Archivalie des Monats Januar: Monatsschrift Polen berichtete erste Fahrt nach Auschwitz

Monatsschrift Polen berichtet über die erste Fahrt der Aktion Sühnezeichen nach Auschwitz. Es war die erste Gruppe Jugendlicher aus der Bundesrepublik Deutschland die 1968 das KZ besuchte.

In der Monatsschrift ist zu sehen, wie die Jugendlichen Hand anlegten.
In der Monatsschrift ist zu sehen, wie die Jugendlichen Hand anlegten. | Foto: Monatsschrift Polen, Nr. 161 (1968, H. 1), S. 14f.

Wolfsburg. Über eine besondere Form des Erinnerns, eine aktive Auseinandersetzung mit jenem symbolhaften Ort des Grauens, berichtete in der ersten Ausgabe des Jahres 1968 die in Warschau erscheinende Monatsschrift Polen, die Archivalie des Monats Januar des Instituts für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation. Dabei ging es um eine Gruppe von Jugendlichen aus der Bundesrepublik Deutschland, die als erste eine Fahrt nach Auschwitz unternahm. Dies berichtet die Stadt Wolfsburg.


Unter der symbolischen Überschrift "Hoffnung" eröffnete der polnische Journalist Jerzy Piórkowski seinen Artikel wie folgt: "Am 16. September 1967 traf im ehemaligen Lager Auschwitz die erste Gruppe Jugendlicher aus der Bundesrepublik Deutschland und aus Westberlin ein, die in der sogenannten ‚Aktion Sühnezeichen‘ organisiert sind. Die Gruppe leitete ein in Polen wohlbekannter und allgemein geschätzter Mann: Pastor Rudolf Dohrmann aus Wolfsburg, der Hauptstadt des größten Industriekonzerns der Bundesrepublik, der Volkswagenwerke."

Jener Pastor Dohrmann, der 1960 in der Stadt am Mittellandkanal bereits die Industriediakonie Arche mit aus der Taufe gehoben hatte, habe deutschlandweit zu den zentralen Akteuren gehört, die das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz als Ziel für jugendpolitische Bildungsfahrten auf die Agenda setzten und diese auch selbst organisierten. Er hätte schon Jahre bevor Kanzler Willy Brandt sich Ende der 1960er Jahre für eine neue Ostpolitik einsetzte und selbst "vor Beginn der systematischen Zusammenarbeit der Aktion Sühnezeichen mit der Gedenkstätte", wie er in einer selbstverfassten Dokumentation über die Arbeit der Industriediakonie betonte, mit der Jugendarbeit auf dem Areal des ehemaligen Konzentrationslagers begonnen. Im September 1967 war er mit einer Gruppe junger Deutscher im Alter zwischen 16 und 26 Jahren als Abgesandte jenes für die kritische Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit so zentralen christlichen deutschen Vereins aus Wolfsburg gestartet: "fünfzehn junge Arbeiter und Studenten und ein Mädchen, Studentin", wie es in dem Artikel heißt. Zwar seien nicht alle von ihnen aus Wolfsburg gekommen, doch mit dem Schüler Jens Michael Berger und den jungen Arbeitern Heinz Kindt, Klaus Nestmann, Adolf Falke und Olde Dibbern kam ein großer Teil "dieser neuzeitlichen Apostel", wie Piórkowski schreibt, aus der Volkswagenstadt. Letztgenanntem sei es auch zu verdanken, dass das Stadtarchiv Wolfsburg über eine Kopie des Artikels verfüge.

Erfahrungen, die kein Medium transportieren kann



Getreu der Zielsetzung der 1958 durch Lothar Kreyssig ins Leben gerufenen Organisation Aktion Sühnezeichen wären die jungen Erwachsenen neun Jahre später vor Ort gewesen, um gemeinsam körperlich zu arbeiten und dabei ein Zeichen konkreter Sühne zu setzen. Gemeinsam mit den anderen der Wolfsburger Reisegruppe tat Olde Dibbern genau das: Sie taten mit ihren Händen Gutes, befreiten die zugewucherten Ruinen des Krematoriums II von Gestrüpp und Schlamm und legten damit zugleich die Fundamente der Verbrechen frei und brachten so – im übertragenen Sinne – Licht in das Vergessen.

Der Journalist Piórkowski beschreibt ihr Wirken eindrücklich: "Sie attackieren die Erdmassen und Trümmer, als würden diese ein unbekanntes Geheimnis bergen, als wären sie die rettende Chance für alle zusammen und jeden einzelnen. Manche finden kleine Gegenstände, bei deren Anblick sie erbleichen: verrostete Brillenfassungen, einen Rasierapparat und Knochen, klein und weiß, wie aus lang verflossenen Epochen." Wie bedeutsam die physische Auseinandersetzung mit dem Ort des systematischen Tötens war, zeigt die griffige Antwort, die der Journalist auf die selbstformulierte Frage, was die jungen Deutschen denn nach Auschwitz getrieben habe, zu geben wusste. Sie seien hier, um etwas zu erfahren, was weder Fotografie, Buch noch Film vermitteln könnten: "Nichts ersetzt den Augenblick, wenn durch die eigenen Finger die Erde von Auschwitz rieselt."


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