Wolfenbüttel: Ausstellung "Kneipensterben" im Kleinen Zimmerhof




Dietmar Dolle von der Aktionsgemeinschaft Altstadt Wolfenbüttel e.V. fallen immer neue und interessante Themen aus Wolfenbüttels Geschichte ein, die zu veröffentlichen es wert sind. Sein zurzeit im Schaufenster der Aktionsgemeinschaft im Kleinen Zimmerhof gezeigtes Thema heißt „Gaststätten“. Dabei geht es um die, die es heute nicht mehr gibt. „Kneipensterben“ hat er daher sein jüngstes Projekt genannt.

In Wolfenbüttel scheint es ähnlich zu sein wie in vergleichbaren anderen Städten in Deutschland: Viele Gaststätten, die man vielleicht noch selbst in seiner Jugend gekannt oder besucht hat, existieren (teilweise) nicht mehr. Nur noch wenige Betriebe in Wolfenbüttel gibt es schon seit hundert oder mehr Jahren, hat der Hobby-Geschichtsforscher herausgefunden. Exemplarisch hat er sich anhand der für das Wolfenbütteler Adressbuch 1963 aufgelisteten Gaststätten einen Überblick einerseits über die Vielzahl der damaligen Betriebe verschafft. Andererseits hat er untersucht, wie viele bzw. wenige davon noch existent sind.

Auch in den 1974 eingemeindeten Ortsteilen gibt es kaum noch die klassischen Dorfkneipen, berichtet Dolle in seinem Erläuterungstext zu seiner Ausstellung, so beispielsweise nicht mehr in Wendessen oder Ahlum – dafür jedoch neuerdings jeweils ein Vereinsheim. Veränderungen und Probleme im Gastronomiebereich sind jedoch nicht neu, denn schon um 1900 wurde in der örtlichen Zeitung darüber berichtet.

„Man kann das Thema weder pauschalisieren noch umfassend darstellen, lediglich anreißen", resümiert der Forscher der AG Altstadt Wolfenbüttel. Es gibt natürlich immer noch normale Gaststätten und auch solche, die sich in irgendeiner Weise spezialisiert haben. Während einige vorwiegend als Trinkbetrieb geführt werden oder wurden, kombinieren das andere mit einem Cafe, Restaurant bzw. Hotel.

Dolle erläutert: „Im Laufe der Jahrzehnte haben sich die Lebensgewohnheiten und die Bevölkerungsstruktur gewandelt. So gab es früher große Ausflugslokale mit riesigen Sälen, Terrassen oder Veranden (u. a. für Vereins- und Tanzveranstaltungen), wie die alle nicht mehr existenten oder in dieser Form betriebenen „Antoinettenruh(e)“, „Atzumer Busch“ oder das „Sternhaus“, vor etwa 50 Jahren auch Milchbars, wie z. B. das „Max und Moritz“ an der Langen Straße 9. Stattdessen finden sich jetzt beispielsweise chinesische, griechische oder italienische Restaurants und eher von der Jugend bevorzugte Schnellimbisse (u. a. für Döner, Hamburger, Hähnchen), in denen man selbstverständlich auch Getränke bekommen kann."

„Viele der bundesweiten bzw. allgemeinen Gründe für den Rückgang der Gaststättenzahlen aus der jüngeren Vergangenheit dürften auch für Wolfenbüttel zutreffen", folgert Dietmar Dolle, u. a.:

-  viele Jugendliche ziehen andere Freizeitmöglichkeiten vor. Anstatt in der Gaststätte „trifft“  man sich im Internet bei Facebook

- der Rückzug ins Private

-  finanzielle Schwierigkeiten (Arbeitslosigkeit, Hartz-IV-Empfänger, u. a.)

- das Rauchverbot

- die Schwierigkeit vieler älterer Gastwirte, einen Nachfolger zu finden (unsichere Einnahmen, ungünstige Arbeitszeiten, usw.)

-  den generellen kulturellen Wandel spüren nicht nur die Gastwirte, sondern auch Parteien,  Gewerkschaften und insbesondere Vereine mit stark rückläufigen Mitgliederzahlen. Gerade viele Vereine, die zum Teil schon vor 1900 gegründet wurden, überaltern mangels Nachwuchs oder stehen vor der Auflösung bzw. haben sich bereits aufgelöst. Sie hatten in ihrer „Vereinsgaststätte“ Versammlungen, Bälle, Jubiläen usw. abgehalten bzw. gefeiert.    Stattdessen gibt es vielfach zumindest bei den Sportvereinen angeschlossene Vereinsheime, die als ernsthafte Konkurrenz auftreten, da sie wohl keine Steuern zahlen und keine oder weniger behördliche Auflagen erfüllen müssen.

Einen zusätzlichen negativen Aspekt erkennt Dolle. Die Aufgabe des Bundeswehrstandortes Wolfenbüttel und der Abzug der englischen Soldaten. Die Auflösung vieler Schulen für Heranwachsende (wie z. B. die Konditorenschule und die Landwirtschaftliche Schule) dürfte sich hingegen allein von der Anzahl der Schüler bzw. Studenten insbesondere durch die Hochschule für angewandte Wissenschaften (Ostfalia) mehr als ausgeglichen haben, wodurch natürlich noch keine Aussage über den Besuch der hiesigen Gastronomie getroffen werden kann.

Für die Aufgabe der einzelnen Gaststätten in Wolfenbüttel sind die jeweiligen Gründe nicht und der Zeitpunkt nur zum Teil bekannt. Aber interessant ist mitunter, was aus ihnen geworden ist.

Das große Ausflugslokal „Antoinettenruh(e)“ ist am 07.06.1971 ausgerechnet nach einer Feuerwehrveranstaltung abgebrannt. Die Reste wurden abgerissen und das Gelände anderweitig bebaut. Auch das im Um- bzw. Neubau befindliche Grundstück des ehemaligen Lokals „Zum Zollen“ an der Frankfurter Str. 3/Schützenplatz erlitt im Januar 2011 erhebliche Brandschäden.

Dolle hat weiter ermittelt: Abgerissen wurden für andere Neubauten u. a. im Frühjahr 1959 „Linnes Garten“ am  Neuen Weg 82, (für den Bau einer Tankstelle), im Frühjahr 1969 das „Hotel zum Löwen“ an der Breiten Herzogstraße 20/21 (für den Neubau des Kaufhauses MONOPOL), die Gaststätte „Zum Onkel Walter“, Kannengießerstraße 1 (für spätere Wohnbebauung), wohl 1922 das Hotel „Deutsches Haus“ am Großen Zimmerhof  29 (für ein Geschäfts- und Wohnhaus, jetzt mit Durchgang zum Stadtmarkt), wohl in den 1950er-Jahren das „Kur-Hotel Waldschloss“ an der Ecke Alter Weg/Forstweg (für ein Wohn-Hochhaus), im Jahr 2002 das Ausflugslokal „Atzumer Busch“ (für Wohnhäuser), Anfang 1978 der große Gebäudekomplex im Eckbereich Holzmarkt/Okerstraße/Kreuzstraße mit dem Lokal „Handwerkerbörse“/“Husarenheim“ (für einen Geschäftskomplex).

Ebenfalls abgerissen wurden, jedoch mit eher kuriosen Nachnutzungen, 1998 die Gaststätte „Gilde-Klause“ an der Wilhelm-Raabe-Str.8/Friedrich-Wilhelm-Straße, um daraus einen Parkplatz für die Firma Jägermeister zu erstellen und der „Gasthof Clemens Frömsdorf“, Neue Straße 34, um dadurch einen Durchbruch von der Neue(n) Straße bzw. der Okerstraße zum Rosenwall zu ermöglichen.

Anderen ehemaligen Gaststätten blieb das Abrissschicksal erspart, denn die Gebäude wurden umgebaut bzw. umgenutzt: Aus dem „Gasthaus zur Viehbörse“, Halchtersche Str. 1, wurde das Büro der Partei Bündnis 90/Die Grünen, aus der bekannten und beliebten „Herzog-Schänke“, Lange Herzogstr. 16, im Erdgeschoss ein Bekleidungsgeschäft, aus den „Bavaria-Stuben“, Albert-Schweizer-Allee, ein Geschäft für gebrauchte Möbel pp., aus der Gaststätte „Fischerklause“ an der Fischerstraße das Büro der Partei die Linke, aus der „Gastwirtschaft zur Wallhöhe“, jetzt Wallstr. 23, ein Geschäfts- und Wohnhaus, aus der Gaststätte „Lessingschänke“, Holzmarkt 14, im Erdgeschoß eine Zahnarztpraxis, aus dem „Hotel Stadt-Schenke“, Große Kirchstraße 9, mehrere Wohnungen, aus der ehemaligen Bahnhofs-Gaststätte ein Teil der Bücherei, aus „Lutters Gaststätte“, Lindener Str. 7, Geschäfts- und Ausstellungsräume für einen Sanitärbetrieb und aus dem wohl nur kurz bestehenden „Alkoholfreies Restaurant“, Kleiner Zimmerhof 11, ein Geschäfts- und Wohnhaus.

Manche Gaststätten oder Hotels sind zwar geblieben, gibt Dietmar Dolle bekannt, haben aber z. T. mehrfach den Namen gewechselt, z. B. der jetzige „Bayrische Hof“ an der Brauergildenstraße oder die ehemalige „Wursteluffe“ am Stadtmarkt. Zumindest eine alte Gaststätte, die zwischenzeitlich schon Vereinsheim und auch zeitweilig geschlossen war, wurde wieder unter ihrem früheren Namen eröffnet, nämlich der „Goldene Löwe“ an der Marktstr. 6/ Juliusmarkt.

Dem Heimatforscher Dietmar Dolle sei herzlich Dank gesagt für diese zusammengetragenen Informationen aus der hiesigen Gaststättengeschichte, die im August/September 2012 im Schaufenster der Geschäftsstelle der AG Altstadt im Kleinen Zimmerhof 4 zu besichtigen und nachzulesen sind.


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