Region. Die Diskussion ums sogenannte Gendern ist nicht neu. Nun wurde sie allerdings in Baden-Württemberg aufgeheizt, nachdem das Kultusministerium im Ländle angekündigt hatte den Umgang mit "geschlechtergerechter Sprache" den Schulen selbst zu überlassen. Die Meinungen gehen dabei weit auseinander: Während die einen das Gendern als unabdingbares Mittel zur Inklusion sehen, halten andere, wie der Chef des baden-württembergischen Philologenverbandes Ralf Scholl, es für "unnötig wie einen Kropf." Wir haben die Landtagsabgeordneten der Region gefragt, was sie vom Gendern halten und ob auch niedersächsische Schulen die Sprache umstellen sollten.
Im Folgenden sehen Sie die Antworten der Befragten unkommentiert und ungekürzt. Die Statements werden nach dem Zeitpunkt ihres Eintreffens sortiert, angefangen mit der frühesten Antwort.
Frank Oesterhelweg (CDU, Wolfenbüttel)
Frank Oesterhelweg sitzt für die CDU im Landtag. Er ist zudem Landtagsvizepräsident. Foto: Werner Heise
" 'Überflüssig wie ein Kropf' bringt es auf den Punkt. Wenn wir den baulichen Zustand unserer Schulen, die Digitalisierung an unseren Schulen, die Lehrer- bzw. Unterrichtsversorgung, die notwendige Anpassung der Lerninhalte an das wirkliche Leben, die Fragen der Schülerverkehre und der Verpflegung an unseren Schulen sowie einige andere 'Kleinigkeiten' geregelt haben, dann können wir uns auch mit diesem Thema 'mal befassen!"
Jörn Domeier (SPD, Helmstedt)
"Die Schulen bei uns sind sehr sensibilisiert für das Thema der Sprache. Die Verwendung des generischen Maskulinums in Schulbüchern ist vorbei, man spricht mindestens von 'Schülerinnen und Schülern.' Ich halte dies auch für richtig. Auf diese Weise wird ausreichend das weibliche und das männliche Geschlecht zum Ausdruck gebracht, und die Texte werden nur unwesentlich länger. Auch für Schülerinnen und Schüler, die Schwierigkeiten mit dem Lesen haben, wäre das kein Problem, weil es sich nur um die einfache Wiederholung eines ähnlichen Wortes handelt.
Angesichts der vielen anderen Probleme, die wir haben, nämlich dass viele Schülerinnen und Schüler die Schule verlassen, ohne richtig lesen und schreiben zu können, kann ich Schulen nicht empfehlen, zu viel Zeit darauf zu verwenden, sich jetzt schon auf eine Form der Sprache festzulegen. Mir ist wichtiger, dass alle Formen von Diskriminierung in der Sprache vermieden werden und darüber nachgedacht wird, wie man alle Geschlechter sprachlich zum Ausdruck bringen kann. Ich halte es für sinnvoll, dem Einzelnen freizustellen, welche sprachliche Form er oder sie auswählt.
Sprache zu reflektieren gehört, über alle Jahrgangsstufen hinweg, von der Primarstufe bis zum Abitur, zu den Bildungsstandards und wird auch in allen Lehrplänen der Länder aufgegriffen. Das Thema `Sprachwandel´ wird in der gymnasialen Oberstufe, aber auch in der Sekundarstufe konkret benannt. Es passt also sehr gut in die Lehrpläne hinein, sich im Unterricht diesen Fragen zu widmen. Eine Vorschrift wie Sprache aussehen oder klingen soll, die halte ich für so fehlerhaft, wie am Festhalten von Sprache, die hat sich schon immer verändert, aber eben durch Annahme und Verständnis und nicht durch pure Vorschriften."
Björn Försterling (Wolfenbüttel), Susanne Schütz (Braunschweig) und Lars Alt (Helmstedt, alle FDP)
Björn Försterling (links), Susanne Schütz und Lars Alt sitzen für die FDP im Landtag. Foto: regionalHeute.de
„Sprache kennzeichnet sich durch Individualität und Veränderung. Sprache an niedersächsischen Schulen sollte daher weder in die eine noch in die andere Richtung strengen Vorgaben unterliegen. Das gilt umso mehr in jungen Jahren, wo die Entwicklung eigenen Sprachgebrauchs zu einem Teil der Persönlichkeitsfindung wird. Wichtig ist daher, dass allen Beteiligten im Bildungswesen freigestellt wird, ob sie und wie sie geschlechtergerechte Sprache im Unterricht nutzen wollen. Schülerinnen und Schüler dürfen keine Punktabzüge zu befürchten haben, wenn sie erkennbar gendern oder aber nicht gendern. Grundlage einer freien Entscheidung für oder gegen das Gendern ist auch, dass Schülerinnen und Schüler ab einer gewissen Klassenstufe über das generische Maskulinum und über Alternativen aufgeklärt werden. Ähnliches gilt für den Sprachgebrauch der Lehrkräfte, die im Idealfall Geschlechterkompetenzen im pädagogischen Teil ihres Studiums vermittelt bekommen haben und frei entscheiden können müssen, ob und wie sie geschlechtergerechte Sprache in ihren Unterricht einbauen. Viel wichtiger als diese Nebenkriegsschauplätze sind also etwa das Aufbrechen von Geschlechterstereotypen in Schulbüchern und bei der Berufsorientierung, die Vermittlung von Genderkompetenzen in der Lehramtsausbildung und die Erhöhung des Frauenanteils in MINT-Fächern.“
Veronika Koch (CDU, Helmstedt)
"Selbstverständlich soll in der Sprache möglichst allem gerecht werden und vor allem keine Diskriminierungen erfolgen. Eine gewisse Sensibilisierung sollte unbedingt auch in der Schule erfolgen – für mich gehört dies zur Vermittlung von Alltagskompetenzen im Unterricht, wofür ich mich landespolitisch sehr engagiert einsetze.
Dies sollte aber nicht zu unnötigen Verwirrungen führen durch Sternchen oder Doppelpunkte, da dies in der Konsequenz für die Schüler bei falscher Anwendung auch zu neuen Fehlerquellen führen müsste. Man muss Sprache nicht unnötig verkomplizieren und es ist auch keinesfalls diskriminierend, wenn ich als weibliche Abgeordnete an ein Rednerpult (anstatt eines Redner:innenpults) als „generische Maskulinum“ trete, und auch die Wortkreation der Samtgemeindebürgermeister:innenkandidat:in zeigt auf, welche kuriosen Folgerungen daraus resultieren würden.
Für die Schüler macht dies Sprache nicht wirklich leichter. Daher spreche ich mich ausdrücklich dagegen aus."
Immacolata Glosemeyer (SPD, Wolfsburg)
"Unsere demokratische Gesellschaft lebt von Vielfalt und Diversität. Jeder Mensch hat das gleiche Recht in einer angemessenen Weise Teilhabe und Wertschätzung zu erfahren. Dabei spielen das Geschlecht, die Herkunft oder andere persönliche Eigenschaften keine Rolle. Es ist deshalb nur konsequent, dass wir auch unsere Kinder und Jugendlichen entsprechend dafür zu sensibilisieren.
Nicht ohne Grund haben unsere Schulen den Auftrag, das nötige Handwerkszeug zu vermitteln, damit Toleranz und Gleichberechtigung zu einem festen Teil des Lebens werden. Es muss in vielen Fällen gar nicht das generische Maskulinum sein — viel mehr können wir auf eine so große Zahl an Worten zurückgreifen, die wie unsere Gesellschaft eines sind: vielfältig."
Frauke Heiligenstadt (SPD, Harz)
"Bezüglich des so genannten Gender-Sternchens bin ich persönlich völlig entspannt. Ich bin der Meinung, dass man Sprache nicht erzwingen kann. Sie entwickelt sich. In meinem Sprachgebrauch versuche ich in der Regel das generische Maskulinum zu vermeiden. So sage ich nicht Studenten, sondern Studierende, nicht Lehrer, sondern Lehrkräfte. So lassen sich schon viele Begriffe nutzen, die sowohl eine weibliche wie auch eine männliche Interpretation zulassen. Falls das nicht möglich ist, benutze ich in der Regel beide Beschreibungen, wie zum Beispiel Schülerinnen und Schüler oder Bürgerinnen und Bürger.
Auch die Aussprache mit einer Pause vor der Silbe „innen“ nutze ich persönlich hin und wieder. Im Schriftgebrauch verwende ich oft das große „Binnen-I“oder auch gelegentlich das Gender-*.
In der Behördensprache halte ich den Vorschlag der Bundesjustizministerin für nachvollziehbar. Ich persönlich habe auch kein Problem damit, wenn in Texten das so genannte Gender-Sternchen genutzt wird oder das so genannte große Binnen-I. Für einige Menschen scheint das Lesen dann aber komplizierter zu sein. Viel wichtiger als der Schriftgebrauch ist für mich, dass man alle Menschen gleichberechtigt behandelt. Da haben wir für die Gleichstellung von Frauen und Männern noch viel zu tun. "
Oliver Schatta (CDU, Braunschweig)
"Ich finde es zunächst einmal schade, dass das `Thema gendern´ dermaßen politisierend aufgenommen, aber auch platziert wird. Ich kann mich noch lebhaft an die gefühlt endlosen Diskussionen unserer letzteren großen Rechtschreibreform erinnern. Deshalb bin ich etwas überrascht, dass die Änderung unserer Sprache nun fast schon ideologisch geprägt u. a. von Interessengruppen und einzelnen Strukturen eingebracht bzw. verordnet werden soll. Ich wünsche mir etwas mehr Sachlich- und Fachlichkeit in dieser Diskussion. Die Notwendigkeit für ein Verordnen zum Gendern sehe ich skeptisch. Unsere Sprache gibt genügend Raum zur Definition aller Art der Gleichstellung."
Stefan Wirtz (AfD, Braunschweig)
"Nach meiner Ansicht hat Gendern an Schulen ebenso wenig zu suchen wie an allen anderen Stellen. Hinter der vermeintlich guten Absicht, sprachlich möglichst alle Geschlechter zu berücksichtigen und niemanden `unerwähnt´ zu lassen, verbirgt sich die Gender-Ideologie nur als weitere Ausbaustufe der Political Correctness. Gegenderte Texte werden nicht etwa gerechter, sondern nur schlechter lesbar.
Um Benachteiligungen durch angeblich zu maskulin formulierte Bezeichnungen zu vermeiden, wird eine irrsinnige Sprachschinderei betrieben, was weder modern noch zeitgemäß ist und schon gar nicht emanzipierend wirkt, sondern nur einen kulturellen Abstieg bedeutet.
Tatsächlich erreicht Gendern in der Schule und schon die Debatte darüber nur eins: ein weiteres Kampffeld um die Deutungs- und Gestaltungshoheit über unsere Sprache wird eröffnet, auf dem die Verwendung oder Nichtverwendung des Genderns vor allem dazu dient, die jeweiligen persönlichen Einstellungen zu enthüllen, Sprache in `richtig´ oder `falsch´ unterscheiden zu können und `unkorrekte´ Redeweisen noch früher zu brandmarken und denunzieren -- was nicht etwa zur behutsamen sprachlichen Gleichberechtigung aller führen wird, sondern zu weiterer Spaltung und Zersetzung unserer Gesellschaft."
Christoph Plett (CDU, Peine)
"Ich bin der Ansicht, dass unsere Sprache ein über sehr lange Zeit gewachsenes kulturelles Gut ist, das sich durch Gebrauch und Verwendung in seiner klaren Form als Hochdeutsch, aber auch in den Dialekten, stetig weiterentwickelt. Gendergerechte Sprache ist ein vergleichsweise sehr junges Phänomen, das nicht aus der Sprache heraus und durch Gebrauch der Sprecher gewachsen ist, sondern erst seit relativ kurzer Zeit und mit dahinter stehender Agenda zu etablieren versucht wird. Das Ansinnen, niemanden auszuschließen und alle Menschen unserer Gesellschaft mit einzuschließen, teile ich absolut. Allerdings zweifle ich daran, ob diesem Anliegen mit gendergerechter Sprache geholfen ist oder nur, um den Preis einer schwieriger verständlichen Sprache, ein hübscher Schleier über bestehende Probleme gelegt wird.
Im Endeffekt ist Sprache für mich auch etwas Persönliches und etwas, das nicht von außen bestimmt und festgelegt werden sollte - natürlich immer im Rahmen unseres achtsamen, respektvollen Miteinanders. Daher denke ich auch nicht, dass die Politik, die Schulen oder sonst irgendjemand vorschreiben sollte, wie in den Schulen oder an anderen öffentlichen Orten gesprochen wird. Wer gendergerechte Sprache verwenden möchte, sollte das meiner Ansicht nach tun dürfen und dadurch weder Nachteile noch Vorteile haben. Wer dagegen auf gendergerechte Sprache verzichten möchte, sollte dies ebenso selbstverständlich tun können, ohne dadurch Vor- oder Nachteile zu haben. Im privaten Raum hat natürlich sowieso niemand reinzureden. Ich ganz persönlich verwende keine oder kaum gendergerechte Sprache, da ich darin keinen Vorteil sehe, sie aber als umständlich und dem Lese- und Sprechfluss nicht dienlich empfinde."
Imke Byl (Grüne, Gifhorn)
"Zahlreiche Studien belegen: Sprache prägt unser Bewusstsein und unseren Blick auf die Welt. Ich bin daher fest davon überzeugt, dass wir sprachliche Mittel nutzen sollten, um sämtliche Geschlechtsidentitäten auf möglichst einfache, aber gleichzeitig faire Art und Weise abzubilden. Der sogenannte Genderstern ist dafür ein gutes und zugleich pragmatisches Mittel. Das generische Maskulinum ist auch aus meiner Sicht nicht mehr zeitgemäß.
Die Sensibilisierung für Geschlechtergerechtigkeit und der Abbau von Rollenstereotypen sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Schulbücher und Lernmaterialien sollten dem Rechnung tragen. Wenn sich Schüler*innen und Lehrer*innen darüber hinaus mit dem Thema gendergerechter Sprache auseinandersetzen möchten, ist dies logischerweise zu unterstützen. Ein Verbot der gendergerechten Sprache mutet gerade im schulischen Kontext sehr fragwürdig an, ignoriert es doch sämtliche Forschungsergebnisse und verhindert die Entscheidungsfreiheit der Schüler*innen und Lehrer*innen. "
Von den Abgeordneten Alexander Saipa, Dunja Krieser, Tobias Heilmann, Petra Emmerich-Kopatsch, Philipp Raulfs, Matthias Moehle, Annette Schütze und Christoph Bratmann (alle SPD), sowie Julia Willie-Hamburg (Grüne) kam bis zum heutigen Montagvormittag keine Antwort. Die Büros der Abgeordneten Christos Pantazis und Marcus Bosse (beide SPD) sind laut Abwesenheitsnotiz aktuell nicht besetzt, weswegen keine Anfragen beantwortet würden.
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