Versteckt im Wald: Querdenker betreiben Kaderschmiede in der Region

In einem alten Schullandheim nahe des Örtchens Lüsche hat sich der Verein Gaudium in Vita niedergelassen. Dessen Vorsitzende ist nicht nur Verschwörungstheoretikerin, auf den Gelände wird auch nach einer rechtsextremen russischen Pädagogik gelehrt.

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Nicole Wolf (rechts) auf einer Querdenkerdemo in Gifhorn.
Nicole Wolf (rechts) auf einer Querdenkerdemo in Gifhorn. | Foto: isso.media

Lüsche. Mitten im Landkreis Gifhorn, versteckt hinter Zäunen und jeder Menge Grün, versucht der Verein Gaudium in Vita nach eigener Aussage neue Lernmethoden, ganz ohne Noten oder Disziplin, zu erforschen. Die Fassade des angeblichen Forschungsinsituts bröckelt jedoch wenn man näher hin sieht: Im ehemaligen Schullandheim in Lüsche haben sich Rechtsextreme und Querdenker eingefunden, die versuchen das staatliche Bildungssystem zu umgehen. Grundlage ist eine von der russischen Regierung finanzierte, esoterische Bildungsideologie.



Das ehemalige Schullandheim in Lüsche liegt etwa 30 Minuten Autofahrt von Gifhorn entfernt. Wo früher Klassenfahrten ihr Ziel fanden, hat heute der Verein "Gaudium in Vita", was soviel bedeutet wie "Freude am Leben", eine Niederlassung. Der in Österreich ansässige Verein hat sich nach eigenen Angaben dem "freien Lernen" verschrieben, wolle alternative Formen der Kinder- und Jugendlichenbildung finden, die ihrer Überzeugung nach dem deutschen Bildungssystem abgehen. Dafür betreibt der Verein ein selbsterklärtes Forschungsinstitut und bietet interessierten Eltern Anträge an, mit denen sie ihr Kind aus der regulären Schule nehmen können. Das sei legal, so der Verein. Das Kultusministerium sieht das allerdings anders. Gaudium in Vita erklärt auf Anfrage von regionalHeute.de aber, dass das sein eigenes Gesetz schlicht falsch interpretiere. Vorsitzende des Vereins ist Nicole Wolf, die in der Vergangenheit auf Querdenker-Demonstrationen als Rednerin auftrat. Ihr werden auch Kontakte in die rechtsextreme Szene nachgesagt. Dazu passt, was im Schullandheim praktiziert wird: Die russische Schetenin Pädagogik.

Lehren aus dem Kreml


Die Schetinin-Pädagogik ist eine "Reformpädagogik", die in 1980er-Jahren in der damaligen Sowjetunion aufkam. Kernpunkte der Lehre laut eigener russischer Seite im Internet: "die geistige Wiederbelebung Russlands, der Dienst am Vaterland, der Dienst am Menschen." In den Schulen, die innerhalb der russischen Föderation liegen, werden Wehrübungen abgehalten, immer wieder bedanken sich laut Betreibern des Projektes hohe Militärs für die Vorausbildung und seit 2010 fördert der Kreml auf Initiative Vladimir Putins hin diese Schulen im eigenen Land. Auch körperliche Züchtigung soll in den Schulen gang und gäbe sein.

Davon will der Verein "Gaudium in Vita" aber nichts wissen. Ja, eine Organisation namens ISKA arbeite auf dem Gelände in Lüsche nach der Schetinin-Pädagogik, nicht aber nach diesen Grundsätzen. Stattdessen konzentriere man sich auf die "intrinsische Motivation" der Schüler. Auch sogenannte Anleiter, die die Lehrer aus regulären Schulen ersetzen solle, bilde man selbst nicht aus, behauptet der Verein. Das übernehme der Verein ISKA, der nach Angaben von Gaudium in Vita bisher Seminare zur solidarischen Landwirtschaft, Permakultur und Gehirntraining angeboten habe. Aber auch Kurse für die Schetinin-Pädagogik führe ISKA in Lüsche, nach Angaben des Vereins ganz ohne körperlichen Drill oder Nationalismus. Dinge, die vom Gründer dieser Pädagogik jedoch als Kernelement der Lehre definiert werden. Wer laut einer Einladung, die regionalHeute.de vorliegt, bereit ist, 1.350 Euro für einen Teil des Seminars zu bezahlen, wird sich davon selbst überzeugen können.

Ein angebliches Forschungsinstitut


All das geschieht unter dem Deckmantel eines angeblichen Forschungsinstituts, das Gaudium in Vita gegründet haben will. Nun ist das Wort Institut kein geschützter Begriff und kann theoretisch von jeder Organisation genutzt werden. Gaudium in Vita nutzt diese Gesetzeslücke und bietet auf ihrer Website einen Antrag an, mit dem Eltern ihre Kinder angeblich aus der Schule nehmen können. Die Kinder würden an einem "Experiment" teilnehmen und könnten dafür von der Schule freigestellt werden - gedeckt von der Forschungsfreiheit. Im Kultusministerium weiß man davon allerdings nichts. In Hannover habe man keine Informationen über den Verein, die über die öffentlich zugänglichen Quellen hinausgehen. Man weist darauf hin, dass für alle Kinder, Experiment hin oder her, die Schulpflicht gelte. Das bestätigt auch der Landkreis Gifhorn. Eine Befreiung muss vom regionalen Landesamt für Schule und Bildung erteilt werden.

Da, so glaubt Gaudium in Vita, würden Landkreis und Land ihre eigenen Gesetze falsch verstehen. Man beruft sich auf Artikel 5 des Grundgesetzes, der eine Meinungs- und Forschungsfreiheit garantiert. Auch die Bonner Erklärung aus dem Jahr 2000 bestärkt nach Überzeugung des Vereins ihr Anliegen. In ihr wird nachdrücklich ein Bekenntnis zur Forschungsfreiheit formuliert. In Artikel 5 des Grundgesetzes heißt es aber auch: "Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre". Darauf geht Gaudium in Vita in seiner Antwort auf die Anfrage dieser Onlinezeitung nicht ein. Viel mehr sieht man sich im Recht. Für ihr angebliches Experiment sei es sehr wohl gerechtfertigt, Kinder aus der Schule zu nehmen. Es herrsche immerhin Forschungsfreiheit. Anerkannt ist das angebliche Forschungsprojekt übrigens nicht. Ein Antrag auf Anerkennung, so eine Sprecherin von Gaudium in Vita, widerspreche bereits der Forschungsfreiheit.

Verbindungen ins rechtsextreme Milieu?


Vorsitzende des Vereins ist derweil Nicole Wolf. Wolf, die laut Medienberichten in verschiedenen Kleinstparteien immer wieder durch rechtsextreme Ansichten aneckte, moderierte im Februar eine Querdenkerdemonstration in Gifhorn, mit dabei waren Szenegrößen wie die Ärzte für Aufklärung und Bodo Schiffmann, der mittlerweile wegen Volksverhetzung angeklagt ist. Wolf gilt als gut vernetzt in der rechtsextremen Szene, auch wenn sie selbst und der Verein das bestreiten. Zumindest in Sachen Verschwörungstheorien scheint Wolf aber vorn mit dabei zu sein: In einem Video aus dem Jahr 2020, damals noch Mitglied der ÖDP, wettert sie etwa gegen den Ausbau des 5G-Netzes, weil das angeblich die Strahlenbelastung der Bevölkerung erhöhe und somit gesundheitsschädlich sei. Folgerichtig, so Wolf in diesem Video, sei 5G "digitaler Hausfriedensbruch mit Körperverletzung".

In anderen Bundesländern, wie Baden-Württemberg und Bayern, wurden bereits ähnliche Einrichtungen geschlossen. Es habe sich um illegale Schulen gehandelt, die die Schulpflicht untergraben hätten. Alle hatten Verbindungen zum Querdenkermilieu. Einer Gefahr, der sich Gaudium in Vita nicht ausgesetzt sieht. Für den Verein aus Lüsche ist es der Staat, der seine eigenen Gesetze nicht versteht. Gaudium in Vita hat nämlich eine ganz eigene Lesart: "Entgegen der Lesart der Ministerien ist Schulpflicht nach unserer Lesart die Pflicht des Staates, ein allen Kindern und Jugendlichen zugängliches Schulwesen zu gewährleisten, wofür er (der Staat) die Aufsicht hat. Keineswegs beinhaltet o.g. Formulierung die Pflicht der Kinder und Jugendlichen, dieses in Anspruch zu nehmen und eine Schule zu besuchen", schreibt der Verein in seiner Antwort auf unsere Anfrage. Wer am Ende Recht behält, bleibt wohl abzuwarten. Die besseren Karten hat hier aber wohl das Land.


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