Länderübergreifendes Zentralabitur – Reaktionen




[image=5e1764ce785549ede64cd023]Die heutige Ankündigung von Kultusminister Dr. Bernd Althusmann, ab 2014 ein länderübergreifendes Zentralabitur einzuführen, hat landesweit zu Kritik geführt. Wir veröffentlichen die Reaktionen nach Reihenfolge des Posteinganges ungekürzt und unkommentiert:

Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft – GEW:
Nun reicht’s, Herr Althusmann


„Eine neue Beschäftigungstherapie für die Oberstufen an Gymnasien und Gesamtschulen hat sich Kultusminister Dr. Althusmann ausgedacht, als hätten wir nicht gerade die curriculare Planung für G8 und die Umsetzung der Kerncurricula mit den neuen Schullehrplänen hinter uns gebracht“, kritisiert Henner Sauerland, Gymnasialvertreter der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im Schulhauptpersonalrat. In einer am Sonntag, dem 26. Februar, herausgegebenen Pressemitteilung teilt das Niedersächsische Kultusministerium mit, dass ab 2014 in sechs Bundesländern in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik die gleichen Abituraufgaben gestellt werden sollen. Die Prüfungstermine sollen vereinheitlicht werden. Neben Niedersachsen beteiligen sich noch die drei weiteren derzeit von der CDU dominierten Regierungen von Bayern, Sachsen und Schleswig-Holstein, sowie Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern. „Wenn dieser Beschluss nicht durch Neuwahlen verhindert wird, bekommen wir ein schwarzes Abitur nach dem Muster von Bayern und Sachsen“, warnt Eberhard Brandt, Landesvorsitzender der GEW. Die Bundesländer mit erkennbarem sozialdemokratischen und grünen schulpolitischen Profil machten aus guten Gründen nicht mit. Dabei müsse es auch bleiben.

Schon ab April dieses Jahres sollen die ersten Musteraufgaben in den Schulen bearbeitet werden. Im 3. Kurshalbjahr im Herbst 2013 soll in den drei Fächern eine zentral festgelegte Klausur geschrieben werden. „Durch die Vorgaben des niedersächsischen Zentralabiturs wird unser Unterricht schon kleinteilig gegängelt. Nun kommen zusätzliche Vorgaben, die unsere Arbeit pädagogisch weiter einschränken. Diese Entwicklung geht in die falsche Richtung“, so Henner Sauerland. Durch die Hintertür der zentralisierteren Prüfungen würde die mit der eigenverantwortlichen Schule ursprünglich propagierte Gestaltungsfreiheit wieder zurückgenommen. Die landesweite Personalrätekonferenz der Gymnasien und Gesamtschulen am Mittwoch, dem 22. Februar, hatte die Position der GEW bekräftigt, dass die gymnasialen Oberstufen mehr Gestaltungsfreiheit und mehr Zeit bekommen müssen, damit wissenschaftspropädeutisches Arbeiten wieder im Vordergrund stehen kann und die faktenhuberische Hetze abgebaut wird.

„Es ist ein Irrtum, über die stärkere Zentralisierung von Prüfungen zu einer besseren Vergleichbarkeit der Studierfähigkeit zu kommen. Stärkere Zentralisierung bedeutet zumeist, dass der Anforderungsbereich I, also das einfache Reproduzieren, in der Prüfung und damit auch im Unterricht eine größere Bedeutung erhält. Wissenschaftspropädeutik ist aber mehr im Bereich des selbstständigen methodischen Arbeitens, des Vergleichens und des Bewertens, also in den Anforderungsbereichen II und III verortet“, erläutert der GEW-Schulexperte Sauerland, der über langjährige Erfahrungen als Koordinator der gymnasialen Oberstufe verfügt und die Entwicklung der Abiturprüfungen beobachtet. Es sei bedauerlich, dass sich der Kultusminister aus populistischen Gründen an schlichten Vorstellungen orientiere, die letztlich dazu führen dürften, dass das Niveau des Unterrichts an den niedersächsischen Oberstufen sinkt.

Der GEW-Landesvorsitzende Brandt bemängelt, dass der Kultusminister sich in einer solch wichtigen Frage nicht im Vorfeld mit Sachverständigen aus der Schulpraxis beraten hat.

Verantwortlich: Richard Lauenstein”

Bündnis90/Grüne Landtagsfraktion
Sechs-Länder-Abi „purer Aktionismus“


Als “puren Aktionismus” hat die schulpolitische Sprecherin der Landtagsgrünen Ina Korter den Plan von Kultusminister Althusmann kritisiert, ab 2014 mit fünf anderen Bundesländern gemeinsame Abituraufgaben vorzulegen. “Erst sollten die Probleme mit dem Turbo-Abi gelöst werden, bevor der Minister sich neue Aufgaben vornimmt”, sagte die Grünen-Politikerin heute (Montag) in Hannover.

Statt den Schulen schon wieder neue Prüfungsvorgaben zu machen, sollte Niedersachsen die beschlossenen, länderübergreifenden Bildungsstandards umsetzen, forderte Korter. “Zentralismus allein löst weder Gerechtigkeits- noch Qualitätsprobleme.” Es sei zu befürchten, dass durch eine weitere Vereinheitlichung der Prüfungen die Schulen die pädagogischen Freiräume verlören und dringend benötigte kreative Begabungen und innovative Köpfe durch das Raster fallen.

Wer ein länderübergreifendes Kernabitur fordere, müsse konsequenterweise auch sagen, dass die Aufgaben von einer externen Prüfungskommission gestellt und die Abiturarbeiten extern korrigiert und bewertet werden müssten. Korter: “Dafür müssen dann auch zusätzliche Mittel bereitgestellt werden.”

FDP Landtagsfraktion
„Wer Länder-Abi als Aktionismus empfindet, wurde im Sportunterricht auch immer als Letzter gewählt“


[image=5e1764c5785549ede64cce56]Der FDP-Bildungspolitiker Björn Försterling aus Wolfenbüttel hat kein Verständnis für die Kritik von Opposition und GEW am länderübergreifenden Abitur. „Eltern und Abiturienten wollen eine bundesweite Vergleichbarkeit des Abiturs, dem muss die Politik gerecht werden”, sagt Försterling. Dabei müssten sich die niedersächsischen Abiturienten nicht verstecken. „Wir haben das Niveau in den vergangenen Jahren deutlich angehoben und sind damit auch dem Anspruch der Eltern gerecht geworden: Sie fordern zu Recht Spitzen- und nicht nur Mittelklasse.“

Die Kritik des GEW-Vorsitzenden an den Abiturprüfungen in CDU/FDP-regierten Ländern empfindet der bildungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion dagegen als Lob: „Lieber ein anerkanntes und respektiertes schwarz-gelbes Abitur wie in Niedersachsen, Bayern und Sachsen als ein rot-grünes Ramsch-Abitur“, meint Försterling. Die Kritik der GEW-Funktionäre und der Opposition mache deutlich, dass sie das Leistungsniveau der niedersächsischen Schulen wieder auf den Stand der neunziger Jahre zurückfahren wollten. Aber:„Die Zeiten des Bremer Niveaus sind ein für allemal vorbei – das zeigt jeder Pisa-Test“, macht der FDP-Bildungspolitiker deutlich.

Die jetzt bekannt gegebene schrittweise Einführung des länderübergreifenden Abiturs sei kein Aktionismus. „Im April 2012 beginnen die ersten Übungsklausuren, im Herbst 2013 gibt es identische Aufgaben für Klausuren und im Jahr 2014 identische Aufgaben im Zentralabitur. Wer eine Einführungsphase von zwei Jahren als Aktionismus empfindet, der wurde im Sportunterricht bestimmt auch immer als Letzter gewählt.“

SPD Landtagsfraktion
Sechs-Länder-Abitur: Althusmann braucht neues Vorzeigeprojekt


Zur Idee des niedersächsischen Kultusministers Bernd Althusmann, ab 2014 ein sogenanntes Sechs-Länder-Abitur einzuführen, erklärt die stellvertretende Vorsitzende und schulpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Frauke Heiligenstadt:

„Minister Althusmann setzt seine Politik der Experimente im Schulbereich fort. Schon wieder müssen sich Niedersachsens Schülerinnen und Schüler nach Turboabitur und Oberschule auf tiefgreifende Neuerungen einstellen. Sie werden erneut zu Versuchskaninchen gemacht, weil der Minister im letzten Jahr seiner Amtszeit noch ein Vorzeigeprojekt braucht.

Abiturienten in sechs Bundesländern sollen am selben Tag in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik dieselben Prüfungsaufgaben vorgelegt bekommen. Damit soll eine Vergleichbarkeit der Abiturnoten herbeigeführt werden. Diese Vergleichbarkeit ist aber nur vordergründig gegeben, da die Ausgangslagen in den sechs Ländern vollkommen unterschiedlich sind. Wer glaubt, dass diese Vergleichbarkeit der Qualitätssteigerung dient, der irrt, weil dafür die Grundlage fehlt.

Grundlage für eine Vergleichbarkeit von Abiturnoten müssen gleiche Bildungsstandards sein. Die Lern- und Arbeitsbedingungen, wie zum Beispiel Klassengrößen und Ausstattung von Ganztagsschulen, müssen vergleichbar sein. Und hier gibt es noch etliche Hausaufgaben vonseiten Herrn Althusmanns zu machen. Hier hat er in seinem eigenen Bundesland schon nicht für Verbesserung gesorgt.“

Philologenverband Niedersachsen
Voraussetzungen zur Vergleichbarkeit des Abiturs schaffen


In einer ersten Stellungnahme hat der Philologenverband Niedersachsen seine grundsätzliche Auffassung bekräftigt, dass die Vergleichbarkeit von schulischen Leistungen und Abschlüssen eine Frage der Gerechtigkeit und damit ein hohes Ziel sei, das im Interesse der Schülerinnen und Schüler konsequent verfolgt werden müsse.

Die Sprecherin des Philologenverbandes Niedersachsen, Helga Olejnik, wies darauf hin, dass die seit langem geplanten ländergemeinsamen Aufgabenteile bereits jetzt Standard in Niedersachsen seien. Daher sei nicht zu befürchten, dass durch die neue Vergleichbarkeit in Teilbereichen die Schülerinnen und Schüler in Niedersachsen benachteiligt würden; vielmehr seien sie eher Nutznießer der beabsichtigten neuen Regelungen. Das niedersächsische Zentralabitur habe schon bisher unter Beweis gestellt, dass die Schülerinnen und Schüler der Gymnasien durch den guten Unterricht der Lehrkräfte bestens auf die Abituranforderungen vorbereitet wurden, was sich auch in den Ergebnissen des Doppelabiturs 2011 widergespiegelt habe. Das werde auch künftig so bleiben.

Voraussetzung dafür sei allerdings, dass in Niedersachsen die Lern- und Arbeitsbedingungen in den Schulen grundlegend verbessert würden. Vordringlich sei dabei, die Zahl der Stunden in einem Abiturfach bis zum Abitur der in anderen Ländern anzugleichen und Inhalte abzustimmen, die Lehrkräfte von unterrichtsfremder Arbeit zu entlasten und die Klassenund Kursfrequenzen deutlich zu senken. So sei es beispielsweise dringend notwendig, in der 10. Jahrgangsstufe die viel zu hohen Klassenfrequenzen endlich wieder deutlich zu reduzieren, um bessere Voraussetzungen für die Arbeit in der Oberstufe und im Abitur zu schaffen.


DIE LINKE: Sechs-Länder-Abitur ist unnötiger Zentralismus – Tourismus in Niedersachsen könnte geschwächt werden


DIE LINKE im Landtag hält nichts von den Plänen des niedersächsischen Kultusministers Bernd Althusmann, ein länderübergreifendes Abitur einzuführen. Nach den Plänen Althusmanns sollen ab 2014 in Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen und Bayern die gleichen Abituraufgaben in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik gestellt werden. „Eine solche Gleichmacherei führt zu einer Niveauabsenkung und zur Konzentration auf wenige, zentral vorgegebene Themen“, kritisierte Christa Reichwaldt, die bildungspolitische Sprecherin der Fraktion. Es würde dann künftig noch mehr um Faktenwissen gehen und eigene, regionale Schwerpunkte würden wegfallen. Aus Sicht von Reichwaldt war schon das niedersächsische Zentralabitur ein Schritt in die falsche Richtung: „Die Schulen sollen eigene Schwerpunkte entwickeln und auf die Interessen der Schülerinnen und Schülern eingehen können – das steigert die Motivation und damit den Lernerfolg“. Reichwaldt warb für mehr Vertrauen in die Lehrerinnen und Lehrer, die ihren Schülern auch ohne Zentralabitur die nötigen Kompetenzen vermitteln könnten.

Die Bildungsexpertin wies außerdem auf die Auswirkungen für die Sommerferien der betroffenen Länder hin. Wenn alle sechs Bundesländer – darunter alle Nordländer außer Bremen – das gleiche Abitur machen sollen, müssten sie auch zeitgleich Sommerferien haben. Das führt nach Ansicht der Linksfraktion nicht nur zu überfüllten Autobahnen und Zügen, sondern schade auch dem Tourismus zwischen Harz und Küste. „Wenn sechs Bundesländer zeitgleich Ferien haben, werden die Hotels und Pensionen einen sechswöchigen Ansturm erleben und den Rest des Sommers ihre Zimmer schlechter vermieten können“, befürchtet Reichwaldt.



Foto: Nds. Kultusministerium


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