Wolfenbüttel. Etwas mehr als 1 Million Euro hat die Stadt Wolfenbüttel vom Land Niedersachsen zur Bekämpfung der Folgen der COVID-19-Pandemie in der Innenstadt als Fördersumme zugesagt bekommen. Doch wie soll man das Geld nun effektiv einsetzen? Die Ratsfraktionen von CDU sowie FDP und BuW kritisieren Teile der von der Stadtverwaltung erarbeiteten Vorschläge. Die wiederum beklagt harte Vorgaben und enge Fristen vom Land.
Bereits im Ausschuss für Wirtschaft und Finanzen in der vergangenen Woche erhob der CDU-Fraktionsvorsitzende Marc Angerstein Kritik an dem, was sich die Stadtverwaltung hat einfallen lassen. Dies sei zwar alles gut gemeint und sicherlich auch viel Zeit und "Gehirnschmalz" in die Ausarbeitung geflossen, doch: "viele Dinge, die ich da lese, würde ich nicht der Innenstadt zuordnen", sagte Angerstein. Er störe sich daran, dass man ohne inhaltliche Beratung insgesamt mehr als 1,4 Millionen Euro ausgeben wolle und das für viele Projekte, die aus Sicht der CDU nicht die Innenstadt nach der Coronapandemie wieder stärken würden. Das Geld habe man nur einmal zur Verfügung.
"Friss oder stirb"
Unterstützung erhielt Angerstein von der Gruppe FDP und BuW, die "auch nicht richtig begeistert" von den Vorschlägen der Stadtverwaltung sei, so deren Abgeordnete Sina Ciesielski. Sie stellte ebenfalls das Verfahren infrage. Ihre Gruppe habe eigentlich mit einer Reihe von Änderungsanträgen zu den Projektvorschlägen gerechnet.
Der erste Stadtrat Knut Foraita begründete das Vorgehen der Stadtverwaltung mit Zeitdruck, der aufgrund der Förderbestimmungen seitens des Landes Niedersachsen aufgebaut werde. Bis Ende März 2022 muss für das zugesagte Fördergeld mindestens ein Projekt bei der NBank beantragt worden sein, alle weiteren bis Ende Juni 2022. Abgeschlossen müssen die Projekte dann bis Ende März 2023 sein. Die Zeit jetzt müsse man für Aufträge und Ausschreibungen nutzen, von denen man auch nicht wisse, ob und welche Rückmeldungen es darauf gebe. "Diese enge Frist ist friss oder stirb Kommune!", beklagte Foraita die Vorgaben des Landes und nannte sie verantwortungslos. Es sei seiner Ansicht nach völlig zurecht empfunden, wenn sich der Rat der Stadt Wolfenbüttel jetzt dadurch "ein Stück weit gegängelt sieht." Viele andere Kommunen hätten aufgrund der Zeitschiene ihr Antragsrecht auf Fördergelder gar nicht erst ausgeübt.
"Prioritäten falsch gesetzt"
In der gestrigen Sitzung des Rates der Stadt Wolfenbüttel, der nun die finale Entscheidung treffen sollte, wiederholte der CDU-Fraktionsvorsitzende Marc Angerstein seine Kritik. Er bemängelte, dass man im Bauausschuss "eine knappe halbe Stunde" über eine Kenntnisnahme zu Baumfällungen und Neupflanzungen diskutiert habe, aber "über diese Maßnahmen von 1,4 Millionen Euro, wenn überhaupt vier Minuten" gesprochen worden sei. Für den CDU-Mann sei dies eine falsche Priorisierung von Themen. Angerstein beantragte die Einrichtung einer interfraktionellen Arbeitsgruppe zur Diskussion, Bewertung, Änderung oder Ergänzung der 18 Projektvorschläge.
Dr. Alexandra Tomerius, Vorsitzende der Gruppe BuW/FDP, befürwortete die Idee der Bildung einer interfraktionellen Arbeitsgruppe. Einige der vorgeschlagenen Projekte seien einen zweiten Blick wert. "Einfach unter dem Blickwinkel ist das nicht zu viel Geld, für das, was wir da erwarten können", sagte die Ratsfrau. Aufgrund des engen Zeitkorridors schlug sie vor, sich gleich im neuen Jahr zusammenzusetzen, um die ersten konsensfähigen Projekte zu besprechen und zu verabschieden und andere später nachzureichen.
SPD und Grüne lehnen ab
Für den SPD-Fraktionsvorsitzenden Ralf Achilles und die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Ulrike Krause, kommt eine solche Arbeitsgruppe jedoch nicht infrage. "Das sind alles Maßnahmen, die über die Jahre in den Fraktionen diskutiert wurden. Ich könnte Ihnen alle Wahlprogramme von allen Kandidaten auf den Tisch legen, da werden Sie einen Großteil dieser Maßnahmen wiederfinden", sagte Achilles und zeigte sich verwundert, dass sich die vom alten Rat verbliebenen CDU-Mitglieder nicht mehr daran erinnern könnten, dass man über die Projekte gesprochen habe. Eine Arbeitsgruppe bräuchte es nicht, da es den Bauausschuss gebe, der sich damit beschäftige. Die SPD-Fraktion könne mit den von der Verwaltung erarbeiteten Projekten "gut leben."
Für Ulrike Krause sind die Vorschläge nicht einfach wahllos aufgegriffene Ideen. Für sie klingen hier viele Ideen aus dem Bürgerbeteiligungsprozess von 2012 bis 2014 durch. "Es werden ja weiterhin Beratungen stattfinden. Daher sehen wir Grünen auch weiterhin Gestaltungsspielraum", so Krause.
Lukanic: "Viele gute Themen dabei"
Auch Bürgermeister Ivica Lukanic ergriff in der Debatte das Wort und zeigte sich erstaunt. In seinem Wahlkampf habe er im Februar 2020 darauf hingewiesen, dass die Europäische Union die Grundlage für das Förderprogramm zur Bewältigung der Corona-Pandemie auflegt. "Es war also damals schon bekannt, um welche Themen es geht. Man hätte diese Zeit auch nutzen können", so Lukanic. Anderen Projekten als den nun vorgeschlagenen, die eine mögliche Arbeitsgruppe erarbeite, stehe er aufgrund der knappen zeitlichen Fristen mit Skepsis gegenüber. Mit Blick auf die von Angerstein geäußerte Kritik an einzelnen Projektvorschlägen sagte der Bürgermeister: "Es ist nicht förderlich alles über einen Kamm zu scheren und das so schlecht zu reden, wie sich das eben angefühlt hat. Ich finde, hier sind viele gute Themen dabei."
Der CDU-Antrag auf Einrichtung einer Arbeitsgruppe wurde am Ende mehrheitlich vom Rat abgelehnt. Die Verwaltung wurde einstimmig beauftragt, die vorgeschlagenen 18 Projekte bis zu gewissen Verfahrensschritten umzusetzen und entsprechende Förderanträge bei der NBank zu stellen und im März 2022 einen aktualisierten Planungsstand vorzulegen. Dies erfolgte auch mit den Stimmen von CDU, FDP und BuW. Angerstein hatte die Zustimmung in seiner Rede damit begründet, dass die Verwaltung im Protokoll zugesichert habe, dass die zuständigen Ratsgremien nach der Beschlussfassung weiterhin die Möglichkeit erhalten, über die inhaltliche Ausgestaltung der
Einzelprojekte zu beraten.
Das sind die 18 Projektvorschläge:
Nachhaltigkeitskonzept Veranstaltungen
Eine Projektagentur begleitet das Veranstaltungsmanagement über ein Veranstaltungsjahr bzw. alle -formate, in denen die Veranstaltungen hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit geprüft werden. Nach der Prüfung aller Veranstaltungen werden mithilfe von Workshops Lösungsmöglichkeiten erarbeitet, um diese klimagünstiger für die Zukunft durchführen zu können.
Kostenpunkt: 63.000 Euro -netto-
Akteursdialog Innenstadt
Ziel des Projekts ist die Stärkung des Miteinanders in der Innenstadt von Wolfenbüttel. Es wird kein neues städtebauliches Leitbild oder einen Rahmenplan für die Innenstadt angestrebt. Es geht um die Schaffung einer Struktur, die Eigentümer, Ladeninhaber und Anwohner einbindet, um zum Beispiel im Rahmen verschiedener Projekte oder der kommenden Bauabschnitte der Fußgängerzone zielführend zu interagieren. Aufgabe des Dialogs ist (unter anderem) die Einbindung der Öffentlichkeit in ausgewählte Projekte des Förderprogramms „Perspektive Innenstadt“.
Kostenpunkt: 75.000 Euro
Konzepterstellung zur Prüfung des Einsatzes von Mini-Hubs
Der Lieferverkehr ist für die Geschäfte der Innenstadt notwendig, steht jedoch im Konflikt mit der Aufenthaltsqualität in der Fußgängerzone. Das Konzept „Mini-Hubs“ soll Alternativen aufzeigen, die nachhaltig und klimafreundlich sind.
Kostenpunkt: 50.000 Euro
Neukonzeptionierung Ausschilderungssysteme sowie die entsprechende Umsetzung (Projekt 4+11)
Bisher wird bei der Lenkung des Verkehrs in Wolfenbüttel nicht hinreichend zwischen Zielsuchverkehren der Industrie und touristischen Besucherströmen differenziert. Dies soll künftig mithilfe der typisch touristischen braun-weißen Hinweisschilder beginnend ab der A36 bis zu jeder relevanten Einrichtung erfolgen. Auch sollen bspw. touristische Hinweise aufgestellt werden, sofern die Sehenswürdigkeit sich nicht von selber erschließt.
Kostenpunkt: 80.000 Euro -netto-
Realisierung Wissensort Wolfenbüttel (WOW): Zwischennutzung einer Leerstandsimmobilie als multifunktionellen Raum
In einem Leerstand soll ein Lern- und Austauschort für Lehrende, Studierende und die Zivilgesellschaft geschaffen werden. Ziel ist der Wissenstransfer in breite Bevölkerungsschichten zu Kernthemen wie Klimaschutz und Digitalisierung. Durch die Integration eines kleinen Cafés soll eine längere Verweildauer ermöglicht und durch temporäre Informations- und Serviceangebote der Stadt, des Landkreises, der Ostfalia und weiterer Akteure ein neuer Anziehungspunkt entstehen.
Kostenpunkt: 150.000 Euro
Umsetzung Pop-Up-Store-Konzept
Die Stadt mietet für den Förderzeitraum 1 bis 2 Leerstände an und gibt diese zu subventionierten Mieten für begrenzte Nutzungszeiten (etwa vier bis acht Wochen) ab. Geschäfte/Start-ups können hier ihr Warenangebot für Kunden testen. So besteht die Möglichkeit, kreative Ideen auszuprobieren. Für die Raumnutzung können sich Interessenten mit einem Konzept im Rahmen eines Wettbewerbes bewerben.
Kostenpunkt: 75.000 Euro
„Digitale Fitness – Innenstadt Wolfenbüttel“
Auf Basis einer strukturierten wissenschaftlichen Analyse werden den Unternehmen individuelle Handlungsmöglichkeiten für digitale
Verkaufsansätze aufgezeigt. Die Beratung erfolgt durch eine Ausgründung der Ostfalia unabhängig von Unternehmen und Agenturen. Es wird ein verständlich aufbereitetes Grundlagenwissen zum Thema digitaler Vertrieb/Verkauf zur Verfügung gestellt.
Kostenpunkt: 130.000 Euro
Marketingkampagne zur Digitalisierung des Citygutscheins
Das digitale Gutscheinsystem soll sukzessive in den bisher rund 100 teilnehmenden Geschäften eingeführt werden und für eine steigende Akzeptanz sorgen. Mithilfe einer gezielten Werbekampagne sollen das digitale Gutscheinsystem und seine Vorzüge erläutert werden.
Kostenpunkt: 50.000 Euro
Konzeptionierung und Umsetzung eines Co-Working-Spaces
Viele Firmen haben im letzten Jahr zahlreiche Möglichkeiten für „Homeoffice“ eröffnet. Nicht alle haben jedoch die entsprechenden Voraussetzungen in der eigenen Wohnung. Diese Entwicklung kann den allgemeinen Trend von „Co-Working-Spaces“ weiter verstärken. Häufig sind sie mehr als reine Büroflächen und tragen mit ihren flankierenden Angeboten zur Stärkung der Innenstadt bei.
Kostenpunkt: 150.000 Euro
Digitalisierung Wasserwege
Die 22 Jahre alten Informationstafeln sollen geprüft und gegebenenfalls abgebaut oder erneuter werden. Weiterhin sollen die 20 Stationen mit AR-Technik / Mixed-Reality per Smartphone vor Ort erlebbar gemacht werden. Zum Beispiel könnten historische Personen über die alten, längst vergangenen Stadtsituationen im AR-Video erzählen. Ergänzend wird es für analoge Nutzerinnen und Nutzer eine Erlebnisbroschüre geben. In die Konzeption/Realisierung sollen interessierte Bürgerinnen und Bürger eingebunden werden.
Kostenpunkt: 71.500 Euro -netto-
Verbesserung der Aufenthaltsqualität in der Innenstadt, zum Beispiel durch Schaffung von Aufenthaltsorten in der FGZ wie mobile Sitzgelegenheiten (zweiteiliges Projekt)
12a: Sicherstellung der Stromversorgung für die Weihnachtsbeleuchtung in der Innenstadt
Die Weihnachtsbeleuchtung wird durch die alte Stromversorgung der Straßenbahn (fuhr bis 1954) betrieben. Die abgängige Stromversorgung soll ersetzt werden.
12b: Mobile Sitzmöbel als Ersatz für die abgängigen Palettenmöbel
Die bisherigen Palettenmöbel waren eine temporäre Lösung, die mittlerweile seit Jahren besteht. Aufgrund der sehr guten Annahme von Aufenthaltsmöglichkeiten sollen professionelle Sitzmöglichkeiten angeschafft werden. Der Vorteil mobiler Sitzmöglichkeiten ist, dass sie in der Fußgängerzone flexibel aufgestellt werden können.
Kostenpunkt: 60.000 Euro
Veranstaltung „Funkenkutsche“ zum 125. Jahrestag der Straßenbahnlinie BS-WF
Siehe Vorlage Kulturausschuss 16.09.2021 (Drs.-Nr. 0141/2021)
Kostenpunkt: 65.000 Euro -netto-
Radabstellanlagen
Durch die zunehmende Zahl hochwertiger E-Bikes steigt das Bedürfnis nach sicheren, witterungsgeschützten Abstellanlagen in der Innenstadt. Die Nutzung von Leerständen in Bestandsbauten soll hier Vorrang vor einem Neubau haben.
Kostenpunkt: 95.000 Euro
Verleihsysteme im Bereich Mobilität
In Wolfenbüttel gibt es derzeit weder Car-Sharing noch BikeSharing Angebote. Damit es für potenzielle Anbieter attraktiv ist, in Wolfenbüttel Angebote zur eröffnen, sind die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen (bspw. entsprechende Flächen im öffentlichen Raum zu planen, zu beschildern und auszubauen.)
Kostenpunkt: 135.000 Euro
Mehrwegkampagne Gastronomie
Ab 2023 werden Mehrwegverpackungen in der Gastronomie gesetzlich als Alternative zur Einwegverpackung vorgeschrieben. Mithilfe der Kampagne soll im Förderzeitraum sowohl den Gastronomen als auch den Verbrauchern der Umstieg erläutert und damit ein Anreiz zur Umstellung geschaffen werden.
Kostenpunkt: 75.000 Euro
Verstärktes Innenstadtmanagement
Die Umsetzung der zahlreichen Maßnahmen erfordern ein hohes Maß an zusätzlicher Kommunikation mit den vielfältigen Handelsbetrieben in der Innenstadt. Dieser Aufwand kann nicht von der Abteilung Einzelhandelsentwicklung getragen werden, da dort bereits 2/3 der Projekte zusätzlich zur normalen Arbeit umgesetzt werden. Um die Innenstadt zukunftsfähig aufzustellen, wird das Citymanagement für den Projektzeitraum institutionell unterstützt.
Kostenpunkt: 30.000 Euro
Aufstellung eines Trinkbrunnens
Gemäß VA Beschluss vom 13.05.2019 zum Antrag der Ratsfraktion BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN soll in der Fußgängerzone ein Trinkbrunnen installiert werden. Dieser soll nun südwestlichen Stadtmarktes im Bereich des ehemaligen Rathauseingangs umgesetzt und durch das Förderprogramm kofinanziert werden. Dadurch soll die Möglichkeit geschaffen werden, Aufenthaltsdauer in der Innenstadt zu verlängern.
Kostenpunkt: 55.000 Euro
mehr News aus der Region