Rede von Kreszentia Flauger zum Haushaltsentwurf




Wir veröffentlichen die Rede der Fraktionsvorsitzenden der Linken ungekürzt und unkommentiert:


Herr Präsident, meine Damen und Herren,

die US-Raumfahrtbehörde NASA hat in diesen Tagen eine bedeutsame Mitteilung gemacht: Das Weltraumteleskop Kepler hat einen erdähnlichen Planeten in der sogenannten bewohnbaren Zone eines sonnenähnlichen Sterns gefunden. Kepler-22b umrundet eine Sonne, die kleiner und kühler ist als unsere und die sich nur etwa 600 Lichtjahre entfernt befindet. Kepler-22b könnte die Vermutung bestätigen, dass es in unserer Galaxie viele bewohnbare Planeten gibt. Vielleicht war also nicht alles umsonst und es gibt da draußen irgendwo eine Welt, auf der diese schwarz-gelbe Haushaltspolitik Sinn macht. Unsere ist es nicht, aber geben Sie die Hoffnung nicht auf! Hier auf der Erde, in Niedersachsen, kann man nur feststellen: Diese Koalition, die als glänzende Rakete 2003 gestartet schien, kommt nun als Weltraumschrott zurück. In allen Politikfeldern nichts als ausgebrannte Trümmer, jedes einzelne eine Bedrohung für die Menschen in Niedersachsen! Wir haben uns eingehend mit dem von ihnen vorgelegten Haushalt beschäftigt. Dieser Haushalt vertieft die soziale Ungerechtigkeit und verweigert gleiche Bildungschancen für alle. Er verhindert eine wirkliche Energiewende und ist wieder einmal ein Haushalt gegen die Kommunen. Immerhin: Diesen Haushaltsentwurf umweht ein Hauch des Abschieds, Herr Ministerpräsident – wir lehnen ihn trotzdem ab.

Wenn es eines weiteren Beweises bedurfte, dass Niedersachsen einen sozialen Kurswechsel braucht, dann ist es dieser Haushalt. Die Lage ist ernst: Dies ist der erste Haushalt des Landes Niedersachsen seit 1948, bei dem wir nicht mit Sicherheit sagen können, ob er in der gleichen Währung, in der er aufgestellt ist, auch abgeschlossen wird. Diese Tatsache allein hätte Ihnen zu denken geben sollen: Zum jetzigen Zeitpunkt, vor dem Hintergrund der Eurokrise, des drohenden realwirtschaftlichen Einbruchs in der gesamten Welt und dramatischer Schwankungen bei den Staatseinnahmen, tun diese Landesregierung und der Koalitionsfraktionen so, als könnten sie ernsthaft bis 2013 belastbare Zahlen für einen Doppelhaushalt annehmen. Sie tragen hiermit die Grundsätze von Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit zu Grabe. Ihre parteipolitische Rechnung, durch den Doppelhaushalt ihr finanzpolitisches Versagen aus dem Wahlkampf heraushalten zu können, wird nicht aufgehen, da können Sie sich jetzt schon sicher sein. Ich sage Ihnen, dieses Zahlenwerk wird Makulatur sein, bevor es gedruckt vorliegen wird. Wir sind schon gespannt auf die Beratungen zu den Nachtragshaushalten in den kommenden zwei Jahren.

Die Krise, die seit 2008 uns alle in Atem hält, wurde von dieser Landesregierung schon für beendet erklärt. Ich erinnere Sie nur an all das Gerede hier im ersten Halbjahr vom „Aufschwung XXL“, mit dem Schwarz-Gelb im Bund und im Land versucht haben, Stimmung zu machen. 2012 wird es im besten Fall Wachstum XXS geben - noch wahrscheinlicher ist eine Rezession für mindestens 2 Quartale so die Financial Times von gestern. Sie haben für diesen Fall keine Vorsorge getroffen. In den vergangenen Jahren wäre es ihre Aufgabe gewesen, die Einnahmebasis des Landes deutlich zu stärken und ein Polster zu schaffen. Wir haben dazu auch in diesem Jahr wieder konkrete Vorschläge gemacht: Deutschland braucht wieder eine echte Vermögenssteuer, wir brauchen eine Großerbensteuer, die ihren Namen verdient, und eine Finanztransaktionssteuer.

Aber selbst, wenn Sie uns steuerpolitisch nicht zustimmen können, dann hätten Sie doch zumindest Maßnahmen ergreifen können, die jetzt bestehenden Steuern effizient einzutreiben. Aber auch in diesem Bereich haben Sie völlig versagt. Wir fordern Sie auf: Stärken Sie endlich die Finanzämter personell so, dass vernünftig geprüft werden kann. Allein hier gehen dem Land Niedersachsen jedes Jahr 300 Millionen Euro verloren. Es gibt ohnehin kaum FDP-Wähler mehr – hören sie auf für dieses Rest-Klientel Steuereintreibungsverhinderungspolitik zu betreiben. Als einzige Fraktion haben wir als LINKE erneut einen durchgerechneten Alternativhaushalt vorgelegt. Einen Haushalt ohne neue Schulden. Wir werden Ihnen in den kommenden Tagen vorrechnen, wie aus diesem Haushalt ein echter Teilhabehaushalt werden könnte.



Die Finanzkrise wird die soziale Krise verschärfen: Immer mehr Menschen leben in Niedersachsen an der oder unter der Armutsgrenze. Wir wollen auch mit Landesmitteln kommunale Sozialtarife und Teilhabepässe fördern. Es muss Schluss damit sein, dass in diesem Land der Zugang zu Mobilität und öffentlich finanzierten Kultur- und Sporteinrichtungen vom Geldbeutel abhängt. Wir werden Ihnen in den kommenden Tagen vorrechnen, wie aus diesem Haushalt ein echter Haushalt für Arbeit werden könnte. Hinter uns liegt ein Jahrzehnt der fallenden Löhne. Die sinkenden Arbeitslosenzahlen sind vor allem der Ausweitung der prekären Beschäftigung zurückzuführen. Wir brauchen endlich ein Landesprogramm gegen Langzeitarbeitslosigkeit. Wir brauchen einen niedersächsischen öffentlichen Beschäftigungssektor. Wir werden Ihnen in den kommenden Tagen vorrechnen, wie aus diesem Haushalt ein echter Haushalt für Bildung werden könnte. Beenden Sie mit uns die Ära der Studiengebühren und beenden Sie die unselige Blockade für Gesamtschulen. Und wir werden Ihnen in den kommenden Tagen vorrechnen, wie aus diesem Haushalt ein echter Haushalt für eine Energiewende werden könnte. Gerade hier haben wir von Ihnen mehr erwartet. In keinem anderen Politikbereich ist das Scheitern dieser Landesregierung so sehr mit dem Ministerpräsidenten persönlich verbunden.



Herr McAllister, Sie haben in einer Regierungserklärung nach Fukushima das Hohelied des geläuterten Atomkraftbefürworters gespielt und die Energiewende in den Mittelpunk ihres Regierungsprojektes gestellt. Jetzt können wir feststellen: Sie haben nicht geliefert. Gorleben wird weiter erkundet – und die sogenannte weiße Landkarte Herr Röttgens mag weiß sein, aber ihr Umriss entspricht unseren Landesgrenzen. Sie ist das Toilettenpapier für das Atomklo Niedersachsen – nichts weiter. Sie können sich weder in Niedersachsen noch im Bund durchsetzen, wenn es um eine Energiewende für Niedersachsen geht. Das ist ein Skandal. Sie regieren Niedersachsen jetzt seit Sommer 2010. Vorher waren sie jahrelang der Kronprinz Christian Wulffs. Ich hätte mir im Traum nicht vorstellen können, dass Sie in den ganzen Jahren der Vorbereitung nicht den Funken einer Idee entwickeln würden, was Sie denn politisch umsetzen würden, wenn Sie das Amt des Ministerpräsidenten antreten würden. Was mir an ihrer Regierung als Erstes ins Auge fällt, ist die unheimliche Diskrepanz zwischen der Größe der politischen Aufgabe und dem Format der Verantwortlichen im Kabinett und in den Koalitionsfraktionen.



Und ich erspare mir an dieser Stelle mal jedweden Kommentar über Hans-Heinrich Sander, der es uns zum Abschied abgenommen hat, seinen designierten aber durchsetzungsunfähigen Nachfolger so lange am Nasenring durch die Manege zu führen, dass er mit politischem Totalschaden im Amtssessel ankommen wird. Ich erspare mir auch jedwede Polemik gegen Bernd Althusmanns Vorgehen in Honorarfragen als Musterbeispiel dafür, dass das Versagen ihrer Landesregierung in einzelnen Bereichen so weit geht, dass es zu Massenermittlungen durch die Staatsanwaltschaften führt. Und ich erspare mir jeden Hinweis auf Herrn Bode, den sie in der Auseinandersetzung ums VW-Gesetz am besten im Keller der Staatskanzlei verstecken – da kann er dann vom Verkauf der VW-Anteile träumen.

Nein, ich komme mal zu einem aktuellen Thema, dass mich seit Tagen aufregt: Am Freitag wird dieser Landtag mit den Stimmen aller Fraktionen auf Antrag des Präsidenten eine Resolution des Landtages verabschieden, den Rechtsterrorismus zu ächten und seiner Opfer zu gedenken. Diese Resolution ist in einer Reihe von Landtagen – sogar in Sachsen – als gemeinsamer Antrag aller demokratischen Fraktionen gestellt worden. Vielfach begleitet von engagierten Regierungserklärungen wie von der thüringischen CDU-Ministerpräsidentin Lieberknecht.

In Niedersachsen war dies nicht möglich. Hier haben CDU und FDP eine gemeinsame Resolution verhindert, weil sie auch in dieser außerordentlichen Situation ihre Ausgrenzung der Linken als wichtiger erachtet haben, als ein gemeinsames Signal aller Demokraten zu senden. Ich finde dies unfassbar peinlich und würdelos. Ich danke dem Präsidenten für den von ihm gewählten Ausweg.



Das Verhalten der CDU hat Methode: Die von ihnen geführte Regierung und ihr Innenminister sehen sich als das letzte Aufgebot des wahren Konservativismus. Wenn wir daher auch das Versagen der von Ihnen zu verantworteten Sicherheitsbehörden diskutieren müssen, dann werden wir eine Metapher dabei heute hier zu Grabe tragen. Diese Regierung ist nicht auf dem rechten Auge blind – sie hat das rechte Auge weit offen, und zwar auf der Suche nach Wählern am rechten Rand. Bei Innenminister Schünemann ist es wie bei jedem anderen Kettenhund auch: Das Problem beginnt am oberen Ende der Leine. In diesem Jahr haben wir gelernt, sie sind in Wirklichkeit nur ein Ministerpräsidentendarsteller. Das Staatstragende ist eine Maske, hinter der sich der frustrierte Jungunionist verbirgt, der merkt, dass der politischen Rechten in Deutschland die Räder vom Wagen abgekommen sind. Was bleibt denn noch nach Atomausstieg, Abschaffung der Wehrpflicht und nun der Mindestlohndebatte? Wir könnten in Deutschland so viel weiter sein, wenn wir nicht 20 Jahre hätten warten müssen, bis die CDU bereit war, die Augen für die Wirklichkeit zu öffnen.



Das ist die Lage vor dieser Haushaltswoche: eine überforderte Regierung, ein Ministerpräsident, der die Menschen aus dem Auge verloren hat, und eine Politik, die soziale Härten verschärft, weil sie dem ideologischen Wahn anhängt, dass Kürzungen zu Wachstum führen. Ich halte nicht viel von historischen Vergleichen. Dennoch ist es denkwürdig, wie viele Autoren gerade die frühen Dreißigerjahre bemühen. Ich möchte dazu Mark Twain zitieren: „Geschichte wiederholt sich nicht. Aber sie reimt sich“.

Mit diesem Ministerpräsidenten, dieser Regierung und diesem Haushalt liegt ein schweres Jahr vor Niedersachsen. Herr McAllister, Ihre Verunsicherung ist spürbar – einen umfassenden Entwurf für Regierungshandeln können sie nicht mehr definieren. Sie tarnen ihre Ratlosigkeit mit der Maske des Bürgerlichen. Aber es bleibt eine Maskerade. In etwas mehr als einem Jahr hat der Spuk ein Ende: Dann werden sie abgewählt – und zwar deutlich.



Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.


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