Mündliche Anfrage im Landtag: Rückübernahme Syrien


| Foto: Ado



Rückübernahme der Bundesrepublik Deutschland mit Syrien: Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die mündliche Anfrage der Abgeordneten Filiz Polat (GRÜNE). Die Abgeordnete hatte gefragt:

Syrien ist ein Land, dem das deutsche Auswärtige Amt schwerste Menschenrechtsverletzungen attestiert. Vier Geheimdienste bespitzeln die Bevölkerung. Folter wird als gängiges Mittel gegen Gegnerinnen und Gegner des herrschenden Assad-Regimes eingesetzt. Zehntausende fielen diesem Regime zum Opfer. Das Bundesinnenministerium informierte im Dezember 2009 die Länder in einem Schreiben zum Rückübernahmeabkommen über Inhaftierungen von aus Deutschland Abgeschobenen und anschließende Prozesse vor Militärgerichten jenseits anerkannter juristischer Standards. Das Auswärtige Amt beklagte, dass das Regime keine Auskünfte über den Verbleib der Gefangenen gegeben habe. Auch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen haben immer wieder über Verstöße gegen Menschenrechte in Syrien berichtet und geben regelmäßig Lageberichte zu Syrien ab.

Trotz allem hat Deutschland ein Rückführungsabkommen mit Syrien geschlossen, auf dessen Grundlage Abschiebungen stattgefunden haben. Nur kurzzeitig wurden diese zwischenzeitig ausgesetzt, dann fortgeführt und anschließend wieder ausgesetzt, ohne dass allerdings ein formeller Abschiebungsstopp erlassen worden wäre. So wurden u. a. am 1. Februar 2011 der 16-jährige kurdische Flüchtling Anuar Naso und sein 62-jähriger Vater Bedir Naso aus dem Landkreis Hildesheim nach Syrien abgeschoben. Sie wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft inhaftiert. Bedir Naso saß 13 Tage lang in syrischer Im selben Zeitraum reiste Staatssekretär Dr. Liersch im niedersächsischen Wirtschaftsministerium (MW) in Begleitung einer Wirtschaftsdelegation und dreier Landtagsabgeordneter von CDU, FDP und SPD nach Syrien. Als Ziel der Reise gab das MW in seiner Pressemitteilung vom 18. Februar 2011 lediglich an, „neue Geschäftsbeziehungen aufzubauen und bestehende zu intensivieren.“ Auch in seiner bilanzierenden Pressemitteilung vom 24. Februar 2011 ist ausschließlich von wirtschaftlichen Zusammenhängen und unternehmerischen Erfolgen die Rede. Der mitreisende CDULandtagsabgeordnete wurde in der NOZ vom 16.08.2011 mit den Worten zitiert: „Ich bin da nicht hingefahren, um Menschenrechtspolitik zu machen. Mir ging es vor allem um Kontakte zu den Mitreisenden aus der Wirtschaft.“

Ich frage die Landesregierung:
1. Wie viele ausreisepflichtige bzw. geduldete syrische Staatsangehörige und Staatenlose aus Syrien leben zurzeit in Niedersachsen?
2. Welche Informationen hat die Landesregierung über den Verbleib von Anuar und Bedir Naso und deren Erlebnisse in und nach der Haft in Syrien?
3. Wie beabsichtigt die Landesregierung zukünftig – auch im Hinblick auf die „Arabische Initiative“, initiiert durch den früheren Wirtschaftsminister Hirche – mit solchen Delegationen politisch umzugehen, wenn ihr derartige Menschenrechtsverstöße aus den Zielländern bekannt sind?

Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Anfrage wie folgt:
Das am 14. Juli 2008 unterzeichnete Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Arabischen Republik Syrien über die Rückführung von illegal aufhältigen Personen (BGBl. 2008 II S. 811, 812) ist am 3. Januar 2009 in Kraft getreten. Am gleichen Tag ist das Protokoll vom 14. Juli 2008 zur Durchführung des Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Arabischen Republik Syrien über die Rückführung von illegal aufhältigen Personen (BGBl. 2008 II S. 811, 815) in Kraft getreten und findet beiderseitige Anwendung. Rückübernahmeabkommen enthalten Verfahrensregelungen, die die Rückführung ausreisepflichtiger Staatsangehöriger in ihren Herkunftsstaat erleichtern sollen. Hinsichtlich der darin ebenfalls erklärten Rückübernahmebereitschaft handelt es sich jedoch nicht um die Übernahme neuer Verpflichtungen, sondern damit wird lediglich die auch ohne ein derartiges Abkommen völkerrechtlich gegenüber den eigenen Staatsangehörigen bestehende Verpflichtung eines Staates bekräftigt, die sich in anderen Staaten ohne Aufenthaltsrecht aufhaltenden Staatsangehörigen wieder einreisen zu lassen.

Auf die aktuelle krisenhafte Entwicklung in Syrien haben die Innenministerien von Bund und Ländern hinsichtlich der Rückführung ausreisepflichtiger syrischer Staatsangehöriger umgehend reagiert. Mit Erlass vom 02.05.2011 –Az. 42.10 – 12231 / 3.6 SYR- hat das Ministerium für Inneres und Sport die Ausländerbehörden gebeten, keine Abschiebungen mehr nach Syrien zu terminieren. Ausnahmen gelten lediglich für vollziehbar ausreisepflichtige Straftäter.

Die Abschiebung der vollziehbar ausreisepflichtigen abgelehnten Asylbewerber Anuar und Bedir Naso erfolgte bereits im Februar 2011, somit vor Beginn der krisenhaften Entwicklung in Syrien. Es handelte sich nicht um Flüchtlinge, sondern um abgelehnte Asylbewerber, die ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkamen und ihren Aufenthalt in Deutschland rechtsmissbräuchlich verlängert hatten, in dem sie die Ausländerbehörde hartnäckig seit ihrer Einreise im Jahre 2001 über ihre Identität täuschten. Somit konnte die Ausländerbehörde ihre gesetzliche Verpflichtung, den Aufenthalt der Familie durch Abschiebung zu beenden, über Jahre hinweg nicht erfüllen. Erst durch eigene Ermittlungen der Ausländerbehörde konnte die wahre Identität der Familie geklärt werden. In diesem Zusammenhang wurde auch bekannt, dass der Sohn Anuar nicht 16 Jahre und minderjährig, sondern bereits 19 Jahre und somit volljährig war.

Auf das Ergebnis der Altersfeststellung für den Sohn Anuar ist bereits in den Antworten auf parlamentarische Anfragen hingewiesen worden (Anfrage d. Abg. Dr. Lesemann u.a. (Az 721-894) sowie die Mdl. Anfrage Nr. 29 d. Abg. Dr. Lesemann u.a. aus dem Maiplenum 2011). Die Landesregierung hat auch darauf hingewiesen, dass Anuar auf seiner facebook- Seite selbst angegeben hat, am 10. Februar 1992 geboren zu sein. Deshalb ist es unverständlich, dass in dieser Anfrage erneut ausgeführt wird, Anuar sei erst 16 Jahre alt.

Im Mittelpunkt der Delegationsreise unter Leitung von Herr Staatssekretär Dr. Liersch im Februar nach Syrien stand die Vermittlung von Wirtschaftskontakten für niedersächsische Unternehmen. Der Wunsch, Syrien zu besuchen, war dem Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr aus der niedersächsischen Wirtschaft angetragen worden. Die politische Lage in Syrien wurde vor der Reise intensiv beobachtet und bewertet. In die Bewertung einbezogen wurden auch Berichte des Auswärtigen Amtes.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu Frage 1:
Die statistische Erfassung im Ausländerzentralregister erfolgt nach der Staatsangehörigkeit. Am 31.12.2010 waren für Niedersachsen 1382 syrische Staatsangehörige erfasst, deren Aufenthalt geduldet war. Die Zahl der Personen, die angeben, staatenlos und aus Syrien kommend eingereist zu sein, wird nicht statistisch erfasst und ist deshalb nicht bekannt.

Zu Frage 2:
Bevor es zu einer Abschiebung kommt, ist die Frage, ob jemandem im Herkunftsland politische Verfolgung oder Gefahr für Leib und Leben drohen, vom zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verneint und diese Entscheidung in aller Regel auch verwaltungsgerichtlich bestätigt worden. Wenn der gleichzeitig mit der Ablehnung des Asylantrags ergangenen Aufforderung zur Ausreise nicht gefolgt wird, sind die Ausländerbehörden gesetzlich zwingend verpflichtet, den Aufenthalt durch Abschiebung zu beenden. Die Abschiebung endet mit der Übergabe der Betreffenden an die zuständigen Behörden des Zielstaates. Anlassbezogen können sich deutsche Auslandsvertretungen bei den Behörden des Zielstaates über den weiteren Verbleib abgeschobener Personen erkundigen; eigene Ermittlungen können sie allerdings nicht durchführen. Nach Kenntnis der Landesregierung sind Anuar und Badir Naso nach ihrer Abschiebung in Damaskus zunächst von der syrischen Immigrationsbehörde zur Identitätsklärung festgehalten worden. Dies entspricht der üblichen Praxis in den Fällen, in denen die Rückkehrer nicht im Besitz von gültigen syrischen Nationalpässen sind. Dass die Familie Naso deutsche Behörden hartnäckig über ihre Identität getäuscht hat, ist den syrischen Behörden bereits im Rahmen der Passersatzpapierbeschaffung bekannt geworden. Sie haben daher offensichtlich eine eigene Klärung vor Ort herbeigeführt, bevor sie den Betreffenden die endgültige Einreise nach Syrien gestattet haben. Es handelt sich somit um eine vorläufige Ingewahrsamnahme im Einreiseverfahren für die Dauer der Identitätsfeststellung. Dieses Verfahren zur Identit.tsüberprüfung besitzt keine asylrechtliche Relevanz.

Zu Frage 3:
Bei der Entscheidung über Zielländer für Delegationsreisen wird neben den Interessen der niedersächsischen Unternehmen immer auch der gesamtpolitichen Lage des zu bereisenden Landes Rechnung getragen. Dabei wird die Unterstützung wirtschaftlicher Beziehungen auch vor dem Hintergrund des bedeutenden Einflusses unternehmerischer Tätigkeiten auf die Rechte von Menschen gesehen. Der direkte Austausch und regelmäßige Kontakt zwischen Geschäftspartnern kann dazu beitragen, bestimmte Werte und Standards näher zu bringen sowie die Bedingungen einer funktionierenden Marktwirtschaft, eines stabilen Rechtssystems und politischer Freiheit zu verdeutlichen.


mehr News aus Wolfenbüttel