sich darüber informieren will sollte sich in den Lesesaal der HAB begeben", so Ordon. Es wäre ausreichend gewesen, einzelne Exponate und Textstellen zu überarbeiten oder zu ergänzen.

"Eventuelle Streitigkeiten zukünftig vor Ort austragen"


Die CDU-Fraktion freut sich dagegen darüber, dass nunmehr eine Lösung für das Bürger Museum, also für den Ausstellungs- und Dokumentationsbereich sowie für die Beratung mit Prof. Grieger, gefunden worden sei. "Endlich wird der lange schwelende Streit um das Bürger Museum damit beendet. Die Zukunft des Museums sollte durch die Gründung eines wissenschaftlichen Beirats gesichert werden", erklärt Fraktionsvorsitzender Winfried Pink gegenüber unserer Online-Zeitung. Parteien und Vertreter eigener Interessen sollten diesem Gremium nicht angehören. Der Kulturausschuss müsse angemessen informiert sein und eventuelle Streitigkeiten sollten zukünftig vor Ort und nicht in Hannover oder Berlin ausgetragen werden.

Winfried Pink.
Winfried Pink. Foto: regionalHeute.de


Ursache und Anlass der notwendigen „Weiterentwicklung“ des Bürger Museums Wolfenbüttel seien zutreffend dargestellt worden, da die Zeit der Weimarer Republik, des Dritten Reiches, der Judenverfolgung und –deportation einerseits und der Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg im Museum sehr kurz und in Details auch ungenau dargestellt waren, heißt es seitens der SPD-Fraktion auf unsere Anfrage. Das Grundsatzproblem vor allem historischer Museen, zu denen das Wolfenbütteler Museum gehöre, sei aber: Welches Bild von Geschichte wird vermittelt? "Jede Darstellung muss sich an Quellen ausgewogen nachweisen und aus ihnen begründen lassen und sie hat auch museumsdidaktischen Kriterien nach dem Stand der Wissenschaft zu genügen. Kritik darf und muss sein. Aber auch diese muss sich am Ende an den Standards der historischen Wissenschaft messen lassen", betont Fraktionsvorsitzender Ralf Achilles. Aus diesem Grunde werde die SPD Ratsfraktion die weitere Entwicklung in Bezug auf das Bürger Museum aufmerksam begleiten.

Ralf Achilles.
Ralf Achilles. Foto: regionalHeute.de


"Hart pseudofeministisch kritisiert"


André Owczarek, Mitglied im Kulturausschusses für die Gruppe Linke/Piraten, kann die Kritik Kumlehns an der Passivität der Gremien teilweise nachvollziehen. "Ja, ein gewisses Stillhalten hat es gegeben und ich fühlte mich als früher Kritiker der inhaltlichen Ausgestaltung des Museums ebenfalls geschasst und hart pseudofeministisch kritisiert, als Frau Dr. Donner von `Übergriffigkeit´ meinerseits gegenüber ihrer Arbeit sprach", so der Ratsherr. Seine Gruppe habe ja schon kurz nach Eröffnung des Museums einen Änderungsantrag zu wesentlichen Punkten der Ausstellung eingebracht (regionalHeute.de berichtete).

Leider sei Stadtgeschichte in der Kommunalpolitik ein Orchideenthema und deshalb für Viele nicht von Relevanz, beziehungsweise werde gern Fachleuten ohne kritische Prüfung überlassen. Dabei sei Geschichtsschreibung auch immer ein Spiegel politischer Konflikte der Gegenwart und sollte von Politikern auch politisch betrachtet werden, so Owczarek. "Aber, ich habe den Eindruck, viele Kolleginnen und Kollegen haben nach der externen Kritik an der Ausstellung dazu gelernt. Alle unserer damaligen Kritikpunkte finden sich in den in Kooperation mit Prof. Grieger gemachten Änderungsvorschlägen an der Ausstellung teilweise wortwörtlich wieder. Das war und ist mir am wichtigsten: Die Sache, nicht persönliche Gekränktheit. Man hat es halt immer mit Menschen zu tun und Menschen können eben irren", so der Abgeordnete der Linken.

"Persönliche Eitelkeiten statt eigentlicher Inhalt"


Die meisten Mitglieder des Kulturausschusses hätten sich damals, als es zur Behandlung der Kritik im Ausschuss kam, selbst die Kompetenz abgesprochen, über die Kritikpunkte zu urteilen, so Owczarek weiter. Hinzu komme der teilweise sehr persönliche und polemische Stil, den Herr Kumlehn beim Vortragen von Kritik pflege. "Dies erzeugt bei Personen des öffentlichen Lebens zumeist eine Abwehrhaltung, da man sich in seinem Engagement und seiner Kompetenz geschmäht sieht. Das Problem ist hier, wie bei so vielen politischen Debatten in diesem Land, dass es oft mehr um die persönliche Eitelkeit, als um den eigentlichen Inhalt geht", kritisiert der Ratsherr. Er habe damals versucht, die Debatte zu versachlichen, aber da seien die Fronten schon verhärtet, die Köpfe nicht mehr offen, für eine Prüfung der Sache an sich gewesen.

Und: "Niemand lässt sich im Angesicht der Millionen Toten durch Shoa und Porajmos, politischer Verfolgung und Angriffskrieg gern vorwerfen, er beschönige dies direkt oder indirekt. Das Ganze lief einfach sehr unglücklich, mit einem sachorientierteren Vorgehen hätte sich vielleicht schon früher etwas bewegt. Jetzt kann man nur selbstkritisch lernen und in sich gehen. Der Sache ist – wenn auch mit Verspätung und einem herben Nachgeschmack – ja endlich gedient", erklärt André Owczarek.

"Auf die Neutralität des Museumbeirates achten"


Für die Grüne Ratsfraktion hat der Blick in die Zukunft des Bürgermuseums absolute Priorität. "Die Umsetzung der detaillierten Beschlussvorlage der Verwaltung zu der - wie nach der regional wie überregional geäußerten Kritik an den Ausstellungsinhalten - notwendigen sensiblen Überarbeitung der Ausstellung durch Prof. Dr. Grieger gemeinsam mit der Museumsleitung, erscheint uns als der richtige Weg", erklärt Fraktionsvorsitzende Ulrike Krause. "Wir begrüßen auch die Installation eines Museumbeirates, dessen Zusammensetzung sich durch Fachleute – Historiker und Geschichtswissenschaftler - auszeichnen wird – ähnlich wie der Gestaltungsbeirat im Baubereich. Diese Neutralität eines Beirates gilt es zu adaptieren – insbesondere bei der fachlichen Begleitung im Ausstellungsbereich des Bürgermuseums.", so die Grünen weiter.

Die Politik solle in Zukunft über die Inhalte der Gespräche im Beirat zeitnah informiert werden und somit an der Umgestaltung teilhaben, ohne selbst aktiv in diesen andauernden Prozess der Veränderungen eingebunden zu werden – auch diese Entscheidung finde die Zustimmung der Grünen. "Wir möchten mit einem Zitat von Immanuel Kant abschließen: `Ohne Sinnlichkeit würde uns kein Gegenstand gegeben, und ohne Verstand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.´(Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft.)"


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