Stadt gedenkt Opfern der Novemberprogrome

Schüler einer Stolperstein-AG lasen Briefe eines Wolfenbütteler Holocaust-Opfers vor.

Gedenkveranstaltung zu den Novemberpogromen im Jahr 1938
Gedenkveranstaltung zu den Novemberpogromen im Jahr 1938 | Foto: Stadt Wolfenbüttel

Wolfenbüttel. Am Mittwoch haben das "Bündnis gegen Rechtsextremismus" und die Stadt eine Gedenkveranstaltung zu den Novemberpogromen im Jahr 1938 am Gedenkstein am Paul-Raabe-Platz abgehalten. Die Organisatoren freuten sich über den großen Zuspruch der Bürger, die an der Veranstaltung teilnahmen, teilte die Stadt am heutigen Donnerstag mit.


Michael Sandte vom "Bündnis gegen Rechtsextremismus" begrüßte die Bürger und leitete im Anschluss zur gemeinsamen Kranzniederlegung am Gedenkstein über. Es folgte eine Rede des Bürgermeisters Ivica Lukanic. "Heute jährt sich zum 84. Mal ein Datum, das für immer als Tag der Schande in der Deutschen Geschichte bestehen bleiben wird", sagte er. "In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 zerstörten Nazi-Schergen im damaligen Deutschen Reich Synagogen, Wohnhäuser und Geschäfte." Viele Schaulustige hätten dem Zerstörungswerk schweigend oder gar mit Freude zugeschaut, Proteste von Nichtbeteiligten seien ausgeblieben. "Die Pogromnacht versetzte die jüdische Bevölkerung Deutschlands in Angst und Schrecken, führte zur Zerstörung von über 260 Synagogen und anderen jüdischen Einrichtungen im ganzen Reich, zur Demütigung und Misshandlung jüdischer Menschen, zur Verhaftung von etwa 30.000 jüdischen Männern und deren Verschleppung in Konzentrationslager, kostete zahlreiche Leben und war der Auftakt zum schlimmsten Völkermord in unserer Geschichte", sagte Lukanic. Angesichts zunehmend populistischer und extremistischer Tendenzen auf nationaler und internationaler Ebene sei das Thema heute noch hochaktuell. "Es ist und bleibt unsere ständige Aufgabe, weiterhin gemeinsam für eine demokratische, solidarische, tolerante und pluralistische Gesellschaft einzustehen."

Stolperstein-AG las Briefe eines Holocaust-Opfers vor


Schüler der Stolperstein-AG der Leibniz-Realschule lasen Briefe und Gedichte von Joachim Esberg vor, die der Wolfenbütteler im belgischen Exil verfasst hatte. Björn Försterling griff Esberg in seiner Gedenkrede auf: "Joachim Esberg hätte auch Ihr Nachbar, Ihr Mitschüler sein können." Er sei ein Kind dieser Stadt gewesen. "So ging es vielen, die plötzlich aus der Mitte der Gesellschaft herausgenommen wurden und denen plötzlich das Menschsein abgesprochen wurde", so Försterling. Aus heutiger Sicht sei es vielleicht unvorstellbar, dass einfach von den Nachbarn zugesehen wurde, die vielleicht auch in der Feuerwehr waren, wie die Synagoge niedergebrannt wurde. Und da habe es auch keine Rolle gespielt, dass man sich vielleicht von früher kannte. "Wenn wir heute dann den Ereignissen von damals gedenken, müssen wir uns auch vor Augen halten, was hier auf dem Gedenkstein geschrieben steht: Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart", sagte Fösterling. Man müsse also nicht nur die Vergangenheit betrachten, sondern auch die Gegenwart. "Denn wer sagt uns, dass es heute nicht wieder der ehemalige Nachbar, der Spielkamerad von damals sein kann, der sich plötzlich inmitten gesellschaftlicher Anfeindungen wiederfindet", sagte er. Schwierige Zeiten nach der Pandemie und nun durch die Folgen des Kriegs in der Ukraine wie steigende Energiekosten und Sorgen um den eigenen Arbeitsplatz seien leider der ideale Nährboden für den Verlust der Menschlichkeit. "Wir müssen dafür Sorge tragen, dass wir die Menschlichkeit nicht aufgeben. Was 1938 auch hier passiert ist, kam ja nicht aus dem Nichts", sagte Försterling.

Thomas Pink vom "Bündnis gegen Rechtsextremismus" bestätigte, dass es wichtig sei, jedes Jahr diese Gedenkveranstaltung durchzuführen. "Dass sie Jahr für Jahr immer notwendiger wird, schmerzt", so Pink. "Wir dürfen nicht um das Gas kämpfen, sondern müssen um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft kämpfen."

Fotos jüdischer Familien im Bürgermuseum ausgestellt


Im Anschluss waren alle in das Bürgermuseum eingeladen, wo eine Ausstellung von historischen Fotos jüdischer Familien aus Wolfenbüttel zu sehen ist. Die Aufnahmen stammen aus dem heimatgeschichtlichen Archiv von Jürgen Kumlehn. Umrahmt wurde die Veranstaltung von musikalischen Klezmer-Beiträgen von Ryszard Pobieda und Schülerinnen der Musikschule Wolfenbüttel.


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